»Promene« heißt der Schlachtruf der serbischen Opposition in diesen Tagen, »Veränderungen«. Der Begriff scheint vage, hat aber seine Geschichte. »Veränderung«, meist mit dem Attribut »demokratisch«, war Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre das Schlüsselwort des Aufbruchs in Jugoslawien, ähnlich wie »Glasnost« und »Perestrojka« in der einstigen Sowjetunion »Partei der demokratischen Veränderungen« nannten sich die reformierten kommunistischen Parteien in den anderen jugoslawischen Republiken. Während solche allgemeinen Wörter überall sonst in Osteuropa und auch im ehemaligen Jugoslawien ihren Glanz verloren und konkreteren Begriffen Platz gemacht haben, sind sie in Serbien noch immer nötig, um die Träume und Hoffnungen zusammenzufassen. Andere gibt es nicht.
»Demokratie« hat im früheren Jugoslawien ihre eigene, problematische Geschichte. Sie wurde nach 1990 überall im Land als Recht einer Mehrheit mißverstanden, nationale Minderheiten zu unterdrücken. »Sozialismus« war der Zwang gewesen, sich einem Proporz zu unterwerfen und das Schicksal der Völker einem autoritären Regisseur zu überlassen. »Demokratie« als Befreiung von diesem Zwang.
Wer in Serbien heute von »Marktwirtschaft« reden hört, denkt nicht mehr an »blühende Landschaften«, sondern empfindet eher Furcht, daß ihm seine letzten kleinen Pfründe, eine Rente, ein magerer Lohn, eine Unterstützung, auch noch genommen werden. Auch ohne Krieg und Sanktionen stehen Nachbarländer wie Rumänien und Bulgarien wirtschaftlich ebenso schlecht da wie das noch immer »sozialistische« Serbien. Und an die Aufnahme ihres Landes in den »Goldenen Westen« können die Serben schon gar nicht glauben. Hat ihnen nicht eben erst die NATO Bomben auf den Kopf geworfen? Steht nicht gerade der westlichen Welt der Sinn danach, die Serben kleinzuhalten, zu vertreiben und zu drangsalieren?
Es ist keine aggressive oder antiwestliche Ideologie, die Serben davon abhält, sich den westlich orientierten Parteien anzuschließen, eher Unverständnis, Enttäuschung, Resignation. Am ehesten verfängt die Parole, daß man »besser leben« wolle, den ganzen nationalen Wahnsinn vergessen und endlich wieder »normal leben und arbeiten« - so unlängst ein Oppositionsführer. Wie früher unter Tito, hätte er noch hinzufügen können. Aber wo gibt es die »ganz normale Welt« noch, von der er sprach?
Der Bundeskanzler ermutigt die Serben, ihren Milosevic´ zu stürzen. »Ermutigung« - der vage Begriff paßt zu der Perspektive, die der Westen zu bieten hat. Zwar verspricht jetzt ein von Deutschland organisierter »Stabilitätspakt« großzügige Aufbauhilfe. Aber bis heute haben die Völker Südosteuropas von Westen her keine Verbesserung kommen sehen.
Gerade in diesen Tagen hat der rumänische Präsident Emil Constantinescu wütend angeprangert, daß die versprochene NATO-Hilfe für die bewiesene Loyalität nach dem Kosovo-Krieg prompt vergessen wurde. Das kleine Mazedonien hat sich mit einer abenteuerlichen politischen Wende zum Frontstaat gegen den mächtigen und gefährlichen Nachbarn Jugoslawien machen lassen. Aber die ersten Gelder, die wirklich auf mazedonischen Konten landeten, kamen aus dem fernen Taiwan. Zum Dank für die Loyalität stornierten westliche, vor allem deutsche Firmen ihre Aufträge bei mazedonischen Partnern, weil die Region jetzt wieder »unsicher« sei. Die internationale Öffentlichkeit schenkte ihr Interesse ausschließlich den Albanern und verdächtigte die Mazedonier auch noch, mit den ebenfalls orthodoxen Serben unter einer Decke zu stecken.
Nun aber hat Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Besuch von Zoran Djindjic in Bonn Serbien für die ferne Zukunft auch eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. Das war nicht einfach so dahingesagt; es ist auch eines der Ziele des sogenannten Stabilitäts pakts für Südosteuropa, der Anfang Juni auf deutsche Initiative geschlossen wurde und der Ende nächster Woche feierlich ins Leben treten soll. In Serbien selber würden solche Versprechen, wenn sie die Masse der Bevölkerung überhaupt erreichten, vorwiegend sarkastisch aufgenommen. Man glaubt das einfach nicht: Hat Deutschland nicht damals Kroatien anerkannt, die Vertreibung der Serben von dort geschehen lassen, schließlich sogar an einem unerklärten Luftkrieg gegen Jugoslawien teilgenommen?
Das mögen historische Komplexe sein, aber im Ergebnis dürften die Serben mit ihrer Skepsis recht behalten. Denn der EU wäre zur Zeit die Aufnahme Polens oder Tschechiens schon zuviel. Bisher jedenfalls ist keiner der EU-Partner in die neu erklingenden Beitrittsfanfaren der Deutschen eingefallen. Und hat nicht die rot-grüne Regierung selbst die Hoffnungen der chancenreichsten Kandidaten erst einmal gebremst? Auf Druck der Franzosen wurden die strengen Aufnahmekriterien im Stabilitätspakt noch einmal ausdrücklich festgehalten. Damit hier nichts anbrennt. Selbst wenn die Bundesregierung ihr Angebot an die Serben ernst meint: Sie bietet da etwas zum Geschenk, das ihr gar nicht gehört - und das, wenn sie es kaufen wollte, ihre Finanzkraft bei weitem überstiege.
Der Krieg hat Milosevic nicht vertrieben, nun soll das die Aussicht auf Prosperität in Europa schaffen. Die Idee ist richtig. Aber wer hofft, daß ein flottes Politikerwort da schon ausreichen würde, macht sich Illusionen - und wer meint, jetzt fiele in Belgrad die Entscheidung, hat sich von der Endkampfstimmung des Krieges noch nicht richtig gelöst.
Erst einmal muß Vertrauen geschaffen werden; erst wenn die Serben sehen, daß sich Wohlverhalten wirklich auszahlt, werden sie es auch glauben. Heute sehen sie das nicht. Geht es den benachbarten Bulgaren nicht ohne ethnische Konflikte genauso schlecht? Erst muß der Stabilitätspakt einmal Tritt fassen. Es muß nicht gleich der EU-Beitritt sein; eine neue Bahnlinie oder Autobahn würde schon reichen. Slobodan MilosÂevic´ wird man noch lange ertragen müssen. Wenn sich auf mittlere Sicht Wege finden, einzelnen serbischen Städten Aufbauhilfe zu leisten und auch geringe politische Fortschritte zu belohnen, kriegt man MilosÂevic´ zwar vielleicht nicht nach Den Haag, aber Serbien um so sicherer nach Europa.
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