Mindestlohn? Nicht mit uns!

24-Stunden-Pflege Osteuropäische Pflegekräfte kämpfen für eine faire Bezahlung. Deutschen Medien schmeckt das überhaupt nicht
Etwa 600.000 ausländische Pflegekräfte arbeiten in Deutschland. Fair bezahlt werden sie in der Regel nicht
Etwa 600.000 ausländische Pflegekräfte arbeiten in Deutschland. Fair bezahlt werden sie in der Regel nicht

Foto: Thomas Samson/AFP/Getty Images

Wie rassistisch die deutsche Medienlandschaft ist, konnte man gut in den vergangenen Tagen beobachten. Am 24. Juni 2021 entschied das Bundesarbeitsgericht in letzter Instanz, dass die sogenannte 24-Stunden-Pflege in Deutschland auch bezogen auf 24 Stunden Arbeit entlohnt werden muss. Osteuropäische Pflegekräfte verdienen geschätzt zwischen 1.500 und 1.700 Euro monatlich, das entspricht einem durchschnittlichen Stundenlohn 2,08 Euro. So hatte es der Bundesverband der Betreuungsdienste errechnet. Geklagt hatte die ehemalige Betreuerin Frau Alekseva – der Name ist geändert – aus Bulgarien, die gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft ver.di richtig feststellte: Wer in Deutschland arbeitet, für den gilt deutsches Arbeitsrecht, also der gesetzliche Mindestlohn.

Es wäre ein Tag zum Feiern gewesen, denn Frau Alekseva hat stellvertretend für ihre geschätzt 600.000 Kolleg*innen, die in Deutschland rund um die Uhr, Tag für Tag, Alte und Kranke betreuen, einen enormen Sieg errungen. So sieht es auch Justyna Oblacewicz vom DGB-Projekt Faire Mobilität, die ausländische Arbeiter*innen bei ihren schwierigen Kämpfen in Deutschland unterstützen: „Das Urteil ist ein echter Durchbruch. Das ist ein richtungsweisendes Urteil für die ganze Branche, denn das Modell der sogenannten 24-Stunden-Pflege basiert ja gerade darauf, dass zwar bis zu 24 Stunden pro Tag gearbeitet werden, jedoch nur ein Bruchteil dessen tatsächlich bezahlt wird.“

Eigentlich logisch und auch rechtlich glasklar. Die Überschriften der deutschen Medien schlugen trotzdem einen anderen Ton an. Hier gab es keinen Platz für den Sieg der osteuropäischen Betreuungs-Arbeiter*innen, keine Solidarität: „Klatsche für Pflegebedürftige und Angehörige“ titelte der DLF, „Preisschock für Pflege zu Hause“ die FAZ, „Häusliche Pflege wird teurer“ die SZ und „Sozialverbände halten Rund-um-die-Uhr-Pflege für kaum noch bezahlbar“ schrieb Zeit Online.

„Ein System, das auf Ausbeutung basiert aufrecht erhalten zu wollen, weil es sonst zu teuer würde, halte ich für kein überzeugendes Argument. Wenn wir gute Pflege und Betreuung für unsere Angehörigen wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Arbeitsbedingungen gut sind und die Arbeit fair bezahlt wird. Davon profitieren am Ende auch die Familien“, entgegnet ihnen Justyna Oblacewicz. Im deutschen Journalismus regiert aber offenbar mehrheitlich die Ansicht, dass nicht die Bundesregierung, die die illegale Ausbeutung institutionalisiert hat, der Gegner ist, oder die Pflegeplattformen, die daran verdienen. Vielmehr stört man sich an der osteuropäischen Arbeiterin, die für sich den Mindestlohn einfordert. Wo käme man denn da hin, bei der Pflege, auf dem Bau, bei der Obst- und Gemüseernte und in der Fleischfabrik? Das klingt schon stark nach: Da können wir uns ja bald nichts mehr leisten!

Zumal das erkämpfte Recht zunächst von den Betreuer*innen durchgesetzt werden muss, die vereinzelt in den Familien arbeiten und auf den mageren Lohn angewiesen sind, was die Organisierung und Durchsetzung erschwert. Die Gewerkschaft ver.di versucht zu informieren, wo es geht: „Die Betreuungskräfte nutzen soziale Medien zum Austausch. In diversen Gruppen tauschen sie sich über Vermittlungsagenturen sowie ihre Erfahrungen aus. Auch wir nutzen das Medium, um sie über ihre Rechte zu informieren. Dennoch ersetzen diese Netzwerke nicht eine gewerkschaftliche Organisierung.“ Auf die Arbeiter*innen und ihre Gewerkschaft kommen also noch harte Kämpfe zu. Auf die deutschen Medien als Verbündete können sie zur Zeit leider nicht zählen.

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