"Der recherchiert wenigstens!", lobt ihn der Mann auf dem Linzer Rathausplatz. Hans-Peter Martin ist offenbar eine Ausnahme unter den Politikern. "Wer recherchiert denn hier sonst schon?", ereifert sich der Mann weiter. "Der Schüssel vielleicht?" Günther Frankl, Rentner in Linz, hat natürlich auch die Bitteren Pillen gelesen, das Erfolgsbuch, mit dem der ewig unbequeme Hans-Peter Martin (HPM) schon vor 20 Jahren der Pharma-Industrie auf die Zehen getreten hat. Die Umstehenden nicken. Alle kennen den Titel, wenigstens aus der Zeitung. Und ein älterer Herr, der sich als "Unternehmer" vorstellt, klappt verstohlen, als ob es verboten wäre, sein Köfferchen auf und zeigt den anderen kurz das Buch, das darin liegt: Die Globalisierungsfalle, auch so ein Erfolg von Hans-Peter Martin. Der war Journalist und ist es eigentlich immer noch. Das mögen sie an ihm. Er kennt sich aus. Keiner, der segnend durchs Land schreitet. Immer steht der kleine Mann mit dem jugendlichen Lächeln unter Strom, ständig winkt er mitten im Satz schon dem Nächsten zu, nimmt da einen beiseite und hüpft schon vor dem ersten Wort wieder weg. "Mehr direkte Demokratie" will er durchsetzen, hat Martin gerade noch gesagt, und dass er "durch Willy Brandt politisiert" worden sei.
Hier ist nicht rechts, hier ist unten
Umfragen geben dem Außenseiter mit seiner Bürgerliste Martin - für Demokratie, Kontrolle, Gerechtigkeit stolze acht Prozent. Das wäre nicht einmal eine Sensation: Mit Anti-Politikern haben Österreichs Zeitungsleser viel Erfahrung, wenn auch nicht die besten. Genau 20 Jahre ist es her, dass ein junger Mann namens Jörg Haider die Fünf-Prozent-Partei FPÖ im Handstreich eroberte. Irgendwann dann war sie die zweitstärkste Partei des Landes, hofiert von der Kronen-Zeitung, dem allgegenwärtigen Boulevardblatt, aber auch von News, dem eher linken Magazin, das den feschen Mann aus Kärnten Woche um Woche empört auf den Titel hob. Schließlich vom Fernsehen, das ihn immer wieder mit banger Wolllust auf das Strengste interviewte und ihm so Gelegenheit gab, sich als frech und unerschrocken darzustellen. Vor sieben Jahren begann der Abstieg des Jörg Haider - in dem Moment, als er aus der Welt der Medien in die Wirklichkeit wechselte. ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel nahm Haiders Partei in die Regierung und machte sich so zum Kanzler. Einen "Drachentöter" nannte ihn dafür der Wiener Philosoph und Medienliebling Rudolf Burger. Mit dem Faszinosum Haider ist es tatsächlich vorbei. Um die 27 Prozent, die er einst holte, streiten heute seine Ziehkinder vom "Bündnis Zukunft Österreich" mit der alten, noch weiter nach rechts gerückten FPÖ - und mit Hans-Peter Martin. Auch "Zauberlehrling" würde auf Wolfgang Schüssel passen. Nicht weil er die Geister rief, sondern weil er den verhexten Besen offenbar bloß vervielfältigte, statt ihn zu töten.
Martins Anhänger vor dem Linzer Rathaus jedenfalls sind begeisterte Zeitungsleser. Das erklärt sich biografisch. Als Leute wie der HPM-Fan Günther Frankl jung waren, trugen der Kanzler und der Landeshauptmann Trachtenjanker und gingen gemeinsam wallfahren. Gegen den katholischen Mief halfen die Rolling Stones und die Journalisten mit ihren frechen Artikeln. "Ich habe alle Ihre Artikel gelesen", sagt ein Mann mit großem schwarzem Hund zu Martin. Er ist 58 und "in Frühpension", trägt Jeansjacke und ein "Flinserl" im Ohr, einen kleinen Silberknopf. Ihm geht auf die Nerven, "dass die Reichen immer reicher werden und vor allem immer schamloser". Und "dass keiner auf uns hört". Haiders "Ausrutscher" gefallen ihm nicht.
Der Boulevard war begeistert
Er kenne das, sagt Martin. "Man hat den Kreisky gewählt", den großen Reformkanzler der Siebziger, "auch später noch die SPÖ, dann vielleicht mal den Haider probiert. Und jetzt wählt man den sicher nicht mehr." Maria Bauer, 58, und "früher im Büro", nickt vorn in der ersten Reihe heftig: Hier ist nicht rechts, hier ist unten. Sprüche gegen Ausländer und Juden, wie Haider sie lieferte, kämen dem HPM nicht in den Sinn. "Ich bin ein Anti-Haider-Projekt", sagt er. Linz ist eine Arbeiterstadt. Eine "Plattform" brauche er noch, verrät der Kandidat. "Breit muss sie sein, aber nicht beliebig." Vielleicht ist der Journalist ein viel besserer Haider - eben weil es nichts gibt, worauf er hinaus will.
"Hans-Peter Martin" heißt er bei seinen Fans vor dem Rathaus, immer mit Vor- und Nachnamen, wie in einer Autorenzeile, nie "der Herr Dr. Martin", wie es in Österreich eigentlich üblich wäre. In die Herzen seiner Unterstützer ist der 49-Jährige mit den weißen Haaren als Kolumnist der Kronen-Zeitung eingezogen und als Talk-Gast bei Günter Jauch, wie er selbst es lieber hört. 1999 kam er als "Quereinsteiger" für die SPÖ ins Europa-Parlament. In Brüssel und Straßburg filmte er Parlamentskollegen, wie sie sich zum Abzocken der Sitzungsgelder in Anwesenheitslisten eintrugen und dann ins Wochenende entschwanden. Der Boulevard war begeistert. Für die Politikerkollegen, die ja angeblich vor lauter Politik nie dazu kommen, ans Einkommen zu denken, war es das Peinlichste, was ihnen passieren konnte. Für die Krone war es - wenn sie so einem auf die Schliche kam - das Geilste. 2004 schaffte es HPM wieder nach Brüssel, diesmal mit eigener Liste - als gewählter Korrespondent sozusagen.
Er blieb ein großer Gegner der Politiker, ganz so wie einer in Brechts Geschichten vom Herrn K., der sich als "großer Gegner der Zeitungen" verstand. Die Antwort von Brechts "Herrn K." traut sich niemand zu geben: "Ich bin ein größerer Gegner der Zeitungen", lässt Brecht seinen Helden sagen: "Ich will andere Zeitungen." Die Politiker hüten sich zurückzuschlagen; Martins Popularität lehrt alle das Fürchten. In Acht nehmen muss er sich nur von anderen Journalisten. Denen mangelt es spürbar an Respekt, bisweilen auch am schuldigen menschlichen. Die härtesten Attacken kommen vom Profil, dem kritischen Magazin, in dessen Impressum einst auch Martins Name stand, und von der linksliberalen Wiener Stadtzeitung Falter. Beide Blätter hatten für Martins Brüsseler Enthüllungsaktionen zuletzt nur noch Spott übrig.
Profil porträtiert den umtriebigen Kollegen als eitlen Unsympathen, der sich mit allen Freunden und Weggefährten überworfen habe. Martin, als Politiker nun aus der Deckung, kontert hilflos, schlägt um sich oder trommelt sich auf die Brust. Da seien "einige ostösterreichische Journalisten" am Werk, "die sich vorgenommen haben, in Wien weltberühmt zu werden" und vom berüchtigten Neid zerfressen seien, sagt er, verlangt Gegendarstellungen und schreibt böse Briefe. Tun kann er nichts. Früher hielten die Parteien in Österreich sich Zeitungen. Heute halten die Zeitungen sich Parteien. Dem Falter, der ihn über seine Verbindungen zu Hans Dichand, dem Herausgeber der Kronen-Zeitung, befragte, schickte Martin kritische Gegenfragen: Wie denn der Falter-Herausgeber zur SPÖ stehe? Wie das Blatt sich finanziere? Das ist der Traum jedes Politikers, der im Interview schwitzt: Einmal den Spieß umdrehen. Einmal Journalist sein.
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