Gorillas motzen die deutsche Streikkultur auf

Lieferdienste Der wilde Arbeitskampf der Kuriere ist spektakulär und bringt die traditionellen Gewerkschaftsverbände damit in Bedrängnis
Ausgabe 41/2021
Mitarbeiter*innen des Startup-Dienstes Gorillas protestieren vor der Firmenzentrale in Berlin
Mitarbeiter*innen des Startup-Dienstes Gorillas protestieren vor der Firmenzentrale in Berlin

Foto: Mike Schmidt/IMAGO

Viel ist schon über die Streiks der Gorilla-Kuriere in Berlin geschrieben geworden – auch in dieser Zeitung –, und das vollkommen zu Recht, denn diese Streiks sind durch und durch spektakulär. Die Gorillas-Arbeiter*innen wehren sich nicht nur geschlossen, energisch und gut organisiert gegen die ausbeuterische Lieferplattform, die sie beschäftigt. Sie mischen zugleich die hiesige Kultur der Arbeitskämpfe auf. Beeindruckend ist einerseits, wie schnell sie sich organisiert haben. Bereits ein knappes Jahr nach der Gründung des Supermarktlieferdiensts Gorillas, der verspricht, Einkäufe in zehn Minuten auf Fahrrädern überallhin liefern zu können, seit April 2021 also, ist die Gründung eines Betriebsrats in vollem Gange.

Die Kuriere sind im Gorillas Workers Collective organisiert und werden unter anderem von der kleinen, basisdemokratisch organisierten Gewerkschaft der Freien Arbeiter*innen Union (FAU) unterstützt. Viele der dort organisierten Kuriere haben schon bei Deliveroo, Foodora oder Lieferando gearbeitet und können auf einen reichen Erfahrungsschatz mit praktischem wie strategischem Wissen zurückgreifen. Dieses haben sie seit 2017, als die Arbeitskämpfe gegen Lieferdienste aus London nach Berlin kamen, immer wieder praktisch erprobt. Gleichzeitig heizen sie die Debatte um wilde Streiks an.

Spontane politische und/oder von Gewerkschaften nicht legitimierte Streiks sind in Deutschland illegal. Eigentlich. Vielen Fahrer*innen, die oft nicht aus Deutschland kommen, leuchtet das nicht ein. Ein Fahrer aus Bulgarien, der anonym bleiben möchte, sagte im Gespräch: „Wenn ich mein Gehalt nicht bekomme, streike ich. Was ist daran so schwer zu verstehen?“ Wenn man, wie die Gorillas-Arbeiter*innen, genügend Organisations- und Mobilisierungsmacht hat, ist wild zu streiken also möglich, zumal die Angst vor einer vom Arbeitsgericht bestätigten Kündigung bei vielen gering ist.

Da schneidet sich das Unternehmen Gorillas mit seinen auf Prekarität ausgerichteten Jobs also ins eigene Fleisch. Wilde Streiks sind außerdem von der Europäischen Sozialcharta abgesegnet, weswegen auch Arbeitsrechtler gerade ins Debattieren kommen. Nur Verdi spielt eine komplizierte Rolle: Einerseits will die Gewerkschaft die Kuriere gern bei sich organisieren, sie will die wilden Streiks bisher aber nicht unterstützen. Es ist viel in Bewegung im angeblich so langweiligen Arbeitskampfland Deutschland, mit ungewissem Ausgang – das ist den kämpfenden Gorillas-Arbeiter*innen zu verdanken!

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