Krieg oder Frieden, Ost oder West, Europa oder Kosovo: So hören sich normalerweise die Alternativen an, wenn in Serbien gewählt wird. Am 6. Mai ist das erstmals anders. Das Staatsschiff hat nach 20 Jahren des Umherirrens auf dem Ozean der Weltpolitik seinen Kurs endlich gefunden. Nur ein kleines Beiboot dümpelt noch immer verloren durch die Meere. Doch gerade um das Restproblem Kosovo könnte es wieder zum Konflikt kommen.
Die Rede ist davon kaum. Regierung und Opposition in Belgrad streiten nur noch darum, wer den Weg in die EU schneller schafft. Auch die Opposition unter dem früheren Radikalen Tomislav Nikolic ist inzwischen guten Willens, die Auflagen für den EU-Beitritt zu erfüllen. Allerdings wäre sie wohl schwerlich dazu in der Lage. In Nikolics Fortschrittspartei verfügt fast niemand über Regierungserfahrung. Und in der Praxis reicht guter Wille nicht aus. Dann muss der störrische Verwaltungsapparat viele neue Vorschriften auch umsetzen. Nach 20 Jahren Krieg, Korruption und Chaos ist vom Beamtenethos der Tito-Zeit nichts übrig.
Gefallen ist die Entscheidung über Serbiens Kurs schon vor vier Jahren in einem maximal zugespitzten Wahlkampf. Die Demokraten unter Boris Tadic setzten seinerzeit ganz auf Europa, die Radikalen unter Nikolic hielten mit dem früheren Regierungschef Vojislav Kostunica dagegen. Helfen uns die Russen? Gehen wir mit den Chinesen? Haben wir allein eine Chance? Das waren die Fragen, mit denen sich die Wähler herumschlugen. Die Entscheidung fiel für Europa. Sie war knapp, aber unwiderruflich. Gleich nach der Wahl vollzog die bis dahin nationalistische, antieuropäische Opposition einen radikalen Schwenk. Das Anti-EU-Lager leerte sich rapide. Es blieben der sture Kostunica und ein Häuflein übler Rechtsextremisten, die sich beim jetzigen Votum um die Bewegung Dveri scharen. Tadic, ein Mann mit guten Nerven, hatte sich den Wahlsieg erkauft, indem er einen essentiellen Konflikt ausklammerte: die Kosovo-Frage. EU-Beitritt und Kosovo hätten nichts miteinander zu tun, hieß es. Brüssel ließ die Serben gern in dem Glauben, um Tadics Sieg nicht zu gefährden. Kosovo wurde zum Mantra, ähnlich wie einst für die Bundesrepublik das „Deutschland in den Grenzen von 1937“.
Mitrovica ist alarmiert
Drei Jahre lang ging das gut, dann störte Kanzlerin Angela Merkel das Spiel. Im August 2011 bei einem Besuch in Belgrad stellte sie klar, dass Serbien ohne eine „Lösung“ des Kosovo-Problems nicht der EU beitreten könnte. Lösung hieß zunächst, dass sich Serbien als Staat ganz aus dem serbisch besiedelten Norden des Kosovo zurückzieht. Danach sollte Belgrad den Kosovo-Staat diplomatisch anerkennen. Als die Deutschen Entschlossenheit zeigten und auch von ihrem Einfluss auf die Schutztruppe Kfor Gebrauch machten, wich Belgrad widerstrebend zurück. Tadics Unterhändler unterschrieben die gewünschten Vereinbarungen mit dem Kosovo.
Belgrad verzichtet nun darauf, die Wahl vom 6. Mai auch im Nord-Kosovo abzuhalten. Die meisten Serben stört das nicht. Nicht einmal, dass sich mit Deutschland der Erzfeind aus den neunziger Jahren wieder in Szene setzt. Entsprechend gut stehen die Chancen, dass Belgrad nach dem Votum vieles abnickt: den völligen Rückzug aus dem Nord-Kosovo und ein Autonomie-Statut für die Kosovo-Serben. Nur für die formale Anerkennung des Kosovo ist es zu früh.
Je näher Berlin und Belgrad in Sachen Kosovo einander kamen, desto schwieriger wurde jedoch das Problem. Wie einst die Serben in Kroatien und Bosnien haben auch die etwa 40.000 im Nord-Kosovo den Verdacht, Belgrad werde sie verschachern. Spätestens seit Jahresbeginn gilt in Mitrovica die Formel „der eigenen Kraft vertrauen“. Tadic ist jetzt ein Verräter, sogar Oppositionsführer Nikolic; nur Putin ist ein, wenn auch fernes, Ideal. Aber Moskau spielte mit dem verlorenen Nachen nur ein bisschen herum, als sich sein Botschafter in Belgrad während der Wahlkampfes als treuer Alliierter der Kosovo-Serben gab. Bei denen dominieren ansonsten Ausweglosigkeit und Gewaltbereitschaft. Im April haben Unbekannte einen Kosovo-Albaner ermordet, der mit seiner Familie nach Nord-Mitrovica gezogen war. An Waffen, Armut und Radikalismus herrscht rund um diese Stadt kein Mangel.
Vor Wochenfrist hat Deutschland seine Truppen im Kosovo verstärkt und eine schnelle Eingreiftruppe entsandt. Offizielle Begründung sind die Spannungen rund um die Wahlen, aber wirklich spannend dürfte es erst danach werden. Selbst wenn die serbischen Bürgermeister ihre Ankündigung wahrmachen und gegen den Willen Belgrads am Sonntag doch abstimmen lassen, droht noch keine Gefahr. Die ergibt sich erst, wenn die Kfor-Truppen nach dem Votum im stillen Einvernehmen mit Belgrad im Nord-Kosovo die Rathäuser besetzen. Wenn es dabei friedlich zugehen soll, müsste das Manöver ein militärisches Meisterstück werden. Misslingt es, drohen Blutvergießen und Massenflucht.
Norbert Mappes-Niediek schrieb zuletzt im Freitagüber den Bosnien-Krieg 1992 1995
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