Fridays for Future, Ende Gelände, Unteilbar-, Seawatch- und Mietenwahnsinn-Demos. Man muss schon beide Augen fest zumachen, um nicht zu merken: Es bewegt sich was. Menschen bewegen sich, suchen nach Alternativen, bilden solidarische Beziehungen, kämpfen gegen schlechte Arbeitsbedingungen, Verdrängung und gegen den Klimawandel. Doch kämpfen alleine reicht nicht, was wir alle dringend benötigen, sind konkrete Perspektiven, Modelle für eine neue Welt, Utopien, ja, aber auch Wege dahin. Genau da setzt das Buch beziehungsweise „Das Manifest“ von Aaron Bastani an.
Es trägt den catchy Titel Fully Automated Luxury Communism (Komplett automatisierter Luxus-Kommunismus), der in gewissen linken Kreisen in den letzten Jahren schon zum geflügelten Wort geworden ist, zur Zukunftsperspektive auf einen Kommunismus, der sich die allmächtige Technologie zunutze macht und statt Mangel für die meisten Luxus für alle bieten soll. Eine Welt ohne Mangel und Knappheit, eine Post-Scarcity Society, das ist die Vision von Bastani. Sie ist aber nicht in einer fernen Zukunft angesiedelt, sondern beginnt ganz konkret im Hier und Jetzt.
Seine These: Wir befinden uns in der dritten gesellschaftlichen Entwicklungsstufe, in der sich die Welt komplett neu sortiert. Die erste begann vor 12.000 Jahren: Als Menschen das Nomadentum für Ansiedlungen und Landwirtschaft hinter sich ließen, begann eine neue Welt, in der Menschen für morgen planen konnten. Die zweite kam mit der Industriellen Revolution, mit Dampfmaschine und Elektrizität. Diese zweite Phase brachte auch den Kapitalismus, welcher nach Bastani vor allem darauf gründet, dass es einen Mangel gibt, durch den Wert entsteht. Diese Zeit der Knappheit ist nun vorbei, oder wenigstens ihr Ende in Sicht.
Menschliche Arbeit wird durch automatisierte Verfahren ersetzt: ein Schreckensszenario, wenn Monopolisten noch mächtiger werden, aber eine traumhafte Vorstellung, wenn Unternehmen demokratisiert sind und Menschen ihre Zeit endlich sinnvoller nutzen können. Der Klimawandel könnte durch den Einsatz von Solarenergie nicht nur abgewendet werden, Länder des globalen Südens könnten sogar zu Gewinnern dieses Prozesses werden. Ressourcen, die auf der Erde knapp werden, könnten im All gewonnen werden – wenn das demokratisch verwaltet und nicht Menschen wie Jeff Bezos oder Elon Musk überlassen wird. Die Entwicklungen in der Gentechnik würden zur Heilung von Krankheiten wie Alzheimer beitragen – wenn sie nicht in den Händen privatwirtschaftlicher Pharmaunternehmen ist.
Bastani wendet die Science-Fiction-Träume der Silicon-Valley-Gründer auf links. Das liest sich spannend, doch im Gegensatz zu ihnen hat er keinen konkreten Plan, wie die Zukunft verwirklicht werden kann, wie Eigentums-, Macht- und Besitzverhältnisse tatsächlich verändert werden können, wie die Reichen entmachtet und die Entrechteten ermächtigt werden können. So fällt der Teil mit den konkreten Lösungsvorschlägen dann auch ziemlich knapp und vage aus.
Während es den Kämpfen von heute oft an wirklich radikalen Ideen mangelt, blendet Bastanis Manifest die Menschen fast komplett aus, ohne die aber so eine Gesellschaft nicht entstehen kann, und alle Schritte auf dem Weg dahin. Damit hält sich Bastani leider gar nicht erst auf – weshalb sein Fully Automated Luxury Communism ein feuchter Jungstraum über eine technologisch programmierbare Zukunft bleibt.
Info
Fully Automated Luxury Communism A Manifesto Aaron Bastani Verso Books 2019, 288 S., 13,99 £
Kommentare 4
Wäre der Buchtitel als »verfänglich« oder auch »eingängig« klassifiziert worden (anstatt als »catchy«), hätte dies das Verständnis der Rezension sicher nicht erschwert.
„Es bewegt sich was. Menschen bewegen sich, suchen nach Alternativen, bilden solidarische Beziehungen, kämpfen gegen schlechte Arbeitsbedingungen, Verdrängung und gegen den Klimawandel. Doch kämpfen alleine reicht nicht, was wir alle dringend benötigen, sind konkrete Perspektiven, Modelle für eine neue Welt, Utopien, ja, aber auch Wege dahin.“
Es gibt doch eine Perspektive für eine neue, bessere Welt, die problemlos zeitnah den Status der Utopie überwinden könnte, wenn Menschen, Medien und Politiker den Mut aufbrächten, endlich und ein für alle Male das verheerende, alles vereinseitigende und damit alles blockierende Zwangskorsett - von entweder kapitalistische Marktwirtschaft oder sozialistische Zentralverwaltungswirtschaft, von entweder eiskalter Egoismus oder verkitschter Altruismus, von entweder Individualismus oder Kollektivismus, andere Möglichkeiten kann es nicht geben - hinter sich zu lassen, um dann zu guter Letzt doch selbstbestimmend und damit klüger zu werden. Es existiert auch Leben jenseits dieses katastrophalen Korsetts. Man muss es nur entdecken wollen.
Warum wohl und in welchem Interesse aber wird derartiges korsetthaftes Lagerdenken auch etwa dreißig Jahre nach dem Kalter Krieg immer noch aufrechterhalten? Wer hat ein Interesse daran zu verhindern, dass spätestens nach Öffnung dieser unsäglichen Verschnürung der scheinbare Gewinner „Kapitalistische Marktwirtschaft“ völlig entzaubert dastünde?
Es sind garantiert nicht die, die ernsthaft und serös, völlig unabhängig von jeglichem Lagerdenken, mit friedlichen Mitteln einen würdigen Partner für die liberalen Demokratien des 21. Jhs. zu finden suchen, damit nicht nur Mensch und Natur, sondern auch Pluralismus und Demokratie so eine realistische Überlebenschance erhielten. Die unverzichtbare Revolution des 21. Jhs. (= zeitnaher, tief greifender Wandel) kann heutzutage nur aus der Mitte der Gesellschaft kommen und nicht einseitig von irgendeinem Rand. Geht es doch endlich darum, den Mensch „als Ganzes“, also mit all seinen Eigenschaften und Kompetenzen in den Mittelpunkt wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handelns zu stellen. Der Mensch vereint nun einmal egoistische und altruistischen Züge in sich, was ihn zum ungekrönten evolutionären Meister der Kooperation werden ließ. Nur nützt diese hervorragende Kompetenz nicht viel, wenn sie in einem System verschwendet wird, das bereits in seiner Wurzel restlos asozial (= Duden: „die Gemeinschaft, die Gesellschaft schädigend) ist. Wer vorhat, den eiskalt berechnenden Egoisten Homo oeconomicus auf dem derzeitigen Thron zu belassen, der darf sich nicht wundern, wenn diese selbst eingeredete, angeblich ausschließliche Natur des Menschen dann dazu führt, dass auch in der Lebenswirklichkeit Egoismus, Egozentrik und primitiver Narzissmus wie eine Seuche um sich greifen, und die der Hauptgrund dafür sind, dass zunehmend mehr Menschen wie hirnlos paralysiert, sich einer sinnvollen Lösungsfindung bezüglich all der gegenwärtigen Probleme verweigern. Man darf diesen Menschen nicht länger auf den Leim gehen, wenn sie mit ihrem ganz persönlichen Wahnsinn auch noch die Deutungshoheit für sich in Anspruch nehmen.
Es braucht jetzt die Revolution der Einsichtigen und Besonnenen, die verstanden haben, dass das menschliche Leitbild der Zukunft und damit der Ausgangspunkt allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handelns der kooperierende Mensch sein muss. Die Forderung nach und die schrittweise Umsetzung der ökologisch fundierten liberalen Kooperationswirtschaft, die einzig Eigen-, Fremd-, Gemein- und Universalwohl (= das Wohl von Mensch und Natur insgesamt) angemessen zu berücksichtigen vermag, ist eine logische Konsequenz davon.
Ja, es darf und soll nicht verschwiegen werden, dass der Mensch mit all den notwendigen Veränderungen im Grunde genommen vor mehreren Revolutionen steht:
1) der Kognitiven Revolution - der Überwindung der Einseitigkeit hin zur Vielsichtigkeit,
2) der Sozialen Revolution – der Überwindung einseitigen Egoismus hin zur Kooperation,
3) der humanitären Revolution – der Überwindung der Egozentrik hin zu Globaler Intelligenz,
4) der ultimativen Revolution – der Überwindung von „Ego first“ hin zu „Menschensonne“.
Erst wenn möglichst viele dazu bereit und in der Lage sind, im Sinne seriöser Lösungsfindung ihr Bestes zu geben, damit auch das Beste verwirklicht werden kann, besteht vermutlich die einzige Chance, die komplizierten, da komplexen Probleme der heutigen Zeit auch nur annähernd lösen zu können?
Eine Utopie? Ja, sicherlich, aber es gibt sie wenigstens.
Und der Weg dorthin? Der beginnt genau jetzt bei jedem Einzelnen, indem möglichst viele die Notwendigkeit für den Systemwechsel erkennen und anfangen diesbezüglich ihre Stimme zu erheben: Menschen, Medien und Politiker gleichermaßen. Erst dann kann die hirnlose Paralyse ihr Ende finden.
Das Problem dabei: Bewusstwerdung kann man nicht verordnen... Das heißt das dauert noch... Nun stellt sich die Frage welcher 'Weg' ist der schnellere. Der bestehende destruktive oder der neue kooperatistische.
Es gibt nicht nur Bewusstwerdung es gibt auch Bewusstmachung. Natürich braucht beides seine Zeit, die allerdings individuell sehr verschieden ist und die auch durch günstiges Aufeinandertreffen von Umständen geradezu kurz ist. Es gibt allerdings auch Menschen, die scheinen noch "fünf Leben zu brauchen", um angemessen hinzuzulernen.
"Nun stellt sich die Frage welcher 'Weg' ist der schnellere. Der bestehende destruktive oder der neue kooperatistische."
Ich bin nicht sicher, ob ich Ihre Frage wirklich richtig verstehe: Ist die "Welt" schneller "kaputt", als dass sie gerettet werden kann? Wenn Sie das meinen, dann kann ihnen das niemand seriös beantworten. Aus meiner Sicht sollte man bis zum letzten Augenblick auf den unterschiedlichsten Ebenen alles das, was eben möglich ist, probieren. Wenn ein Sportler bei Rückstand innerlich aufgibt, dann hat er in jedem Fall verloren. Kämpft er bis zu letzten Augenblick, dann hat er zumindest eine Chance.
Auch sollte der schrittweise Aufbau der Kooperationswirtschaft in keinem Gegensatz stehen zu den Maßnahmen, die gegenwärtig unerlässlich sind. Allerdings können die Koordinaten zur Orientierung bereits konstruktive sein, auch wenn viele Aspekte temporär immer noch irgendwie destruktiv sind.