Ist Soja so schlimm wie Fleisch?

Essen Vegane Produkte wie Tofu gibt es heute in jedem Discounter. Oft aber wird der Rohstoff dafür importiert. Das könnte sich bald ändern
Ausgabe 43/2016

Vor ein paar Wochen hat Jan Wittenberg seine pelzigen braunen Schoten geknackt und die gelben Bohnen darin geprüft. Im Sommer stand er jeden Tag auf seinem Sojafeld. „Als die Bohnen erbsenrund in ihrer Schote geklappert haben, da waren sie reif“, erklärt der 48-Jährige zufrieden. Inzwischen ist die Ernte eingebracht und Wittenberg steht neben der Ölmühle, die zu seinem Hof gehört: Sie verarbeitet nun die Sojabohnen.

Wittenberg, der seine Haare zu einem Zopf gebunden hat und einen blauen Landrover fährt, ist Bioland-Bauer in Malehrten im Landkreis Hildesheim und damit eine Ausnahmeerscheinung in der Gegend. Denn seine wilden Felder sind umgeben von akkuraten Mais-Monokulturen der konventionellen Landwirte. Stets lässt er drei Meter Grünstreifen zwischen seinen und den anderen Feldern, damit die Pestizide des Nachbarn keine Chance haben, sich unterzumischen. Dass die Leute in der Gegend ihn misstrauisch beäugen, liegt auch daran, dass Wittenberg vehement für eine solidarische und ökologische Landwirtschaft eintritt. Regelmäßig fährt er zu Demonstrationen, weil „die großen Konzerne mit ihrer Gier weltweit unser aller Lebensgrundlage zerstören“. Wittenberg könnte dazu weiter ausholen. Aber heute soll es ja um die Sojabohnen gehen.

Der Mann ist einer der ersten Landwirte Norddeutschlands, die sich an Soja herangetraut haben. Eigentlich liebt die Pflanze Wärme und deshalb ganz andere Klimazonen. Aber Obelix etwa, eine Sorte, die auf Wittenbergs Feld steht, wächst gut in Norddeutschland. „Es gelingt, wenn die Sorte schnell ist“, erklärt er. Auf 15 Hektar standen bis vor ein paar Wochen die braunen, kniehohen Stängel nebeneinander, an jedem mehrere Dutzend Schoten mit zwei bis drei Sojabohnen darin.

Bereits seit acht Jahren sät Wittenberg Soja aus. Immer verschiedene Sorten und stets auf einem anderen Feld. „Soja hält mich auf Trab“, sagt er. Ständig hat er das Unkraut vom Feld entfernen müssen. Als Bio-Bauer geht das nur mit Hacke oder Striegel, einer Maschine, deren nach unten zeigende Metallhaken das Unkraut ausreißen und mit der Erde verschütten.

Wittenberg ist fasziniert von seiner Pflanze, er erklärt deren Eigenarten in fast liebevollem Tonfall: „Soja gehört ja zu den Leguminosen. Es holt sich den nötigen Stickstoff aus der Luft und speichert ihn im Boden.“ Dank dieser für viele Hülsenfrüchte typischen Eigenschaft düngt Soja sich quasi von selbst. Wegen des hohen Eiweißgehalts nennen es manche sogar eine Wunderpflanze: eine halbe Tasse Bohnen liefert in etwa so viel Eiweiß wie ein 150-Gramm-Steak.

Wittenberg verkauft seine verarbeiteten Bohnen an verschiedene Betriebe, etwa an die kleine Manufaktur Soy Rebels in Berlin, die aus der Rohmasse bei Vegetariern und Veganern beliebte Produkte herstellt und ausliefert: Oliventofu, Räuchertofu-Hanf oder „Drei-Farben-Tofu“ mit Karotten, Lauch, Sellerie und Magnesiumchlorid.

„Bei Soja haben viele gleich Bilder vom Bioladen im Kopf“, sagt Bauer Wittenberg. Doch Tofu oder Sojamilch sind heute auch in den Kühlregalen eines jeden Discounters zu finden. Viele Konsumenten mögen die alternative Proteinquelle, gerade auch weil gebratenes Soja dem Geschmack von Fleisch stark ähnelt.

Und fleischlos ernähren sich inzwischen bereits mindestens zehn Prozent aller Deutschen, schätzt der Vegetarierbund. Entsprechend ist der Umsatz von Sojaprodukten in den vergangenen Jahren nach oben geschnellt. „Es ist ein richtiger Hype um die Pflanze entstanden“, sagt Wittenberg. Das hat aber nicht nur mit nachhaltiger Ernährung zu tun. Rund 90 Prozent der Bohnen landen im Futtertrog von Schweinen und Geflügel. Der Rest wird zu Agrartreibstoffen verarbeitet oder zur Herstellung von Margarine benutzt. Nur ein Prozent der Bohnen landet direkt auf unserem Teller.

Bei Umweltschützern in Europa hat Soja außerdem einen schweren Stand, weil der Kontinent 80 Prozent seines Bedarfs importiert. Einen ebenso hohen Anteil an der weltweiten Nachfrage decken die Haupterzeugerländer USA, Brasilien, Argentinien und Paraguay ab. In Südamerika wächst Soja meist in riesigen Monokulturen auf abgeholzter Regenwaldfläche, Pestizide verseuchen die Böden und das Wasser. Und bei den exportierten Massen handelt es sich zum Großteil um gentechnisch veränderte Pflanzen, deren Anbau in Europa verboten ist. Süd- und nordamerikanische Großbauern hingegen dürfen Gen-Soja nutzen. Es lässt sich unkomplizierter anbauen und bringt höhere Erträge.

Genfutter und Raubbau

Allein in Brasilien gelten nach Angaben des britischen Zertifizierungsspezialisten Cert-ID mehr als drei Viertel der angebauten Mengen als gentechnisch verändert. So werden nicht nur alte, regionale Sorten verdrängt. Die Bauern machen sich zugleich abhängig von wenigen Großkonzernen, die das genveränderte Saatgut und die nötigen Pestizide über ihre Oligopole vermarkten.

Schaden Menschen dem Klima und der Umwelt also mehr, wenn sie statt Fleisch viel Soja essen? Nein, sagt der Ernährungswissenschaftler Markus Keller vom Institut für alternative und nachhaltige Ernährung in Gießen. „Wer täglich Sojaprodukte isst, schadet dem Klima weit weniger als ein durchschnittlicher Fleischesser. Denn Fleischesser konsumieren im Vergleich zu Vegetariern oder Veganern ein Vielfaches an Soja – und zwar indirekt über die Futtermittel.“ Berechnungen des WWF zufolge vertilgt jeder EU-Bürger durchschnittlich 60 Kilogramm Soja im Jahr, und zwar hauptsächlich indirekt über den Verzehr von Fleisch. Für 100 Gramm Hühnerfleisch werden etwa 100 Gramm Soja verfüttert. Für 100 Gramm Käse braucht es hingegen nur ein Viertel davon.

Mit Blick auf die Klimabilanz schneidet Tofu gegenüber Steaks also deutlich besser ab. Dennoch: Ein reines Umweltgewissen verschaffen nur jene Soja-Würstchen aus gentechnisch-freiem Soja, das außerhalb einer Monokultur wachsen durfte und für das kein Regenwald gerodet wurde. Eben darum soll die wärmeliebende Sojapflanze in ganz Deutschland heimisch werden – das ist das Ziel von „Tausend Gärten“, einem gemeinsamen Forschungsprojekt der Landessaatzuchtanstalt (LSA) der Universität Hohenheim mit dem Soja-Hersteller Taifun aus Freiburg. Taifun, einer der größten Produzenten Europas, bezieht 90 Prozent seines Biosojas aus Süddeutschland, Österreich und Frankreich sowie weitere zehn Prozent aus Kanada. Doch in Zukunft soll Soja nicht nur in besonders sonnenreichen Regionen wie Baden, dem Elsass oder dem Carnuntum nahe Wien wachsen. Sondern „vom Alpenrand bis an die Waterkant“. Das Projekt Tausend Gärten erforscht, unter welchen Bedingungen die Pflanze gut gedeiht und welche Sorten besonders viel Ertrag zur Tofuherstellung abwerfen.

Anfang des Jahres suchten die Forscher bundesweit freiwillige Hobbygärtner, die verschiedene Sojasorten in ihren Beeten sähen und ihre Entwicklung über das Jahr beobachten würden. Es meldeten sich doppelt so viele Interessierte wie erwartet, 2.400 Gärtner erhielten Samentütchen mit dem immer gleichen Inhalt. Im projekteigenen Blog tragen die Teilnehmer nun Neuigkeiten zu 16 vorgegeben Kategorien rund um ihre Pflanzen ein. „Wir brauchen Informationen über den Blühzeitpunkt, die Höhe der Sojapflanzen und das Reifedatum“, sagt Martin Miersch, der das Projekt für Taifun betreut. Zurzeit bekommen die Forscher der LSA Hohenheim viele Tütchen mit geernteten Sojabohnen zugeschickt. Forscher wie Hersteller erhoffen sich von dem Experiment, vier bis fünf neue Sorten zu entwickeln, die sich für den Anbau in Mitteleuropa besonders gut eignen. Bis zu ihrer Zulassung in Deutschland allerdings können dann bis zu drei Jahre vergehen.

Direkt auf den Teller

Im Fokus stehen die Eigenschaften der Bohne zur Tofuherstellung. „Wir möchten, dass mehr Soja direkt auf unsere Teller kommt, anstatt den tierischen Umweg zu gehen. Unser Soja sollte dann eben auch vermehrt aus Deutschland kommen“, sagt Miersch. Die nächsten Schritte sehen vor, den Eiweißgehalt der Bohnen zu testen. Wenn dann später die Rohmasse zu Tofu verarbeitet worden ist, werden Geschmack und Konsistenz geprüft. Laut Miersch erzielen bisher vor allem Bohnen aus Süddeutschland die besten Geschmacksnoten, einfach weil das Klima dort milder ist. Die Mehrheit der heute insgesamt 120, überwiegend konventionell wirtschaftenden Sojabauern in Deutschland sind daher in Baden-Württemberg und Bayern zu Hause.

Der Bund fördert die Forschung rund um den Sojaanbau in Deutschland im Rahmen seiner „Eiweißpflanzenstrategie“. Der Anbau von heimischen Eiweißfuttermitteln reduziere nicht nur die Abhängigkeit von Importen, sondern verbessere auch die Versorgungssicherheit für die Bauern, stärke regionale Wirtschaftskreisläufe und diene dem Klimaschutz, steht in der Strategie. Landwirte säen beispielsweise Klee, damit sich ihre Böden regenerieren können. Doch auch Soja verschafft dem Boden Erholung. Und seinen Soja kann der Landwirt am Ende auch verkaufen. Die Förderung von ganz oben zeigt Wirkung: Wurden 2012 auf etwa 5.000 Hektar Sojabohnen angebaut, waren es 2014 bereits rund 10.000 Hektar und im letzten Jahr 17.000 Hektar. Aber die Fläche für Mais ist immer noch mindestens 150 Mal so groß.

Biolandwirt Jan Wittenberg findet die politische Soja-Offensive an sich richtig. Doch mehr Bauern sollten direkt loslegen, statt auf ewig auf Forschungsergebnisse zu warten. „Ich habe ja auch einfach angefangen. Und das, obwohl Soja als Exot galt, erst recht in Norddeutschland“, sagt er. Dass sich Soja aus Norddeutschland aus Geschmacksgründen nicht für Tofu eigne, wie manche Forscher meinen, kann er nicht nachvollziehen: „Schmeckt einwandfrei.“

Dabei ist Soja für Wittenberg inzwischen fast ein alter Hut. Er probiert schon Neues aus, experimentiert beispielsweise mit der Weißen Lupine. Das ist eine eiweißhaltige Feldfrucht, die bisher eher im Mittelmeerraum verbreitet ist.

Und sein Sojafeld im nächsten Jahr wegen des ganzen Hypes um die Pflanze zu vergrößern, das lehnt Jan Wittenberg mit Nachdruck ab. „Da wäre ich ja ganz schnell bei einer Monokultur und nicht besser als die konventionelle Landwirtschaft.“ Auf den knapp 150 Hektar Fläche, die er insgesamt bewirtschaftet, wachsen immer acht verschiedene Früchte. Das soll in Zukunft so bleiben.

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