Suppe für alle

Austausch Die „Detroit Soup“-Idee zur Förderung sozialer Projekte wird jetzt auch in Berlin umgesetzt
Ausgabe 39/2016

Es ist früher Sonntagabend in Berlin-Kreuzberg. Vor dem Tresor, dem legendärsten Berliner Technoclub, steht eine hauptstadttypische Mischung aus modischen Menschen. Sie wärmen sich noch kurz in der Sonne, bevor sie ins düstere Innere treten, wo heute Abend keine After-Hour-Party, sondern zum ersten Mal die „Berlin Soup“ stattfindet, ein Mit-Mach-Charity-Event, frisch importiert aus den USA.

Die Idee von Berlin Soup ist denkbar einfach: Alle Besucher bezahlen beim Eintritt mindestens fünf Euro, dafür bekommen sie einen Teller Suppe und einen Stimmzettel. Sie können damit ihr Votum zu sozialen Projekten abgeben, die im Lauf des Abends von ihren Macherinnen und Organisatoren vorgestellt werden. Dafür haben die Projekte jeweils vier Minuten Zeit, aus dem Publikum dürfen maximal vier Fragen kommen. Das Gewinnerprojekt erhält die eingesammelten Eintrittsgelder und wird zwei Monate später erneut eingeladen, um über den Fortlauf zu berichten. Das Ganze hat etwas von Poetry Slam und Offline-Crowdfunding. Und eben von einer Suppenküche. Wobei der Begriff soup kitchen in den USA fast ausschließlich für Armenspeisungen verwendet wird – und hier liegt auch der Ursprung der Idee.

Berlin Soup ist ein Ableger der Veranstaltung Detroit Soup, die 2010 von Amy Kaherl in der heruntergekommenen Ex-Industriemetropole gegründet wurde und sich dort sofort zu einem Erfolg entwickelt hat. Seit Jahren nimmt Detroit einen Spitzenplatz unter den „ärmsten und gefährlichsten Städten der USA“ ein. Kaherl ist 35 Jahre alt und eine Aktivistin der modernen Art, höchst vielfältig engagiert. Neben der Detroit-Soup-Reihe betreibt sie einen Co-Working-Space, hilft anderen beim Programmieren und legt Musik auf. „Ich liebe es, Menschen zusammenzubringen und vor allem, sie dabei zu unterstützen, dass sie ihre Ideen verwirklichen können“, sagt sie. Im Jahr 2000 verließ sie ihre Geburtsstadt, um Theologie zu studieren, zur Finanzkrise im Jahr 2008 kehrte sie zurück.

Die Folgen der Krise haben viele Menschen in den USA hart getroffen, aber kaum einen Ort so sehr wie – wiederum – Detroit. Es habe zwar viele Menschen gegeben, die anderen helfen wollten, aber es habe am Geld gefehlt, sagt Kaherl. Eines der heute erfolgreichsten Projekte, das aus der Detroit Soup hervorgegangen ist, ist der „Empowermentplan“, ausgedacht von der jungen Detroiter Designerin Veronika Scott: Mit gesammelten Spenden- und Sponsorengeldern schuf sie eine Werkstätte für ältere, zuvor lange arbeitslose oder gar obdachlose Näherinnen, die nun winterfeste Schlafsäcke für andere Obdachlose herstellen.

Mittlerweile ist Detroit Soup zum Franchise geworden, US-weit gibt es zahlreiche Ableger, in Europa läuft seit einer Weile schon die Birmingham Soup. Aus europäischer Sicht sind solche Charity-Events jedoch auch eine zweischneidige Angelegenheit. Auf der einen Seite braucht es heute oft solche zivilgesellschaftlichen Projekte, um gemeinnützige Projekte überhaupt zu finanzieren. Gleichzeitig entwickelt sich so eine Kultur, die den Staat aus der Verantwortung nimmt.

Das sieht auch Amy Kaherl so: „Ich wünschte, es gäbe bei uns in den USA mehr Unterstützung von anderen Stellen.“ Doch die Vorstellung eines breit aufgestellten Sozialstaats ist vielen US-Amerikanern fremd, kommt ihnen paternalistisch vor: „Sogar Menschen, denen es nicht gut geht, sehen das so“, sagt Kaherl. Die ehemalige Theologiestudentin verbindet keinen globalen Anspruch mit ihrem Projekt, ihr gefalle schlicht die Idee der Gemeinde und dass sich Menschen in der Nachbarschaft träfen, die sich sonst vielleicht nicht begegneten. Ich will nicht gleich das ganze System ändern. „Ich möchte meinen Nachbarn helfen“, erklärt die 35-Jährige.

Schneidern in Kreuzberg

Auch im Berliner Tresor steht das Helfen im Vordergrund: Drei Schülerinnen wollen nach ihrem Abitur die Lager der Geflüchteten bereisen und darüber berichten; das „Traumschüff“-Projekt will mit einem Boot durch Brandenburg fahren und Kultur in entlegene Dörfer bringen; das Projekt „I am Görli“ möchte eine Häuserwand schwarz streichen, auf die jeder schreiben kann, warum und wie er sich mit dem „Gefahrengebiet“ Görlitzer Park identifiziert. Gewonnen hat schließlich der „Repair.Service“, die Idee zu einer kostenlosen Änderungsschneiderei in Kreuzberg, in der auch gespendete, abgelegte Kleider verarbeitet werden sollen. 615 Euro kamen dafür zusammen.

Leider geht Kaherls Idee – Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus zusammenzubringen – hier aber nicht ganz auf. Es mischt sich nichts, keine Klassen, keine Kulturen, nicht mal Altersgruppen. Das ist ein altbekanntes Problem in der Hauptstadt: Politische Querelen und Animositäten, abgeschottete Milieus und Szenen sind nur ein Grund für Vernetzungsprobleme. Eine andere Hürde ist der Veranstaltungsort selbst. Nicht nur, dass der in einem alten Heizkraftwerk untergebrachte Tresor keine wirkliche Kiezanbindung hat – er wird auch nicht als offener Ort wahrgenommen. Ein Technoclub steht symbolisch für die Selektion durch Türsteher.

Wer den Tresor und seine Geschichte kennt, weiß, wie eng verbandelt er mit Detroit ist. Ohne die Detroiter DJs würde es heute keine „Technohauptstadt“ Berlin geben. Weil beide Städte auch heute noch irgendwie arm, aber auch angeblich irgendwie sexy sind, werden daraus generell gern Gemeinsamkeiten abgeleitet – die man sogar finden könnte, wenn tatsächlich auch in Berlin öfter und lauter über Armut, Vertreibung aus Nachbarschaften und rassistische Stadtpolitik nachgedacht und gesprochen würde. Die Berlin Soup kann vielleicht wenigstens als Vorspeise dienen.

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