Das Alles-ist-möglich-Tool

Ausdifferenzierung Crowdfunding ist längst im Mainstream angekommen. Trotzdem finanzieren auch viele Independent-Projekte und Idealisten weiter ihre Ideen so
Ausgabe 35/2015

Jeder Europäer spendet drei Euro, um Griechenland zu retten. Eine simple Idee, die Thom Feeney Ende Juni auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo präsentierte. Mehr als 100.000 Menschen unterstützten das Projekt mit knapp zwei Millionen Euro. Das war zwar nur ein Bruchteil der 1,6-Milliarden-Euro-Rate, die Griechenland da gerade an den Internationalen Währungsfonds zahlen sollte. Wirkung hatte die Kampagne des 29-jährigen Briten aber trotzdem, ging von ihr doch ein starkes Zeichen der Solidarität aus. Zudem rückte sie als politische Aktion das Prinzip Crowdfunding in ein neues Licht. Wenn jeder einen kleinen Teil beiträgt, so scheint es, ist vieles möglich – selbst die Rettung eines Staates. Es ist das große Versprechen dieser Form des Geldeinsammelns: Ideen lassen sich im Kollektiv verwirklichen, und das unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Interessen weniger Mächtiger.

Mehr als zehn Jahre ist Crowdfunding nun alt. Zeit für eine erste Bilanz: Was ist aus den teils hochtrabenden Visionen geworden, den Zugang zu Kapital radikal zu demokratisieren? Crowdfunding ist eine Idee, die von Musikern in den USA erfunden wurde. Es sichert vielen Musikern nicht nur das Überleben in Zeiten digitalen Raubkopierens, sondern verschafft ihnen auch Unabhängigkeit von kommerziellen Labels. So haftet dem Tool seit Beginn etwas Rebellisches an. Wer die Masse im Netz anpumpt, so der ursprüngliche Gedanke, will Freiheit und nichts zu tun haben mit konservativen Banken oder Investoren.

Noch in den Kinderschuhen

Was Crowdfunding auch besonders macht, sind aber die oft verrückten Ideen. Diese würden am herkömmlichen Markt schwer an Geld kommen. Denn institutionelle Investoren geben lieber Geld für etwas, das in der Vergangenheit bereits erfolgreich war – seltener für etwas, was sich erst noch beweisen muss und obendrein schwer einzuordnen ist. Wie etwa der überdimensionale Rechen, der Müll aus den Meeren filtern kann. Diese Idee eines niederländischen Studenten wurde durch den Schwarm mit rund zwei Millionen US-Dollar unterstützt (der Freitag 40/2014).

In Deutschland ist Crowdfunding erst seit etwa vier Jahren ein Thema. Bis sich die Idee durchsetzte, dass Kunstprojekte oder ganze Unternehmen privat und über das Internet finanziert werden können, brauchte es Zeit. Heute gibt es mehr als 20 deutsche Plattformen. Allein auf Startnext – Deutschlands größter Crowdfunding-Plattform – stehen derzeit 400 verschiedene Projekte online, ein Großteil davon aus dem Kultur- und Sozialbereich. Im Durchschnitt findet jedes Projekt mehr als 100 Unterstützer. Die Erfolgsquote im deutschen Raum liegt bei knapp 60 Prozent.

Vor zwei Jahren scheiterte noch jedes zweite Projekt. „Crowdfunding ist alles andere als ein sicherer Weg, eine Idee umzusetzen“, sagt Markus Schranner, der junge Unternehmen in der Gründungsphase berät. Im medialen Crowdfunding-Hype geht oft unter, dass es sich hierzulande noch um eine absolute Nische handelt. In den vergangenen vier Jahren haben knapp 3.000 Crowdfunding-Projekte etwa 16 Millionen Euro über die deutschen Plattformen eingesammelt. Aber allein die Kreditanstalt für Wiederaufbau spricht in ihrem Geschäftsbericht von 2,8 Milliarden Euro, mit denen sie 2014 über 34.000 Gründungsvorhaben unterstützt habe. Zudem gibt es in Deutschland praktisch keine Studien darüber, ob die durch die Masse finanzierten Projekte am Markt bestehen bleiben.

Nicht jede Idee ist zudem Crowdfunding-geeignet. Komplexe Projekte haben es schwer. „Wer die Leute begeistern will, sollte in der Lage sein, eine gute Geschichte zu erzählen und seine Idee auf den Punkt zu bringen“, sagt Anna Theil, die bei Startnext für Kommunikation zuständig ist. Dass Crowdfunding besonders erfolgreich ist, wenn die Idee den Nerv der Zeit trifft, zeigt das Beispiel des Supermarkts Original Unverpackt in Berlin-Kreuzberg. Über 4.000 Menschen unterstützten mit mehr als 100.000 Euro die Idee eines Supermarkts, der ganz ohne Verpackung auskommt.

Oft aber kann auch eine erfolgreiche Kampagne ein Projekt nur teilweise finanzieren. Grund dafür sind die Kosten, die durch Crowdfunding anfallen. Dazu zählen die versprochenen Gegenleistungen an die Unterstützer genauso wie die Provision für die Plattform. In der Regel liegt die Abgabe zwischen fünf und neun Prozent. Bei Startnext steht es den Nutzern offen, wie viel sie spenden wollen. Anna Theil weiß, dass eine Spanne bestehen kann zwischen dem, was Initiatoren erwarten, und dem, was am Ende von der Kampagne übrig bleibt. „Aber das Netzwerk von neuen Unterstützern, Kunden und Botschaftern ist gerade für Gründer und Kreative wertvoll. Auch wenn das nicht alles auf den ersten Blick finanziell messbar ist“, sagt sie.

Um die Aufmerksamkeit des Schwarms muss man als Initiator unermüdlich werben, und das schon lange vor der Kampagne. Zum Beispiel das Start-up Brüder Gleich aus Hamburg. Über Crowdfunding hat es die ersten Kosten für die Produktion eines veganen Joghurts finanziert. Mehr als drei Monate hat es sich auf die Kampagne vorbereitet. Das Drehen des Projekttrailers, in dem das Gründerduo im weißen Kittel im Labor steht und im eigens entwickelten Joghurt rührt, war nur ein kleiner Teil der Arbeit. In der analogen Welt schickte das Start-up sein Produkt an Blogger aus der Veggie-Szene, erzählte so vielen Menschen wie möglich von der Idee und postete regelmäßig bei Facebook. So baute sich langsam ein Netzwerk an Unterstützern auf. „Die Nutzer schrieben uns direkt im Chat, was besser gemacht werden kann“, sagt Rocky Wüst von Brüder Gleich. Die digitale Präsenz sei ein Vollzeitjob gewesen, aber lohnenswert. „Wir haben dadurch ein besseres Gefühl dafür bekommen, was am Markt funktioniert.“ So schafft Crowdfunding nicht nur erste Kunden ran, sondern liefert auch eine Analyse des Marktes mit.

Der Erfolg der Schwarmfinanzierung ist nicht denkbar ohne das Internet. Eine Idee wird entdeckt, auf den sozialen Netzwerken wird sie geteilt, hier verbreitet sie sich rasend schnell. Die kleinen Beiträge, die über das Netz eintrudeln, beweisen außerdem, dass sich Unterstützung nicht nur in Kommentaren und Likes ausdrücken muss. Nicht mehr haltbar ist die These, dass der Nutzer im Internet nichts zahlen möchte. Mit Blick auf die Zahlungsbereitschaft steckt das deutsche Crowdfunding im Vergleich zum US-Markt aber noch in den Kinderschuhen. Zwischen 5.000 und 15.000 Euro visieren Projekte der hiesigen Plattformen an. Auf den großen US-Plattformen Kickstarter und Indiegogo erreichen sie nicht selten den Millionenbereich.

Schon lange werden auf diesen nicht mehr nur brotlose Autoren, Filmemacher oder Musiker unterstützt. Besonders Kickstarter hat sich zum Verkaufsumfeld für Unterhaltungselektronik und Spiele entwickelt. Die New York Times bilanzierte 2013, dass in der Masse zwar Filme und Musik gefördert werden, die Spitzenumsätze aber im Bereich Design, Spiele und Technologie gemacht werden. Dort erreichen die Produkte durchschnittlich Finanzierungen von rund 30.000 US-Dollar, bei Filmen, Musik und anderen Kulturprojekten werden lediglich 5.000 bis 8.000 Dollar erzielt.

Nur was hat das noch mit der ursprünglichen Idee zu tun? „Die Vorstellung, dass Crowdfunding ausschließlich für kleine, mittellose Projekte genutzt wird, ist einfach falsch“, sagt Karsten Wenzlaff, Gründer des Berliner Instituts für Kommunikation in sozialen Medien (Ikosom). Seine Beobachtung: Auch große Player haben die Schwarmfinanzierung längst für sich entdeckt. So sucht der Autobauer BMW auf Startnext nach neuen Ideen zur Mobilität. Und die vom Musikgiganten Universal finanzierte Plattform Musicstarter crowdfundet ganze Musikerkarrieren.

Crowdfunding ist damit längst nicht mehr die Waffe des Underdogs gegen die Mächtigen, sondern im Mainstream angekommen. Zudem scheint es ein ziemlich kapitalistisches Tool geworden zu sein. Wenzlaff aber möchte das so nicht gelten lassen. „Es gibt nicht das eine Crowdfunding. Man findet auf den Plattformen Ideen für Konsumprodukte – genauso wie für alternative Projekte.“

Investing, Lending, Funding

Dass es nicht nur eine Form der Schwarmfinanzierung gibt, zeigt ein Blick auf die unterschiedlichen Beteiligungsformen. Beim Crowdinvesting wird der Geldgeber am Gewinn beteiligt. Crowdlending nennt es sich, wenn die Unterstützer für ihre Beteiligung eine feste Rendite bekommen. Tatsächlich gespendet werden kann für gemeinnützige Projekte. Das mit Abstand in der Öffentlichkeit bekannteste Konzept ist eben jenes Crowdfunding, bei der die Unterstützer eine vorher festgelegte Gegenleistung bekommen. Reward-based Crowdfunding nennt sich das im Fachjargon.

Im Falle einer erfolgreichen Griechenland-Rettung per Crowdfunding hätte der Unterstützer eine Postkarte mit dem Konterfei von Alexis Tsipras bekommen oder einen griechischen Salat. „Beim klassischen Crowdfunding geben die Leute Geld, weil sie die Idee gut finden und sich mit dem Projekt identifizieren“, sagt Anna Theil. Das sei bei politischen und sozialen Kampagnen besonders stark ausgeprägt. Wird für Konsumprodukte geworben, steht meist ein anderes Motiv im Vordergrund. „Da geht es eher um das innovative Dankeschön“, sagt Theil. So wie bei der intelligenten Uhr Pebble, die auf Kickstarter wahnsinnige 20 Millionen US-Dollar einbrachte. Die Unterstützer sicherten sich mit der Teilnahme eines der ersten Exemplare.

Obwohl die Crowdfunding-Szene ständigen Veränderungen unterliegt, bleibt ein Prinzip immer bestehen: Es gibt keine Gatekeeper, so dass jeder die Chance hat, seine Idee vorzustellen. Stets soll die Masse entscheiden, was erfolgreich ist. Das sehen auch die Plattforminhaber so. „Crowdfunding soll ja nicht die öffentliche Förderung ersetzen“, sagt Theil. Bekämen ethisch fragwürdige Projekte eine Chance? „Das würden wir dann im Team besprechen.“

Naiv ist aber der Unterstützer, der glaubt, er habe durch seinen finanziellen Beitrag ein langfristiges Recht auf Mitbestimmung am Projekt. Große Diskussionen im Netz löste der Verkauf der Virtuellen-Realitäts-Brille Oculus Rift an Facebook aus. Das Projekt wurde komplett durch den Schwarm finanziert. Auch empörte sich die Masse, als das von ihr finanzierte fliegende Hoverbike an das US-Militär verkauft wurde. Mehr als einen Shitstorm lostreten und ihre Wut in den Netzwerken zum Ausdruck bringen, kann die Crowd aber nicht.

„Crowdfunding ist eigentlich nichts anderes als ein Kaufvertrag zwischen Initiator und Unterstützer“, sagt Karsten Wenzlaff. Mit Erfüllung der Gegenleistung endet der Vertrag. Da hilft es, Crowdfunding realistisch zu betrachten: Soziale und politische Projekte bekommen durch den Schwarm eine Chance auf Verwirklichung, genauso wie sinnfreie Ballerspiele. Freiheit steht auf der einen Seite, der Druck, die Gunst der Masse zu gewinnen, auf der anderen. Crowdfunding schafft zwar ein digitales Wir-Gefühl, das in der realen Welt aber schnell an Grenzen stößt. Es ist vielleicht die demokratischste Form der Kapitalbeschaffung – und gleichzeitig auch ein riesiges Marketinginstrument.

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