Briefe an die Lokomotivführer

BLICK VOM HELLEN INS DUNKLE Der albanische Lyriker Beqë Cufaj hat eine Gefühlsgeschichte des Kosovo-Krieges geschrieben

Ein Jahr lang waren wir alle hin- und hergerissen: zwischen Mitleid für die unterdrückten Kosovo-Albaner und Entsetzen über deren Umgang mit den besiegten Serben, zwischen Empörung über die Verletzung der Menschenrechte und Empörung über den Krieg, zwischen Respekt und Abscheu vor der UCK, schließlich zwischen Hoffnung auf internationale Hilfe und Verachtung für die geölte Humanitätsmaschine aus Helfern, Diplomaten und Journalisten, die über das geschundene Land hinüberfuhr. Beqë Cufaj, ein junger Lyriker, Essayist und Journalist, hat in achtzehn Artikeln eine Gefühlsgeschichte des Kosovo-Krieges geschrieben. Man glaubt es kaum: Er, der selber aus dem Kosovo stammt und nach dem Krieg dorthin zurückkehrte, hat nicht anders empfunden als alle, die das Land auf den Fernsehschirmen zum ersten Mal sahen. Sicher war sein Schmerz größer über die Morde an Albanern, die sich zwischen Anfang und Ende des Nato-Bombardements ereignet haben. Dafür war aber seine Scham tiefer, als nachher Albaner Jagd auf Serben machten. Seine Texte sind für den Tag geschrieben und erinnern uns an die wechselnden Stimmungen der Zeit vor einem Jahr. Cufaj hat der Versuchung widerstanden, seine Artikel noch einmal zu redigieren. Er lässt auch falsche Prophezeiungen stehen: so die, dass die Albaner sich bei den Anständigen unter den Serben "bedanken" würden, "indem sie ihnen Schutz geben". Das war eine falsche Hoffnung, für die Cufaj sich nicht genieren muss, weil so viele sie teilten. Der Autor, der in Deutschland gelebt und das Land sehr gut kennen gelernt hat, verschweigt die kulturelle Differenz nicht; in dem Stück "Dukagjin, im Juli" ahnen wir etwas davon. Aber gemessen an all dem Grauen, das sich hier ereignet hat, wiegt sie wenig; durch alle Fremdheit hindurch spüren wir, dass es uns betrifft.

Cufajs Adressaten sind meistens die Deutschen, auch wenn die Artikel vordergründig an ein anderes Publikum gerichtet sein können. In Deutschland sind es besonders die Friedensbewegung und die Grünen, denen er sich mitteilen will: etwa in der Geschichte von dem Freund, der erst mit den Grünen in Deutschland sympathisierte und dann über die USA zur UCK kam, oder in dem vorsichtigen Portrait von Tom Koenigs, dem grünen UNO-Verwalter aus Frankfurt, der jetzt in Prishtina arbeitet. Sie, die modernsten, unbalkanischsten unter den Westlern, stellen für Cufaj den Widerpart zu den zerstörerischen Einstellungen seiner Heimat dar, denen er ja entkommen will. Sie werden am kritischsten befragt, ob sie denn andere Lösungen haben als die Nato. Die Antwort fällt negativ aus, aber es ist ehrliche Enttäuschung, nicht Häme, wie sie so manchen Ex-Linken in Deutschland befällt. Mit Tom Koenigs verbindet Beqë Cufaj, dass beide den gleichen Weg gegangen sind, nur in unterschiedlicher Richtung. Es ist ein interessantes Portrait: Cufaj nähert sich Koenigs mit Wärme und Respekt. Aber er, der Autor, das macht er deutlich, hat Deutschland viel besser verstanden, als Koenigs je das Kosovo verstehen wird. Die Höherentwicklung ist zugleich eine Vereinfachung; wir verstehen ja auch Amerika leichter als umgekehrt. Der Blick in die Geschichte ist ein Blick vom Hellen ins Dunkle. Cufaj schaut umgekehrt, das ist viel leichter. Der schönste Text von allen lässt einfach die westliche Journalistin E. erzählen, was sie so über den Balkan denkt.

Die Serben sind ein Thema, das Cufaj nach wie vor gefangen hält; "am liebsten gar nicht an sie denken", sagt sein "Nachkriegsvater", eine seiner Figuren. Sie sind in fast jeder seiner Geschichten präsent. In Kafkas Brief und die Flucht der Serben bemüht sich Cufaj noch um Erklärung für die Pogromstimmung seiner Landsleute, im folgenden Text, Die Lokomotivführer, klagt er sie schon nur noch an. Vor zuviel Analyse hütet er sich, die Sätze über "zivilisatorische Standards" wären wohl allzu schnell aufgeschrieben. Immer wieder werden auch Serben zu seinen Adressaten: Nur "ein paar Sätze des Bedauerns" will er von ihnen über die ermordeten und vertriebenen Albaner, aber er bekommt sie nicht, obwohl er selber viele Sätze des Bedauerns über ermordete und vertriebene Serben findet. Schaut man sich die Sätze aber genauer an, so illustrieren sie nur, was Cufaj in seinem Text über die albanischen Intellektuellen, die "Lokomotivführer", selber analysiert: die fatale Dialogstruktur der Völker auf dem Balkan. Cufaj braucht die Serben, um sich über seine eigenen Landsleute schämen zu können; der "Brief an einen serbischen Freund" bleibt ebenso anonym wie ein serbischer "Brief an einen albanischen Freund", auf den sich bezieht. Auf dem Umweg über den anderen sprechen sie mit sich selber. In den "Bildern, die mir geblieben sind", versucht Cufaj sein Mitleid einer serbischer Frau mit ihren beiden Kindern zukommen zu lassen. Aber er betrachtet sie nur aus der Ferne. Die Serben beschäftigen sich mit den Albanern, um sich nicht mit sich selber beschäftigen zu müssen, und genauso geht es auch den Albanern. Beide brauchen einander, um sich nicht entwickeln zu müssen; erst die gewaltsame Trennung zwingt sie, sich auf sich selber zu besinnen. Es ist sinnlos, Vätern Briefe zu schreiben, das spürte schon Kafka. Das ist nur eine Beobachtung; die Gedanken, die sich daraus entwickeln könnten, sind unerhört. Wer mit den Kriegen der letzten Jahren noch nicht fertig ist, sollte Cufajs Buch lesen.

Beqë Cufaj: Kosova. Rückkehr in ein verwüstetes Land. Mit einem Vorwort von Matthias Rüb. Aus dem Albanischen von Joachim Röhm, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2000, 127 S., 25,- DM

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