Selbstverständlich macht derzeit jede Stadt, die etwas auf sich hält, in Smart City. Doch was das genau heißt, bleibt oft nebulös. Manchen von der Sparpolitik gebeutelten Städten bleibt nichts anderes übrig, als das Feld Technologiekonzernen zu überlassen, weil ihnen das Geld für Investitionen fehlt. Die Stadtregierung von Barcelona und die Leiterin ihrer Smart-City-Strategie, Francesca Bria, gehen einen anderen Weg: Eine Stadt wäre smart, so ihr Plan, wenn sie technologische Innovationen in den Dienst ihrer Bewohnerinnen und Bewohner stellt und Datensammlung wie Vernetzung für emanzipatorische Politik und das Ziel einer lebenswerten Stadt nutzt. Bria hat ihren Ansatz gemeinsam mit Evgeny Morozov in der Studie Die smarte Stadt neu denken veröffentlicht.
der Freitag: Frau Bria, Sie sind Italienerin. Wie wurden Sie „Chief Technology and Innovation Officer“ in der Stadtregierung von Barcelona?
Francesca Bria: Die Bürgermeisterin Ada Colau hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, das Smart- City-Konzept Barcelonas komplett neu zu denken. Ich sollte mir überlegen, wie die Technologie den Menschen dienen kann und nicht umgekehrt. Da Colau nicht irgendeine Politikerin ist, sondern Teil der Stadtbewegungen in Barcelona, habe ich zugesagt.
Welche Situation haben Sie in Barcelona vorgefunden?
Die Regierung davor war neoliberal ausgerichtet. Sie hatte einen Smart-City-Plan forciert und dazu Verträge mit den üblichen Technologie-Unternehmen wie Cisco, IBM und Microsoft abgeschlossen. Sie behauptete, dass durch diese Unternehmen Geld und Fortschritt nach Barcelona kämen, dass die Abläufe in der Stadt optimiert werden könnten. Die Wirklichkeit sah aber komplett anders aus: Es wurden etliche Sensoren verbaut, alle von unterschiedlichen Anbietern, die nicht mal untereinander verbunden waren. Die Stadt hatte keine Kontrolle über die Daten, keine Kontrolle über die Sensoren, aber eine Menge technologischer Probleme. Am Ende hat sie sich mehr darum gekümmert als um die Probleme der Menschen.
Zur Person
Francesca Bria ist Sozialwissenschaftlerin und Expertin für Technologiepolitik. Seit 2016 arbeitet sie als Kommissarin für Technologie und Innovation für die Stadtregierung von Barcelona. Außerdem berät Bria die EU-Kommission in Smart-City-Angelegenheiten
Worin unterscheidet sich Ihr Smart-City-Konzept davon?
Unsere Smart City ist nicht technologiegetrieben. Wir fragen: Wie sieht eine lebenswerte Stadt aus? Und: Wie können die Menschen selbst darüber bestimmen, wie sie leben wollen? Technologie ist nur dazu da, das zu unterstützen.
Wo setzen Sie Technologie ein, wo das vorher nicht der Fall war?
Eins unserer wichtigsten Projekte dreht sich um Partizipation. Wir haben jetzt ein Amt, das sich nur um Bürgerbeteiligung und Bürgerrechte kümmert. Da sitzen Menschen aus allen Abteilungen, die zum ersten Mal zusammenarbeiten. Manche machen Sozialpolitik, andere haben vorher eher auf kommunaler Ebene gearbeitet, dann gibt es Vertreter der einzelnen Nachbarschaften und Stadtinitiativen und natürlich Programmierer. Mittlerweile gibt es eine Open-Source-Plattform, auf der Anträge eingereicht und bewertet werden können. Gleichzeitig finden in den Nachbarschaften Versammlungen statt, bei denen auch über Anträge beraten und abgestimmt werden kann. Offline und online, das geht bei uns Hand in Hand. 70 Prozent der Anträge, die von Bürgern gestellt wurden, sind heute Teil unseres Regierungsprogramms, 40.000 Bürger haben sich daran aktiv beteiligt.
Warum ist das so wichtig?
Viele Menschen sind frustriert, weil sie das Gefühl haben, dass sie nicht mal ihr direktes Umfeld beeinflussen können. Und weil sie nicht verstehen, wie Entscheidungen zustande kommen. Wir verwenden viel Energie darauf, Wege zu finden, um den Bürgern unsere Verwaltungsprozesse zu erklären und zum Beispiel zu zeigen, wie groß unser Budget ist und wie wir es ausgeben.
Worüber können die Bürgerinnen und Bürger von Barcelona nun abstimmen?
Es gibt zum Beispiel ein Projekt, Superblock, bei dem wir ganze Bezirke für den Autoverkehr sperren. Die verschiedenen Nachbarschaftsversammlungen waren daran beteiligt. Die Nachbarschaften haben auch bei der Planung der Strecken und Haltestellen neuer Buslinien geholfen oder über die Nutzung eines leerstehenden Theaters abgestimmt.
Nutzen Sie neue Technologien auch in der Verwaltung?
Wir wechseln in der Verwaltung gerade von einem privaten Technikanbieter hin zu Open-Source-Software. Das machen wir, um die großen Technologie-Unternehmen rauszuhalten und die Kontrolle über unsere Daten zu bekommen und auch zu behalten.
Was passiert eigentlich mit den ganzen Daten, die Sie sammeln?
Wir machen diese Daten für kleinere Firmen zugänglich. Wenn die Daten verfügbar sind, gibt es mehr Wettbewerb, gleichzeitig fördern wir kleine Unternehmen und ganz besonders Genossenschaften. Die Beschäftigungsrate in diesem Bereich ist im letzten Jahr um 26 Prozent gestiegen.
Und wie reagieren die großen ausländischen Technologie-Unternehmen?
Bisher ganz freundlich. Auch ihnen erklären wir so transparent wie möglich, was wir machen. Wir allein können sie nicht abschaffen, aber so erlangen wir einen Spielraum, eine gewisse Eigenständigkeit, um ihre Monopolstellung einzuschränken. Und das funktioniert bisher auch ganz gut: Es gibt mittlerweile viele Kollaborationen zwischen lokalen, kleinen Firmen und den großen ausländischen Technologie-Unternehmen, ohne dass Letztere unsere Infrastruktur zerstören und wir uns von ihnen abhängig machen.
Mit Airbnb haben Sie trotzdem Probleme, oder?
Lange hat Airbnb überhaupt nicht mit uns kooperiert, jetzt führen wir immerhin harte Verhandlungen. Airbnb hat die Mietkrise in Barcelona beschleunigt. Also verlangen wir von Airbnb, dass das Unternehmen Steuern bezahlt. Das macht es natürlich nicht. Deshalb haben wir Gesetze erlassen, um den Vormarsch von Airbnb zu bremsen. Eins dieser Gesetze besagt, dass man sein Zuhause nicht für mehr als 30 Tage im Jahr vermieten oder auf einer Webseite anbieten kann. Jetzt arbeiten wir an Tools, damit wir das kontrollieren können. Gleichzeitig fördern wir soziale Alternativprojekte wie Fairbnb oder andere Plattform-Kooperativen, die einen ähnlichen Service anbieten, aber kein aggressives Geschäftsmodell verfolgen, das die Preise in die Höhe treibt.
Was passiert mit den Daten, wenn Sie nicht mehr im Amt sind? Wenn etwa eine Nachfolger-Regierung die Daten missbrauchen wollte?
Wir arbeiten gemeinsam mit der Datenregulierungsbehörde der EU an einer Daten-Richtlinie. Darin ist die Frage der Datenkontrolle und -sicherheit zentral. Wenn die erst mal festgelegt ist, wird es sehr schwer sein, sie wieder rückgängig zu machen. Gleichzeitig arbeiten wir an rechtlichen und technologischen Lösungen, damit die Bürgerinnen und Bürger von Barcelona die Daten gemeinschaftlich besitzen können, sie also nicht der Verwaltung oder einem Parlament gehören. Das ist eines unserer größten Projekte, es heißt Decode und wird von der Europäischen Kommission unterstützt. Wir programmieren in dem Bereich mit Blockchain-Software, das heißt, die Daten sind alle verschlüsselt, damit wir auch für die Zukunft Daten-Souveränität garantieren können.
Nun ist die EU in vielen der Fragen, die Sie aufwerfen, nicht immer der beste Partner ...
Das stimmt, aber gemeinsam können wir das ändern. Wir versuchen Netzwerke aus europäischen Akteuren und anderen Städten aufzubauen, um stärker zu sein. Keiner kann das allein schaffen. Wir versuchen zum Beispiel die Schengen-Gesetze für Barcelona außer Kraft zu setzen. Gemeinsam mit Amsterdam arbeiten wir an konkreten Alternativen. In Paris gibt es, was Technologiefragen angeht, ganz ähnliche Interessen. Helsinki experimentiert mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, also arbeiten wir auch mit ihnen zusammen.
Wie beeinflusst der Konflikt zwischen der spanischen Zentralregierung und der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung Ihre Arbeit?
Katalonien möchte unabhängig entscheiden, wie es weitergeht. Das unterstützen wir als Stadtregierung von Barcelona. Leider hat der spanische Staat sehr repressiv reagiert. Die spanische Regierung setzt die europäische Sparpolitik aggressiv durch, wir verlangen dagegen finanzielle Unabhängigkeit. Das ist wichtig, damit wir mehr in soziale Einrichtungen und überhaupt in alles, was die Menschen brauchen, investieren können. Nur so können wir uns gegen die Übermacht der Technologie-Unternehmen wappnen. Für uns geht es gerade um alles.
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