Tami Zori kniet auf dem Badezimmerboden und schrubbt mit dem Schwamm über die Kacheln. Ihre Finger, mittlerweile rot, riechen nach Zitrone und Essig. Sie hält mit ihren energischen Bewegungen inne und taucht den Schwamm in den Behälter neben sich. Er ist mit einer grauen Paste gefüllt. „Da ist auch Mehl und Salz drin“, erklärt sie, etwas außer Atem. Sie meint ihr selbstgemachtes Reinigungsmittel. Kurz erscheint der Kopf eines jungen Mannes im Türrahmen. Es ist ihr Mitbewohner Avid. „Wir fahren jetzt zum Bauern“, ruft er und ist gleich wieder verschwunden. Tami nickt zufrieden. Am Abend wird es wieder kistenweise Obst und Gemüse geben. Avid muss sich dafür das Auto des Nachbarn leihen, aber ohne Auto geht es nicht: Der Bauer hat sein Feld zu weit draußen, außerhalb der Stadt. Nun schiebt Tami zwei große Eimer mit Wasser in die Ecke neben der Toilette. Einer enthält frisches Wasser, der andere graues. „Das Dreckwasser ist fürs Klo. Wir kippen nichts weg“, erklärt sie. Eine Spülung gibt es in ihrer Wohnung, mitten in Tel Aviv, nicht.
Wer in der nach Jerusalem zweitgrößten Stadt Israels Nachhaltigkeit sucht, stößt zwangsläufig auf die 46-jährige Tami Zori und ihr Projekt „City Tree“. Anfangs war das nur eine Onlineplattform, auf der sich Interessierte über Permakultur, Ernährung und Kompost austauschen konnten. „Mittlerweile ist eine ökologische Wohngemeinschaft entstanden“, erklärt die kleine Frau wenig später in der Küche, wo sie Kichererbsen und Öl in den Mixer schüttet. Auf der Etage mit den drei Zimmern, Küche und Bad wohnen manchmal acht Leute und manchmal bis zu 20.
Im Wohnzimmer rattert die Nähmaschine. Die 20-jährige Noa fertigt auswaschbare Menstruationsbinden an. „Vielleicht werden die ein Kassenschlager“, lacht sie und hält eine pinkfarbene Binde hoch. Wer hier wohnt, bringt sich ein, nicht unbedingt mit Geld, eher mit dem Selbermachen lebensnotwendiger Dinge. Da Miete und Strom dennoch bezahlt werden müssen, hat das Ökoprojekt rund 200 Mitglieder, die monatlich kleine Beiträge spenden. Tami schickt ihnen Newsletter und bietet Kurse an. Wie wird Seife oder Schminke selbst gemacht? Wie kann man auf Plastik verzichten? Die Themen treffen einen Zeitgeist, auch in Israel. Tel Avivs vegane Restaurants und Yogaklassen sind ausgebucht, eine gesunde Lebensweise gilt jungen Menschen als wichtig. Für Tami allerdings kratzen die meisten nur an den Oberfläche. „Viele verabschieden sich dann, wenn es ans Eingemachte geht“, so drückt sie es aus. Der Nahostkonflikt mag dabei eine Rolle spielen: Wer schränkt sich schon gern ein in seinem verschwenderischen, aber eben komfortablen Lebensstil, wenn die Kriegsgefahr allgegenwärtig ist? Dass sich trotz alledem das Leben so leicht anfühlen kann, dafür ist Tel Aviv bekannt und beliebt.
Kein Thema im Wahlkampf
So ist Klimaschutz in der israelischen Politik ein Randthema, auch im laufenden Wahlkampf zu den vorgezogenenen Neuwahlen der Knesset Mitte März. Im Wettlauf um Gelder und öffentliche Aufmerksamkeit ist das Thema automatischer Verlierer. Zwar hat der amtierende Umweltschutzminister Amir Peretz die Reduktion der nationalen CO2-Emissionen ganz oben auf seine Agenda gesetzt. Doch die Etats seines Hauses werden in steter Regelmäßigkeit gekürzt. Zudem braucht Klimapolitik Langfristigkeit und Kohärenz. Die israelische Politik aber besteht oft aus Improvisation. Entschieden wird nach aktueller Situation, nach Sicherheitslage.
Die marginale Bedeutung des Klimaschutzes zeigt sich in der medialen Berichterstattung. Nur wenig ist darüber zu lesen und zu hören, dass Israel massiv von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein wird. Hitzewellen und lange Dürreperioden sind für eine Region, in der Wasser ohnehin ein knappes Gut ist, Gift. Israel hat heute 8,2 Millionen Einwohner und die Bevölkerung wächst. Mehr Menschen bedeuten mehr Energieverbrauch, ein heikles Thema. Nicht vergessen haben die Israelis jene Tage vor vier Jahren, als es zu Stromengpässen kam. Tagsüber durften sie weder Waschmaschinen noch Klimaanlagen anschalten – mitten im August.
„Wir könnten mit weniger auskommen“, sagt Tami Zori in ihrer unbeheizten Küche. Es ist Winter und für Tel Aviver Verhältnisse kalt. Sie trägt einen dicken Pullover, eine Heizung gibt es in der Wohnung nicht. Nun gießt sie eine braune Flüssigkeit in Förmchen. Es ist vegane Schokolade, die köstlich duftet. Doch Tami stellt sie vor die Tür. „Das braucht etwas Zeit zum Ruhen.“
Zum Ruhen hatte Tami Zori selbst in ihrem früheren Leben wenig Zeit. Mit Anfang 20 begann sie ihren Job als Beraterin großer Modefirmen. Sie arbeite zunächst in Tel Aviv, dann in New York. „Jeden Abend war ich unterwegs, habe in teuren Restaurants gegessen, Geld zum Fenster rausgeschmissen, für die teuersten Kleider“, sagt sie. „Ich war wirklich ein kapitalistisches Schwein.“ Doch der tägliche Sprint durch Meetings, der Stress – sie erschöpften die junge Frau und verursachten Kopf- und Bauchschmerzen. Das gute Einkommen war für sie ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch Schmerzensgeld.
Tami hätte damals mit ihrem Chef reden und für eine Weile etwas kürzer treten können. „Aber das wäre ja nur so ein halber Ausstieg gewesen“, erklärt sie ihre Entscheidung zum Radikalumbruch. Sie kam nach Israel zurück und begann etwas Neues, wollte wissen, wie viele der alltäglichen Dinge sie selbst herstellen könnte. Die Erkenntnis, dass die heute gängige Lebens- und Wirtschaftsweise irreversiblen Raubbau an der Erde bedingt, wurde für sie zentral. Seitdem dreht sich in Tamis Leben alles um die Frage, wie sie es anders machen kann. Deshalb kann ein Gespräch mit ihr durchaus anstrengend sein. Etwas zu tun oder zu kaufen, nur aus purer Lust und ohne Gedanke an die Umweltbilanz, so etwas ist Tami unbegreiflich. Sie scheint Ausnahmen nicht zu mögen. „In ihren Prinzipien ist sie ziemlich konsequent“, bestätigt ihr Freund und Mitbewohner Beny Schleich. „Für sie ist das kein Verzicht, sie kann einfach nicht mehr anders.“ Manchmal habe er ein schlechtes Gewissen, wenn er sich nur etwas Pitabrot am Marktstand kauft.
„Ich will niemanden missionieren“, meint Tami mit Nachdruck. Doch ihrer Meinung nach belügen sich die meisten Menschen. Die Zerstörung der Lebensgrundlagen durch eine grüne Wirtschaft zu zeitigen, ohne dabei den eigenen Lebensstil ändern zu müssen, das hält Tami für eine große Illusion.
Einem Umbau der Energieversorgung würde sie aber wohl zustimmen. Erneuerbare sind in Israels Öffentlichkeit jedoch nur dann ein Thema, wenn es um Energieabhängigkeit geht. Weniger rohstoffreich als seine Nachbarn, importiert Israel den Großteil seines Bedarfs an fossilen Rohstoffen. Kohle kommt etwa aus Südafrika und Kolumbien. Sonne, die Ressource, über die Israel in Hülle und Fülle verfügt, spielt bei der Versorgung eine erstaunlich kleine Rolle. Zwar gibt es über 100 lokale Solarfirmen. Aber sie exportieren neue Technologien anstatt sie für das Land selbst zu nutzen.
Sonne aus der Wüste
Eine Ausnahme bildet die Firma, die hinter dem neuen Fünf-Megawatt-Solarfeld in der Wüste Negev steht: Arava Power Company, gegründet unter anderem von Umweltpionieren aus der Kibbuzszene; Siemens gehört zu den Investoren des Projekts. „Ich habe auch die Schönheit der Wüste gesehen, aber vor allem ihr Potenzial“, sagt Arava-Chef Yosef Abramowitz. In Israel ist der umtriebige Geschäftsmann eine Berühmtheit. Für weitere Projekte hofft er auf mehr Unterstützung aus der israelischen Politik.
Schließlich ist Solarenergie in dem Land eigentlich ganz und gar nichts Neues: Fast alle Dächer sind mit Kollektoren bestückt, die zum Erhitzen von Wasser dienen – ein Resultat der Erfahrungen aus den jungen Jahren des Staats: Gerade erst gegründet, hatte Israel schnell Probleme mit seiner Energieversorgung. Damals verbot die Regierung den Bewohnern, ihr Wasser tagsüber zu heizen. Später, in den 70er Jahren, wurde dann eine entsprechende politische Richtlinie erlassen. Seitdem sind die Panele auf den Dächern Pflicht.
Am Abend schneidet Tami Zori im Gemeinschaftszimmer alte Shirts in lange Streifen und rollt sie zu Knäuel auf. Sie wird daraus etwas häkeln, eine Tischdecke oder ein Kopfkissen. Ihr Freund Beny sitzt am Computer, die Augen angestrengt auf den Bildschirm gerichtet. Er organisiert die letzten Details für einen Stadtökologiekurs. Tami schaut zu ihm herüber und muss lachen. „Schau uns an. Da haben wir uns entschieden, es ganz anders zu machen. Und dennoch sitzen wir den ganzen Tag vor dem Computer.“
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