Julia Bröhme*,
30, ist nach einer achtjährigen romantischen Liebe bei Tinder
Ich bin mit dem klassischen Liebesbegriff aufgewachsen. Geprägt haben ihn meine Eltern, die seit über 30 Jahren verheiratet sind. Jahrzehntelanges Zusammenbleiben ist Arbeit. Sie beide mussten Bedürfnisse und Wünsche begraben. Dafür haben sie seit Jahrzehnten einen jeweils geschätzten Menschen an ihrer Seite. Und trotz Schwierigkeiten wünschen sie sich keinen anderen Partner für die noch kommenden Jahre. Das beeindruckt mich.
In meinem Freundeskreis werden Beziehungen, zumindest offiziell, meistens monogam geführt. Hin und wieder findet sich schon die ein oder andere geöffnete Beziehung, in der der Partner zwar eindeutig, aber die sexuelle Exklusivität gelockert ist. Aber es ist definitiv nicht die Regel.
Die achtjährige Beziehung, aus der ich komme, war eine klassische Beziehung, auch wenn wir immer in verschiedenen Städten gewohnt haben. Am Ende habe ich vorgeschlagen, die Beziehung in sexueller Hinsicht zu öffnen. Ich habe das ernst gemeint. Zu dem Zeitpunkt war es wohl nur noch mein letzter Rettungsversuch. Ich wusste da schon, dass mein Freund eine Affäre hat. Vermutlich wollte ich ihn mit diesem Schritt bei mir halten.
Unser Umfeld hat uns am Anfang nicht ansatzweise zugetraut, dass aus uns mal eine tiefe Liebe und lange Beziehung werden würde. Wir sind beide ziemliche Partygänger. Er wurde Liebender und bester Freund zugleich. Ich hatte zweimal nächtliche Fehltritte, die ich zutiefst bereut habe. Es hat mir nichts gegeben, nur ein schlechtes Gewissen. Nach einigen weiteren Jahren hat mein Freund dann eine Affäre begonnen, in die er sich verliebt hat. Das war mit vielen Lügen verbunden, und irgendwann war klar, dass ich mich nicht mehr auf ihn verlassen kann. Er war nicht mehr wirklich da. Da ging es dann mit Tränen auseinander, obwohl wir uns beide noch liebten. Aber das Vertrauen war weg.
Die acht Jahre haben mich verändert. Davor habe ich gar nicht an diese große Liebe geglaubt, mittlerweile kann ich das. Letztlich musste ich schmerzlich erfahren, dass auch eine tiefe Liebe scheitern kann. Eine Liebe muss gepflegt werden und ist, auch wenn es sich nach vielen Jahren so anfühlt, nichts Selbstverständliches. Sie überlebt nicht einfach so. Liebe, die einem wie ein sicheres Zuhause vorkommt, ist immer wieder harte Arbeit. Das klingt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch. Aber es ist die Wahrheit, das muss man wollen.
Seit ein paar Monaten nutze ich die Online-Plattform Tinder, doch Dates hatte ich darüber kaum. Damit ich Menschen interessant finde, muss ich mit ihnen reden, ihre Gestik, Mimik, auch ihren Körper sehen. All das bietet mir Tinder nicht. Verlockend ist natürlich, dass man seinen „Marktwert“ checken kann, frei nach dem Motto: Oha, schon wieder 30 neue gutaussehende Matches. Dating-Portale sind eigentlich eine gute Sache. Sie bieten mir die Möglichkeit, neue Leute kennenzulernen. Die fallen ja nicht vom Himmel, vor allem wenn man einen alteingesessenen Freundeskreis hat und viel arbeitet.
Ich genieße jetzt meine Freiheit. Doch irgendwann bin ich auch wieder bereit für eine Beziehung. Vorstellungen, wie diese zu sein hat, habe ich keine. Dazu gehören ja immer zwei. Wenn ich eines gelernt habe, dann ist es, dass die Beziehung nicht dieses Label „klassisch“ tragen muss. Monogam sein, zusammen wohnen oder heiraten müssen, das zählt doch nicht. Diese Vorstellungen, wie eine romantische Liebe zu sein hat, sind von der Gesellschaft hervorgebrachte Konstrukte. Wichtiger ist mir, dass man ehrlich zueinander ist und das dann auch in Liebe lebt.
* die Namen aller unserer Gesprächspartner wurden geändert
Susanne Schwarz,
52 Jahre, lebt mit Frank in einer funktionierenden Patchwork-Familie
Frank und ich bringen beide Kinder aus anderen Beziehungen mit. Ich habe einen 18-jährigen Sohn, er eine 14 Jahre alte Tochter. Zwischen uns gefunkt hatte es bei einem Abendessen einer gemeinsamen Freundin. Sie hatte das extra organisiert. Da ich schon viele Jahre Single war, dachte sie wohl, dass das zwischen uns mal in Angriff genommen werden sollte. Bis Frank und ich ein Paar wurden, hat es gedauert. Er war noch in einer Beziehung mit einer Frau. die er aber nicht liebte. Auf ein Hin und Her hatte ich keine Lust. Dafür bin ich auch viel zu sehr bei mir selbst. Letztendlich hat ihn ein Liebesbrief von mir überzeugt, der von meiner Seite eher als Abschied gedacht war. Ich dachte einfach, der trennt sich niemals. Aber dann ist es anders gekommen.
Patchwork-Familien, die wirklich gut funktionieren, gibt es wenige. Wir sind die Sache langsam angegangen. Wir hingen nicht an der Vorstellung, Familie werden zu müssen. Ich war auch anfangs dagegen, dass mich Franks Tochter „Mama“ nennt. Sie hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter und suchte eine Art Ersatz. So ein Verhältnis muss sich entwickeln.
Frank und ich lassen uns auch nach sieben Jahren viel Raum. Wir leben in der gleichen Stadt, aber jeder hat mit seinem Kind eine eigene Wohnung. Einmal in der Woche kommen abends alle zu mir. Es ist ein fester Termin, ein Ritual. Ich koche dann. Außerdem verbringen Frank und ich jedes Wochenende gemeinsam auf dem Land, meist ohne Kinder. Es ist eine schöne Zeit, aber am Sonntagabend sind wir beide froh, dass wir in unsere jeweiligen Leben zurück können. Ich arbeite als Drehbuchautorin, kann mich stundenlang in Texte vertiefen. Nicht jeder Mann käme damit klar, dass ich mich alleine so glücklich machen kann. Frank kann das. Er ist Sozialpädagoge, erfüllt in seinem Beruf. Er hat schon öfters gesagt, dass er eigentlich ganz erleichtert ist, mich nicht glücklich machen zu müssen. Frank bereichert mein Leben.
Ich habe andere Phasen erlebt. Mit Ende 20 war ich derart verliebt in einen Schauspieler. Wir sind durchgebrannt, haben spontan geheiratet. Unsere Ehe hielt zwei Jahre. Der Alltag hat die Liebe getötet. Mir hat das anfangs sehr wehgetan, zu sehen, dass dieser Mann und ich nicht funktionieren, er keine Nähe will. Darüber hinweggetröstet habe ich mich dann mit einer nächsten Beziehung. Es hielt nicht lange.
Mit meinem damals kleinen Sohn lebte ich ein paar Jahre in einer Wohngemeinschaft mit Freundinnen, die auch kleine Kinder hatten. Das war meine Rettung. Ich habe mich aufgehoben, nicht bedrängt gefühlt. Aus dieser Sicherheit heraus konnte ich auch meine Karriere vorantreiben. Ich würde jeder Frau raten, deren Partner sich mit der Vaterrolle überfordert fühlt, es mit diesem Modell zu versuchen. Die eigenen Kinder in einer Wohngemeinschaft mit Kindern großzuziehen ist toll. Es gibt keine Eifersüchteleien, kein Drama. Die Partner können jederzeit vorbeikommen und wieder gehen.
Es mag ein ungewöhnliches Modell sein, dass Frank und ich viel Distanz im Alltag haben. Für uns ist es das Richtige. Es ist nicht weniger liebevoll als in einem klassischen Modell. Einen symbolischen Akt unserer Verbindung haben wir dennoch realisiert: Vor drei Monaten haben wir geheiratet. Frank war der Treiber. Ich habe mir das gut überlegt. Da ich wohl den Rest meines Lebens mit ihm verbringen werde, ist eine Ehe sinnvoll, auch aus rechtlichen Gründen. Geändert hat sich an unserem Umgang miteinander und der Wohnsituationen aber nichts.
Martin Everz,
64 Jahre, ist seit fast 40 Jahren mit Anna verheiratet
Mitte der 70er haben wir uns während eines Studienaufenthalts in den USA kennengelernt. Anna ist eine miserable Köchin, hatte ihre Freunde dennoch zu einem deutschen „homemade dinner“ eingeladen. Das konnte nur schiefgehen! Also bat Anna mich um Hilfe. Ich war vielleicht nicht der attraktivste Mann in ihrer Nähe, aber ich konnte gut kochen. Liebe geht ja durch den Magen und nach dem Dinner war die Sache klar.
Zurück in Deutschland haben wir zunächst an unterschiedlichen Orten gewohnt, da wir ja beide unsere Studien beenden mussten. Aber es gab niemals einen Zweifel daran, dass wir heiraten und eine Familie gründen würden. Was anderes wäre damals ja auch gar nicht möglich gewesen. Anna war die Erste aus ihrer Familie, die überhaupt studierte. Lehramt. Die Familie verlangte da, dass sie sich ein finanziell sicheres Leben aufbaute. Und ich als angehender Jurist hatte bescheidene Träume: Beruflich auf die Beine kommen und eine Familie gründen.
Ich bin extra aus Norddeutschland in den Süden gefahren, um bei Annas Vater um ihre Hand anzuhalten. Ganz klassisch eben. Wir sind direkt nach der Hochzeit nach Düsseldorf gezogen. Anna ist nun seit fast 40 Jahren meine Frau. Wir haben zwei Söhne, 28 und 35, die beide gut geraten sind. Unsere Ehe hat auch deswegen funktioniert, weil Anna Lehrerin ist. Das war, damals zumindest, ein recht familienfreundlicher Job und es gab immer ein sicheres Einkommen. Ich habe mich als Jurist selbstständig gemacht, das war finanziell nicht immer leicht. Unsere Ehe haben meine Durstphasen belastet. Aber sie hat gehalten. Zwischen uns besteht keine leidenschaftliche Liebe mehr. Wir sind Partner geworden. Im Alter genießen wir, dass wir Sachen miteinander unternehmen können.
Immer dann, wenn es schwierig in der Ehe war, ist Anna über die großen Schulferien weggefahren. Dieser Abstand hat uns gutgetan. Mit anderen Frauen habe ich nie eine intime Beziehung angefangen. Anna habe ich nie danach gefragt. Wenn es einen anderen Mann gegeben hätte neben mir, das wäre schwierig für mich gewesen.
Ehrlich, Anna geht mir oft auf die Nerven. Sie hat so Ansprüche, wie Sachen zu sein haben. Zudem ist sie viel konservativer als ich. Aber ich habe dazu eine liebevolle Haltung entwickelt. Das kommt mit dem Alter. Ich beneide die jungen Menschen heute nicht unbedingt um ihre Freiheit in der Partnerwahl, die sie zum Beispiel übers Onlinedating haben. Man lässt sich wohl weniger mit dem Herzen ein, denn es könnte ja noch was Besseres geben. Das gehört wohl zur Selbstverwirklichung dazu. Nur, den perfekten Partner gibt es ja nicht.
Meine Söhne sind auch auf diesem Trip. Sie haben viel mehr wechselnde Freundinnen, als ich je hatte. Wenn es nicht passt, dann beendet man die Beziehung heute schneller. Ich glaube, das gilt für die Männer ebenso wie für die Frauen. Das mag pragmatischer sein, aber so wird die Liebe austauschbarer. Ich verstehe auch nicht ganz, wie man sich die ganze Zeit Gedanken über die Liebe machen kann. Das ist ja heute Thema in allen Magazinen oder Zeitschriften. Ich finde, wenn es einigermaßen passt, sollte man einfach zuschlagen und schauen, dass man eine gemeinsame Basis schafft. Auf dieser kann man ja verhandeln. Kompromisse gehören immer dazu. Anna und ich hatten immer ähnliche Vorstellungen. Insofern hatte ich wohl Glück, dass ich mich genau in diese Frau verliebt habe.
Anne Reidt,
38, hat mit einem platonischen Freund einen Sohn bekommen
Wenn man sich als Frau der 40 nähert, wird es schwierig, neue Partnerschaften einzugehen. Die Männer meinen, deine biologische Uhr ticken zu hören, bevor man überhaupt Hallo gesagt hat. Viele Männer haben keinen Antrieb, mit Ende 30 Kinder zu bekommen. Andererseits gibt es auch verpasste Vaterschaften. Dann merken die Männer mit 50, das eben doch kein junger Hüpfer auf sie wartet und unbedingt mit ihnen ein Kind haben will.
Meine letzten Beziehungen waren schön, innig. Aber sie sind am Kinderwunsch zerbrochen oder an den unterschiedlichen Vorstellungen darüber, wer zu Hause bleibt. Ich will nicht die Hausfrau sein, die den ganzen Tag Kinder und Haus hütet. Meine Mutter hat es so gemacht, aber ich lebe ja in einer ganz anderen Zeit. Ich bin gut ausgebildet, liebe meinen Job im Außendienst eines Unternehmens. Ich habe mir immer einen Partner gewünscht, mit dem die Kindererziehung gleichberechtigt funktioniert.
Als sich abgezeichnet hat, dass es bei mir nicht das Modell „Vater, Mutter, Kind“ wird, hatte ich damit zu kämpfen. Ich bin ja aufgewachsen mit dieser uralten Vorstellung von diesem einen Mann, den ich heiraten und mit dem ich Kinder habe werde.
Aber nun bin ich sehr glücklich mit meiner Situation. Ich habe vor zwei Monaten einen Sohn bekommen. Der Vater des Sohnes ist Tim, neun Jahre älter als ich, und er ist mein guter Freund. Nicht mehr und nicht weniger. Tim und ich sind Jugendfreunde, hatten uns aber aus den Augen verloren. Wir sind uns zufällig wieder begegnet. Ein paar Mal haben wir miteinander geschlafen, aber es war schnell klar, dass wir kein Liebespaar sind. Bei uns beiden vorhanden war aber der Kinderwunsch. Tim hatte vorher eine Beziehung mit einer Frau, die keine Kinder wollte. Ich habe nie einen Augenblick gezweifelt, dass er ein liebevoller Vater sein würde. Auch waren wir uns einig, was grundsätzliche Fragen der Kindererziehung betrifft. Das waren für mich entscheidende Gründe, mich auf dieses Experiment einzulassen. Vorbilder habe ich keine. In meiner Schwangerschaft wurde ich öfter von Bekannten gefragt, wie das gehen soll mit einem platonischen Freund als Vater.
Für den Moment kann ich mir nichts Besseres vorstellen. Tim war bei der Geburt dabei, hat mich Stunden vorher im Rollstuhl hin und her gefahren, später die Nabelschnur durchgeschnitten. Wir wohnen ja getrennt, aber jetzt ist er fast jeden Abend bei mir. Wir wechseln uns nachts ab, wenn unser Sohn schreit. Es ist eine pragmatische Beziehung. Wenn es Konflikte gibt, können wir sie austragen, ohne Angst davor, dass dabei eine Liebe kaputtgeht. Wir konzentrieren uns auf das Kind. Tim hat auch von Anfang an signalisiert, in seinem Beruf als Lehrer Vaterzeit zu nehmen. Und wenn unser Sohn älter ist, wird er genauso viel Zeit in Tims Wohnung verbringen. Toll ist auch, dass sich unsere Eltern gut verstehen. In unserem Modell muss man Dinge natürlich klar verabreden. Wir haben das geteilte Sorgerecht beantragt. Wir haben ein Konto für unseren Sohn eingerichtet, auf dieses fließt nun das Kindergeld. Wir teilen uns die Ausgaben für Babysachen und was alles so anfällt.
An die romantische Liebe glaube ich noch. Aber ich würde wichtige Entscheidungen niemals mehr von der Existenz eines Partners abhängig zu machen. Das ist meine Strategie, mit dem Paradox der Liebe in modernen Zeiten umzugehen. Spannend wird es sicherlich, wenn Tim und ich irgendwann mal neue Partner haben. Aber dann schauen wir einfach.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.