Spieleindustrie Die Gaming-Branche will ökologischer werden und pflanzt Bäume. Doch grün ist die Spieleindustrie noch lange nicht. Was muss passieren, damit Zocken am PC und der Konsole dem Planeten nicht schadet?
Wie grün ist das Gaming – von Playstation bis Xbox?
Illustration: Natalia Alicja Dziwisch für der Freitag
Schief zusammengezimmerte Hütten stehen neben halb zerfallenen Reaktortürmen, an denen Moos in den Himmel wächst. Dazwischen laufen Menschen in Lumpen durch karge Landschaften. So sieht eine typische Szene in dem 2021 erschienenen Strategie-Spiel Endzone – A World Apart aus. Die Aufgabe der Spielenden ist es, nach einer postnuklearen Katastrophe die Zivilisation wieder aufzubauen. Dabei geht es nicht nur um düstere Endzeitstimmung, sondern auch darum, mehr Bewusstsein für die Folgen des Klimawandels zu schaffen. „Wir haben gemerkt, dass dieses Thema und die gesellschaftliche Debatte darüber eine große Resonanz auch innerhalb unseres Teams hatten“, sagt der Entwickler Matthias Guntrum. Daraus habe sich die Idee entwickelt, ein Survival-Sp
Survival-Spiel zu schaffen, das sich mit der Frage beschäftigt: Wie schlimm kann es werden, wenn alles schiefläuft?Für rund zehn Euro mehr kann man die „Save The World“-Edition des Spiels erwerben. Für jede verkaufte Kopie wird in Kooperation mit der gemeinnützigen Organisation One Tree Planted ein Baum gepflanzt: Bis dato sind es über 60.000. Wer also etwas tiefer in die Tasche greift, kann durch das Zocken von Endzone richtig was tun für die Umwelt. Doch können Spiele eine moralische Lehrinstanz und ein Taktgeber in Sachen Klimawandel sein?Was ungewöhnlich klingt, ist längst kein Einzelfall mehr. Green Gaming heißt der Trend, an dem sich mittlerweile viele Spieleentwicker:innen beteiligen. Das US-Unternehmen Niantic nutzt seinen Kassenschlager Pokémon GO, um Baumpflanz-Initiativen zu unterstützen. Und wer sich 2019 auf der Gamescom für den Endzeit-Shooter DOOM Eternal interessierte, wurde mit einer ungewöhnlichen Marketing-Strategie überrascht: Anstatt Merchandise-Produkte herauszugeben, wurden für jede:n Spieler:in am Messestand 0,666 Quadratmeter Waldfläche gepflanzt. Die drei Sechsen waren eine lustig gemeinte Anspielung auf die teuflischen Heerscharen, gegen die man in DOOM antreten muss. Nachhaltigkeit ist in der Games-Branche zum Buzzword geworden. Fragt sich: Ist das Greenwashing? Oder kann Green Gaming tatsächlich einen Unterschied machen für unseren Planeten?85 Millionen KühlschrankeRelevant ist es allemal, was die Spielebranche zum Thema Klimawandel, Umwelt- und Artenschutz zu sagen hat. Denn: „Spiele können durch ihren immersiven Aspekt viel eindringlicher und direkter auf gesellschaftliche oder globale Probleme wie den Klimawandel hinweisen, als es andere Medien können“, meint Matthias Guntrum. In Spielen werden aus passiven Zuschauer:innen handlungsbestimmende Akteure. „Spiele haben daher die besondere Fähigkeit, direkter berühren zu können und zum Nachdenken anzuregen“, so Guntrum. Das sieht Felix Falk ähnlich. Er ist Geschäftsführer bei game, dem Verband der deutschen Games-Branche. „Als eines der wichtigsten Leitmedien unserer Zeit eignen sich Games, die ohnehin ein enormes Bildungspotenzial besitzen, hervorragend, um Umweltthemen zu vermitteln.“ In Spielen könne man sich mit wichtigen Fragen auseinandersetzen und das Gelernte ins reale Leben mitnehmen.Spiele wie Civilization IV, Die Sims 4: Nachhaltig leben oder Imagine Earth simulierten, wie sich Entscheidungen positiv oder negativ auf die Umwelt auswirken. Ein Beispiel: In der Lebens-Simulation Sims 4 werden den bisherigen Lebenszielen, die man zu Beginn des Spiels in der Charaktererstellung bestimmen kann, andere Ziele wie „Öko-Innovator“ hinzugefügt. Die Spielenden müssen dann bestimmte Karrierewege oder Beschäftigungen im Sims-Leben wählen, damit ihr Sim nicht nur glücklich und zufrieden ist, sondern seine Existenz auch dem Planeten zugutekommt.Ein Problem bleibt jedoch: Noch frisst es ziemlich viel Energie, wenn man den PC oder die Konsole anschmeißt für ein paar Stunden Entspannung. „Videospiele haben eine wesentlichen und bislang zu wenig beachteten Einfluss auf die globalen Emissionen“, meint Evan Mills.Er forscht zu diesem Thema am Berkeley Lab, einer Forschungskooperation der University of California und des United States Department of Energy. In der umfassenden und beispiellosen Studie „Toward Greener Gaming: Estimating National Energy Use and Energy Efficiency Potential“ arbeitete er 2019 gemeinsam mit anderen Wissenschaftler:innen heraus, wie drastisch der Einfluss von Videospielen auf die Umwelt ist. „Allein in den USA sind Videospiele für jährlich rund fünf Milliarden Dollar an Energiekosten verantwortlich. Das macht etwa 2,4 Prozent des Stromverbrauchs in den Privathaushalten aus“, so Mills. „Umgerechnet entspricht das etwa den Kohlendioxid-Emissionen von 85 Millionen Kühlschränken oder fünf Millionen Autos.“ Auch in Deutschland ist der Energieverbrauch durch Videospiele hoch. Kein Wunder: 34 Millionen Deutsche spielen inzwischen regelmäßig.Viel Strom verbrauchen dabei nicht nur die Konsolen und Gaming-PCs selbst, sondern auch die Serverleistung, die gebraucht wird, um Spieler:innen weltweit zu vernetzen – etwa in Online-Multiplayer-Spielen oder beim Cloud-Gaming. Seit den Anfängen der Spieleindustrie in den 1970er Jahren ist die Rechenleistung der Geräte um ein Vielfaches gestiegen. Die Grafik in Spielen wirkt mittlerweile fast lebensecht – auch das geht auf Kosten des Energieverbrauchs. Und: Die Anzahl der Spielenden steigt weltweit. Ein Drittel der Weltbevölkerung spielt. Trotz dieser Tatsache gibt es bislang laut Evan Mills zu wenig Forschung zum Problem. Und auch in der Branche selbst sowie in Politik und Öffentlichkeit werde das Thema stiefmütterlich behandelt. Global gesehen, so die Studie, sei das ein sträflich ignoriertes Pulverfass.Dabei gäbe es wirkungsvolle Stellschrauben. Zentral dabei: „Das Verhalten der Spieler:innen macht einen maßgeblichen Unterschied: auf welchen Geräten und wie viel gespielt wird“, so Mills. Sinnvoll wäre außerdem ein Richtsystem für Spiele, das Konsument:innen etwa per Ampel-Label den Energieverbrauch des jeweiligen Spiels anzeigt und diesen dadurch informierte Kaufentscheidungen ermöglicht. Forschende um Evan Mills haben hier schon Vorarbeit geleistet: Auf der eigens eingerichteten Webseite greeningthebeast.org können sich Spielende umfassend informieren, wie viel Strom die einzelnen Spiele verbrauchen. Auch auf Software- und Hardware-Ebene gibt es laut Mills enormes Verbesserungspotenzial: „In manchen Spielen, die wir gemessen haben, wurde im Standby-Modus genauso viel Energie gebraucht wie im aktiven Spiel selbst.“ Solche Energieverschwendung ließe sich technisch leicht vermeiden. Ansätze zu solchen Veränderungen gibt es bereits.Die schiere Anzahl an Spielen, die grüne Themen in den Blick nehmen, lässt hoffen. Es gibt Nischen-Spiele wie Endling: Extinction is Forever oder Beyond Blue, die aufrütteln wollen. Doch Triple-A-Spiele wie Horizon Zero Dawn oder Death Stranding haben das Green Gaming schließlich blockbuster-tauglich gemacht.Grüne Bestien2019 gründeten die Vereinten Nationen das geförderte Umweltprogramm „Playing for the Planet“. Der Allianz haben sich mittlerweile mehr als 40 Unternehmen angeschlossen, darunter große Namen wie Microsoft, Playstation oder Ubisoft. Zusammen haben diese eine Spieler:innenbasis von über einer Milliarde Menschen, die für Umweltthemen sensibilisiert werden könnten. Auf dem jährlichen „Green Game Jam“ nehmen die beteiligten Spielestudios gezielt grüne Themen in den Fokus. 2021 wurden im Zuge des Festivals etwa 266.000 Bäume gepflanzt, 800.000 US-Dollar gesammelt und insgesamt informieren sich rund 130 Millionen Spieler:innen weltweit über die dort thematisierten ökologischen Initiativen. Zugleich verpflichten sich die Mitglieder von „Playing for the Planet“ zu umweltschonenden Maßnahmen. Die Selbstverpflichtung ist freiwillig. Doch immerhin geben 60 Prozent der Unternehmen an, bis 2030 komplett CO₂-neutral sein zu wollen.Auch in Deutschland ist man sich der Bedeutung bewusst: „Für uns als Games-Branche ist der Klimawandel ein besonders wichtiges Thema“, meint Felix Falk vom Bundesverband game. „Die Branche arbeitet auf vielen verschiedenen Wegen daran, ihren Beitrag zu mehr Umwelt- und Klimaschutz zu leisten: ob durch die Entwicklung von Spielen, die sich mit dem Thema beschäftigen, oder durch das Engagement und Nachhaltigkeitsinitiativen der Games-Unternehmen.“ Spiele und Studios mit umwelt- und sozialverantwortlicher Dimension stehen hoch im Kurs. Ein Beispiel: Das Aufbauspiel Imagine Earth des Braunschweiger Studios Serious Brothers stellt nachhaltiges Ressourcenmanagement in den Fokus und wurde deswegen 2022 mit dem Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet.Seit 2021 ist auch der deutsche Branchenverband game Teil der von den Vereinten Nationen gegründeten Allianz „Playing for the Planet“. Der Verband geht mit gutem Beispiel voran: „In unserer Geschäftsstelle in Berlin arbeiten wir seit 2021 klimaneutral“, so Falk. Außerdem sei die Nachhaltigkeitsinitiative „gamescom goes green“ wegweisend. Mit dieser werde die weltweit größte Spielemesse zum „ersten klimafreundlichen Event dieser Größe weltweit“. Die Gaming-Industrie tut viel, um grüner zu werden. Doch reicht das?Nach Ansicht von Forscher:innen wie Evan Mills braucht es eine tiefere Auseinandersetzung mit den CO₂-Spuren, die die Branche hinterlässt. Und dann eine ehrliche Gegenrechnung: Wenn Spielestudios Bäume pflanzen lassen und zugleich Rekordemissionen verzeichnen, bliebe das eine Milchmädchenrechnung. So passiert im Fall von Sony: Der Mega-Konzern fügte im Jahr 2022 als medienwirksamen Teil des „Green Game Jam“ seinem Blockbuster Horizon Zero Dawn eine Spiel-Trophäe hinzu, die verspricht, dass für jede:n Spielende:n ein paar Bäume in der echten Welt gepflanzt werden. Zugleich aber waren sowohl die Emissionen als auch der Ressourcenverbrauch der Sony-Spielekonsolen im Jahr 2020 so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Ein paar Bäume zu pflanzen, wirkt da im Vergleich eher wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.Grundsätzlich positiv ist: Ein Großteil der Spielenden ist laut einer Umfrage der Initiative „Playing for the Planet“ überzeugt davon, dass Videospiele helfen können, für Umweltthemen zu sensibilisieren. Zwei Drittel der Befragten geben an, dass sie auch bereit wären, sich etwa über Spenden selbst aktiv zu engagieren, wenn Spiele es schaffen, Umweltthemen so zu integrieren, dass es dem Game-Erlebnis zugutekomme oder eine gute Sache unterstützt würde. Klimawandel und Umweltschutz-Themen sind also kein Abtörner für die Gaming-Community.Und auch aufseiten der Spieleentwickler:innen gibt es ein zunehmendes Bewusstsein für die Thematik. Mit viel Potenzial, meint Matthias Guntrum: „Als Teil der Unterhaltungsindustrie sollte uns bewusst werden, dass wir da eine große Chance haben, am Wandel mitzuwirken. Die dürfen wir nicht verstreichen lassen.“ Jetzt muss die Branche nur noch aufhören mit dem Kompensieren und stattdessen echte CO₂-Einsparungen hinbekommen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.