Intelligent klickt gut

Fetisch Ein Schlagwort wabert durchs Netz: Sapiosexualität – Intelligenz ist das neue Ding. Aber woher kommt der Buzz?
Ausgabe 11/2017
Preparing for the new black
Preparing for the new black

Foto: H. Armstrong Roberts/Retrofile/Getty Images

Intelligente Menschen sind faul, unordentlich, haben weniger Freunde, fluchen mehr, prokrastinieren, nehmen eher Drogen und mögen Katzen lieber als Hunde. Der intelligente Mensch ist eine mediale Fetisch-Figur. Seriöse wie weniger seriöse Medien berichten in regelmäßigen Abständen über seine vermeintlichen Charakterzüge oder verbreiten biologistische Ursprungstheorien. Belege dafür liefern stets jüngste wissenschaftliche Studien.

Menschen, die sich selbst negativ konnotierte Eigenschaften zuschreiben, können dann „aufatmen“ oder „beruhigt“ sein, wie es die Huffington Post und der Focus schreiben. Denn aufgrund neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse ist ihre Schwäche nun eine Stärke und Ausdruck ihrer geistigen Überlegenheit und Kreativität.

Dass das Thema viel Anklang findet, bezeugen die Kommentarleisten. Die meisten Leserinnen und Leser freuen sich, dass sie sich nun wissenschaftlich erwiesen als besonders intelligent einstufen können. Weil ihre Wohnung ein Chaos ist, sie eine Katze besitzen oder aus Faulheit seit Wochen den Müll nicht mehr weggebracht haben. Diejenigen, die sich in der Opposition dazu wiederfinden, schweigen in der Regel.

Was denken sie sich wohl, die Ordnungsliebenden und Strebsamen? Vielleicht sind sie einfach zwanghaft ordentlich. Erkenntnisse aus der klinischen Psychologie besagen, dass bei zwangsgestörten Personen die sprachliche Intelligenz leicht über dem Durchschnitt liegt. Der Umkehrschluss, ordentliche Menschen seien weniger intelligent, wäre damit entkräftet. Aber wenn man viele Freunde oder eine Schildkröte hat? Muss man sich dann für dumm und minderwertig halten? Und was besagt das Buzzwort „Intelligenz“ genau? Die Wissenschaft ist sich uneinig darüber, was das überhaupt ist. Welches Intelligenzmodell den Studien oder Autoren als Grundlage dient, wird in vielen Artikeln verschwiegen.

Nach dem Dominoeffekt verbreiten sich die Thesen epidemisch im Netz. Vor einiger Zeit kursierte die Meldung, Intelligenz werde über das Erbgut der Mutter weitergegeben. Besonders für Frauenzeitschriften ein gefundenes Fressen. Die Brigitte etwa schrieb: „So, liebe Männer, jetzt müsst ihr ganz stark sein. Viele von euch bilden sich ja etwas darauf ein, dass ihre Kinder so etwas wie ihre kleinen Stellvertreter in der Welt sind …“ Dann wurde eine Autorin des Spiegel stutzig, recherchierte und entkräftete die Behauptung im Nu.

Seit etwa zwei Jahren wabert ein weiteres Schlagwort durch das Netz: Sapiosexualität. Sapiosexuell ist jemand, der durch geistreiche Aussagen einer anderen Person sexuell erregt wird. Abermals werden Studien aufgerufen. Sie behaupten, besonders Frauen seien sapiosexuell orientiert, da sie instinktiv die bessere Partie für ihren Nachwuchs witterten. Je ausgeprägter die Intelligenz eines Mannes, desto höher sei die Qualität des Spermas, maßen die Wissenschaftler zudem. It’s all about reproduction, so das biologistische Credo. Kommt daher das Bedürfnis, die eigene Intelligenz zu messen?

Oder geht es darum, Normen zu setzen und zu festigen? Nach dem Prinzip: Je höher eines Menschen geistige Leistungsfähigkeit, desto besser seine sozialen Aufstiegsmöglichkeiten? Die Entwicklungspsychologie ist sich in einem doch recht einig: Ab dem Grundschulalter kann an der Intelligenzschraube nicht mehr viel gedreht werden.

Eine weitere Korrelation tut sich auf, ganz ohne wissenschaftliches Fundament: Steht „Intelligenz“ im Titel, steckt oft Unfug im Text.

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