Seit Jahren arbeitet dieser Mann an Alternativen zur kapitalistischen Logik – und zwar eben gerade in digitalen Gefilden, wo Google, Apple und das aggressive Unternehmertum aus dem Silicon Valley den Ton angeben. In Ostberlin geboren, lebt Trebor Scholz heute in New York und forscht zum digitalen Kapitalismus. Dem will er einen „Plattform Kooperativismus“ entgegensetzen. Was das sein soll, erklärt er an einem Freitagnachmittag von seinem Haus in Brooklyn aus am Telefon.
der Freitag: Herr Scholz, Sie sind Mitglied in einer Lebensmittel-Kooperative in Brooklyn. Wie unterscheidet die sich von Ihrer Idee des plattformbasierten Genossenschaftswesens?
Trebor Scholz: Da geht es weniger um ein anderes Wertesystem, eher um alternatives Konsumieren. Plattform-Koops hingegen, das
n anderes Wertesystem, eher um alternatives Konsumieren. Plattform-Koops hingegen, das sind Arbeiter-Kooperativen. Den Arbeitern selbst gehört ihre Firma.Keine neue Idee.Die Plattform-Koop ist ein Update. Ich möchte die 170 Jahre alte Idee der kooperativen Organisation ins 21. Jahrhundert bringen. Es geht darum, sie mit dem technologiebasierten Arbeitsmarkt, wie Uber oder Airbnb ihn etabliert haben, zu verknüpfen – ohne deren unfaire Businessmodelle zu verwenden. Und das möglichst schnell.Wieso eilt es?Weil die Silicon-Valley-Konzerne Realitäten schaffen. Sie teilen den Markt unter sich auf, bilden Monopole, die keine Konkurrenten dulden. Wenn es erst einmal so weit ist, wird es sehr viel schwieriger, Alternativen zu schaffen.Warum ist die Eigentumsfrage so wichtig?Sie bleiben stets in der Bittsteller-Position, wenn Ihnen die Firma nicht gehört. Immerzu müssen Sie Ihren Chef fragen, wenn Sie etwas brauchen und wollen. Natürlich können Sie Jeff Bezos von Amazon anflehen, dass er Sie fair bezahlt, Arbeitsbedingungen verbessert. Aber das ist sinnlos. Nicht nur weil Amazon ein riesiges Unternehmen ist, sondern weil deren Modell darauf beruht, dass einige Mitarbeiter sehr schlecht verdienen.Placeholder infobox-1Gibt es denn jetzt schon Arbeiter-Kooperativen, die funktionieren?Ja. Zum Beispiel die Beyond-Care-Kooperative hier in Brooklyn. Sie wurde von Menschen, die in der Pflege arbeiten, gegründet. Die etwa 45 Mitlieder hatten vorher ein niedriges Einkommen, keinerlei Absicherungen, außerdem sind die meisten von ihnen Migranten ohne Papiere. Jetzt organisieren sie sich über eine App: Coopify.Was ist das für eine App?Über Coopify können verschiedene Kooperativen am App-Markt teilnehmen. Das müssen sie auch, um konkurrenzfähig zu bleiben. Heute buchen die Menschen ihren Babysitter oder ihre Putzkraft über das Smartphone. Das wird sich nicht mehr ändern. Aber hinter der Coopify-App stehen Koops. Kein Start-up, das mit Scheinselbstständigen arbeitet, denen es dann noch einen Teil des Lohns als Vermittlungsgebühr abzieht.Alle Apps der Sharing Economy haben ein Rating-System. Wird es das bei Coopify auch geben?Das weiß ich leider nicht, die App ist noch nicht fertig. Aber ich kann es mir nicht vorstellen. Denn diese Bewertungssysteme funktionieren sowieso nicht. Bei Airbnb liegt die durchschnittliche User-Bewertung bei 4.6 von möglichen fünf Punkten. Negative Bewertungen gibt es kaum. Bewertungssysteme sind ein ideologisches Werkzeug derer, die die Sharing Economy verteidigen. Sie behaupten, die Sharing Economy müsse nicht reguliert werden, dafür sorgten schon die Bewertungssysteme.Was muss ich tun, würde ich hier in Berlin mit anderen gemeinsam eine Koop gründen wollen, als echte Alternative zu Airbnb?Sie sind nicht die Einzige, die mich das fragt! Und bald kann ich Ihnen auch ganz konkret helfen. Ich möchte hier an der New School ein Konsortium gründen. Experten von verschiedenen Fakultäten werden Vorlagen erstellen, mit denen die Betreffenden dann konkret weiterarbeiten können. Mein Ziel ist eine Art Wordpress für die Welt der Plattform-Kooperativen.Funktionieren Plattform-Koops in allen Bereichen?Es gibt Bereiche, für die sie sich mehr anbieten als für andere. Neulich haben mich Zahnärzte gefragt, ob sie eine Koop gründen sollen. Da wusste ich nicht so recht, was ich sagen sollte! (lacht) Aber für prekär Arbeitende in der Pflege eignet sich so ein Zusammenschluss auf jeden Fall. Denn die Leute arbeiten sowieso zusammen und kennen sich untereinander. Ich kann mir das auch gut für Geflüchtete in Europa vorstellen. In Schweden dauert es durchschnittlich acht Jahre, bis sie einen Job finden. Das Koop-Modell könnte helfen, sich besser zu organisieren und sich unabhängiger von den Institutionen zu machen.Sind Koops auch eine Alternative für Menschen, die eigentlich ein Start-up gründen wollten?Als wir angefangen haben, unsere Koop-Idee vorzustellen, war die Start-up-Szene in New York gleich sehr interessiert. 94 Prozent aller Start-ups in New York scheitern, im Silicon Valley sieht es nicht viel anders aus. Viele der Gründer sind wahnsinnig frustriert. Ihnen wird Erfolg versprochen, den nur ganz wenige erreichen können – und nur auf eine einzige Art.Auf welche?Mit ihrer Idee und ihrem Businessmodell müssen sie einen Wagniskapitalgeber finden, einen sogenannten Venture Capitalist. Da verlieren die meisten Gründer bereits die Kontrolle über ihr Projekt, weil die Geldgeber Sicherheiten wollen. Dann geht der Druck los: oft haben sie nur ein Jahr Zeit, um irgendwie erfolgreich zu werden. Was aber meistens auch nur bedeutet, dass sie wiederum mehr Geld einsammeln müssen und nicht unbedingt, dass sie wirklich welches verdienen. Wenn sie es nach dem Jahr nicht geschafft haben, ist es meistens vorbei mit der schönen Idee und dem eigenen Start-up. Koops, die den Arbeitenden selber gehören, bieten hingegen nicht nur mehr Sicherheiten. Sie nehmen viel vom Erfolgsdruck raus. Zudem behalten Gründer die Kontrolle über ihre Ideen.Plattform-Koops sind aber nur eine Idee unter vielen. Blockchain ist eine andere.Blockchain ist eine digitale Datenbank, die zum Beispiel der Online-Währung Bitcoin zugrunde liegt. Via Blockchain können Menschen miteinander ins Geschäft kommen, ohne dass es Mittelsmänner gibt, die damit nur Geld verdienen.Was heißt das in der Praxis?In Israel gibt es die Car-Sharing-Firma La’Zooz, deren App auf Blockchain beruht und die sich als Konkurrent zu Uber behauptet. Ich stehe Blockchain sehr skeptisch gegenüber. Trotzdem finde ich interessant, dass überall auf der Welt Projekte aus dem Boden schießen, denen es um Fairness und Gerechtigkeit geht. Solidarisches Wirtschaften erlebt eine Renaissance.„Portable Workers Protection“ ist eine andere Idee von Ihnen, um Freiberufler abzusichern.Die Idee stammt nicht von mir, aber ich unterstütze sie. In den USA ist einer von drei Arbeitern heute ohne festen Arbeitsvertrag. Das sind Freelancer, Tagelöhner, sie haben befristete Verträge oder sind scheinselbstständig. Sie alle bekommen über ihren Arbeitsplatz keine Krankenversicherung, Rente, keinen Schutz vor Krankheit oder Diskriminierung. All das, was ursprünglich mal mit einer Festanstellung zusammenhing, fehlt ihnen. Die Portable Workers Protection heißt: Arbeitergeber, die ihre Arbeiter nicht fest anstellen, sollten einen Betrag in einen Topf zahlen, der dann auf alle Freiberufler verteilt wird. So könnte man alle, die ohne festen Vertrag arbeiten, absichern.Das alles ist ein Kampf für Rechte, die die Linke vor langer Zeit schon einmal erkämpft hatte. Das ist eine paradoxe Situation.Ja, leider. Aber ich möchte das nicht nur negativ sehen. Denn wir können aus der Vergangenheit lernen. Vor 130 Jahren begründeten die Haymarket-Aufstände in Chicago die US-Arbeiterbewegung. Jetzt schließen sich die Uber-Fahrer in Seattle den „Teamsters“ an und suchen gemeinsam nach neuen Wegen der Arbeitervertretung und des Arbeitskampfs. Das ist positiv.Derweil experimentieren Google und Amazon längst mit der Automatisierung, um Arbeitskräfte durch Maschinen zu ersetzen.Wenn wir nur über die Technik sprechen, haben Sie Recht. Uber hat 200 selbstfahrende Autos von Mercedes gekauft und sie haben das Roboter-Labor der privaten Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh übernommen. Aber der Plattform-Kooperativismus ist mehr als eine App. Es geht dabei auch um Eigentumsrechte. Wem sollen diese Autos, die Maschinen und die Roboter gehören? Uber oder den Menschen? Es geht mir nicht darum, einfach ein bisschen sozialer zu kopieren, was Uber heute macht, weil die mit ihren Ideen und ihrer Planung sowieso schon viel weiter sind. Es geht darum, auf lokaler Ebene, dort, wo die Menschen wirklich Hilfe brauchen, für positive Effekte zu sorgen.Ist das nicht zu klein gedacht? Es eilt doch so.Es wird oft so getan, als ob das nichts ist, aber man gibt diesen Menschen ihre Würde zurück. Es verändert ihr Leben. Schauen Sie sich die Pflegearbeiter hier an, die kaum Englisch sprechen und bis vor kurzem prekär gelebt haben. Mit der Coopify-App organisieren sich selbst, verdienen genug Geld, werden beim Arbeiten nicht schlecht behandelt und müssen weniger Angst haben. Sie fühlen sich ermächtigt und außerdem als Teil einer Gemeinschaft. Darum sind Plattform-Koops nicht nur Theorie, sondern auch Praxis. Eine Praxis, die den Menschen hilft.Klingt gut. Und ein wenig nach Kapitalismus-Verschönerung.Meine Perspektive ist eine andere. Gerade kämpfen viele für große Ideen, eine Revolution, eine post-kapitalistische Welt ohne Geld. Ich stehe hinter diesen Menschen. Aber das ist doch Zukunftsmusik. Wir brauchen sofort Lösungen! Die Ungleichheit ist bereits riesig und wächst. Ich möchte ganz konkret Menschen helfen, die keine Arbeit haben oder unter sehr unwürdigen Bedingungen arbeiten. Mit den Tools der Plattform-Koops können sie sich sofort selber helfen. Damit können sie morgen anfangen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.