@ Kommentar zu "Die Grenzen der Empathie im Krieg von Fritz Breithaupt"

Empathie hilft Kriegpropaganda Das Drei-Personen-Modell der Empathie ist zu klein, es gibt bei diesem Krieg sechs „Instanzen“ die sehr stark beteiligt sind und fast in keinem Krieg gibt es schwarz/weiß nur „den Täter“ und „das Opfer“. Täter sind auch Opfer und umgekehrt

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Zitat aus dem Artikel Breithaupt: „Ich spreche hier vom Drei-Personen-Modell von Empathie (Three-Person Model of Empathy), also einer Beobachterin und zwei Parteien im Konflikt…. Beim Krieg ist die Parteinahme als Auslöser von Empathie besonders deutlich. Wir sehen die Ereignisse aus der Sicht einer Partei, häufig aus der Sicht der Opfer.“

Breithaupt stürzt in die größte Falle der Empathie bevor er überhaupt seine Analyse beginnt: Sein Drei-Personen-Modell ist zu klein, es gibt bei diesem Krieg mindestens sechs „Instanzen“ die sehr stark beteiligt sind und im Krieg gibt es fast nie schwarz/weiß „den Täter“ und „das Opfer“. Beteiligt sind die USA mit der von ihr beherrschten NATO, die in einem kleinen Bürgerkrieg seit dem Putsch auf dem Maidan 2014 im Donbas sich wieder findenden Ukrainer, die ukrainische Regierung in Kiew, Putin & Russland, wir BürgerInnen der EU und wir als Beobachter und Beurteiler und Empathen im Konflikt - all diese waren und sind als Kriegsparteien beteiligt.

Wirklichkeit auf scheinbar handhabbare und realistisch scheinende Modelle zu reduzieren verfälscht diese stark, macht sie „unwahr“, schon weil sie dann historische, politische (und damit geostrategische) Akteure vollkommen ausblendet.

Unsere Empathie, auch meine, ist zunächst rein emotional auf die Faktizität des Leidens und seiner letzten sichtbaren und medial kommunizierten Auslöser fokussiert und beurteilt sofort in einfachsten hundertprozentigen Täter/Opfer Kategorien. (Auslöser: Einmarsch der Russen, dann: Explosionen, Schüsse, Verwundungen & Schmerzen der Körper und Psychen, materielle Zerstörungen etc., alles natürlich nur vermittelt durch wechselseitige Kriegspropaganda, also Vorsicht!)

Die Falle der Empathie hat zugeschnappt und interessiert sich überhaupt nicht für die Hintergründe und Ursachen des Leidens, auch nicht dafür, ob „das Opfer“ auch „Täter“ und der Täter auch Opfer ist und wenn ja, in welchem Verhältnis sie bis zum anerkannten offiziellen Kriegsbeginn sie standen.

Empathie hat meist sofort ohne langen Prozess absolut schuldig gesprochen und will zunächst eigentlich im besten Falle nur eines: Helfen. Schon Empathie mit vermeintlich 100% Schuldigen ist für die meisten eine Überforderung:
„…sollen die russischen Soldaten oder der Putin doch krepieren, sie haben keinerlei Mitleid verdient.“

Helfen. Alles kurzfristige Helfen um das Leiden der Menschen am Krieg zu lindern oder sie aus dem Krieg herauszuholen wenn sie wollen ist zweifellos gut und notwendig, ohne Wenn und Aber.

Empathie wird aber auch problemlos gerade instrumentalisiert um die aktuellen Waffenlieferungen in den Krieg zu legitimieren (wir im Westen hatten schon ab 2014 Waffen vor diesem Krieg in die Ukraine geliefert…“Vorauseilende Empathie“?).

Das Leiden der Menschen verlängern wir also empathisch durch Kriegsverlängerung und unsere ach so gute Empathie wird auch funktionalisiert um über Nacht Aufrüstungsspiralen durch unsere Milliarden, also unsere Arbeitskraft, zu befeuern, was zwangsläufig neue Kriege provozieren wird, also neues Leiden, wie Friedensforscher analysiert haben. Dies zieht Finanzen von anderen Katastrophen ab, vor allem der Klimakatastrophe, wird so auch wieder anderes Leiden hervorrufen, verlängern und verstärken.

Wer also nur empathisch auf die Faktizität des Leidens und die vermeintliche 100% Schuld des angeblich alleinigen Aggressors starrt vermindert nicht nur Leiden (wenn er oder sie denn aktiv wird), sondern verstärkt und verlängert es offenbar auch stark, weitet es sogar aus auf neue Leidens-Orte und Zeiten, weil unsere Ressourcen nun mal begrenzt sind.

Wer in Empathie stecken bleibt und die Ursachen dieses und anderer Kriege weder versteht noch mindert (kann er ja nicht weil er sie nicht versteht) wird so nicht den Frieden fördern, sondern mehr Kriege mit vorbereiten, unterstützen und erleben und - bei den beteiligten atomaren Supermächten - das Überleben fast aller Menschen weiter aufs Spiel setzen.

Nützt uns dann noch Empathie? Ich fürchte nein. Empathie ohne ökonomisch-politisch-historisches Verständnis und daraus erwachsenes anderes politisches Handeln ist lebensgefährlich und insgesamt auf Dauer leider eine furchtbare Sackgasse, die neues und vermehrtes Leiden schafft.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden