Rollenspiele

DIE EUROPÄER IN RAMBOUILLET Den Amerikanern Zügel anlegen?

Schon seit vier Wochen wollen europäische Diplomaten unbedingt loswerden, daß sich in der Balkanfrage etwas ganz Wichtiges geändert hätte: Ist Ihnen nicht auch schon aufgefallen, fragen sie, wie wunderbar einig wir Europäer uns sind? Haben Sie nicht auch den Eindruck, daß die USA, die sich in Rambouillet so verrannt haben, gar nicht mehr so dringend benötigt werden?

Vor der zweiten Runde der Kosovo-Verhandlungen standen - anders als noch vor der ersten - eine europäische und eine amerikanische Linie in Opposition zu einander. Dabei kam es immer wieder zu Konfrontationen. Nicht nur, daß die Amerikaner auf Luftschläge gegen Jugoslawien drängen und die Europäer - aus gutem Grund - abraten. Zur Verblüffung und zum Entsetzen der Amerikaner warteten ausgerechnet die Deutschen mit der Idee auf, das (noch gar nicht abgeschlossene) Autonomieabkommen solle nicht von der OSZE, sondern von einer eigens zu diesem Zweck geschaffenen Behörde umgesetzt werden, in der - natürlich - die Europäer das Sagen haben müßten.

Oder nehmen wir die Kontroverse um das Massaker von Racak im Kosovo. Das soll von der UCK »arrangiert« worden sein. Noch ist der Obduktionsbericht nicht veröffentlicht, schon wird dem Leiter der OSZE-Kosovo-Mission, dem Amerikaner William Walker, vorgeworfen, er habe sich täuschen lassen und nehme seine Vorwürfe gegen die serbische Polizei auch jetzt - wider besseres Wissen - nicht zurück.

Der Konflikte gibt es viele, und die Europäer scheinen keine Scheu mehr zu haben, sie auch auszutragen. In Sarajewo schimpfen EU-Diplomaten schon seit Monaten offen über die Amerikaner, die immer die Lorbeeren einheimsten, wo doch alle Arbeit von den Europäern gemacht werde. Nun sind die Amerikaner - in Gestalt des Brcko-Schlichters Robert Owen - auch noch Schuld am Schlamassel in der Republik Srpska. Das alles nach Cavalese und LaGrand: Fehlt nur noch, daß demnächst Forderungen hochkommen, die Amis endlich aus dem Balkan hinauszuwerfen.

Fragt sich nur, ob das wirklich so eine gute Idee wäre. 1991 meinten die Europäer schon einmal, sie schafften das mit dem Balkan allein, »spielend« natürlich. Damals reiste die Troika nach Zagreb und Ljubljana, und Gianni De Michelis, Italiens virtuoser Außenminister, verkündete, mit dem Problem sei er in 14 Tagen fertig. Die Folgen sind bekannt; die Konflikte in Kroatien und Bosnien wurden fortan von der UNO verwaltet, bis Ende 1994 die Amerikaner begannen, das Heft in die Hand zu nehmen. Lange Zeit hatten sie sich aus Bosnien herausgehalten und die Formel wiederholt, dort hätten die USA keine »vitalen Interessen«. Anders hingegen auf dem Südbalkan: Lange bevor der Kosovo-Konflikt ausbrach, erklärte schon George Bush die Albanerfrage für ein »issue of concern«. Bill Clinton hat die Friedensgarantie für das Kosovo bei seiner Amtsübernahme erneuert. In Dayton waren es die Amerikaner, die ein Junktim zwischen der vollständigen Aufhebung der Sanktionen und der Lösung des Kosovo-Problems hestellten. Sie richteten als erste in Pristina ihr Informationszentrum ein und waren diplomatisch präsent. Deshalb muß man die derzeitige Bum-Bum-Diplomatie Washingtons nicht gut heißen. Aber ohne die USA wären die Europäer vom Ausbruch des Kosovo-Konflikts wieder einmal ziemlich kalt erwischt worden.

Dabei sind Alternativen denkbar, wenn man denn an die Einigkeit der Europäer wirklich glauben könnte. Doch wirklich einig sind sich die Europäer nur darin, daß sie auf ihrem Kontinent einen zweiten Irak vermeiden wollen. Man mag keine mediokren regionalen Hegemonialmächte, die man von Zeit zu Zeit über Luftangriffe »unter Kontrolle« bringen muß, und denen man mit kleinen Guerilla-Bewegungen Probleme ans Bein schafft. Aber was will man statt dessen?

Bei näherem Hinsehen sind die europäischen Interessen auf dem Balkan immer noch höchst disparat. Deutschland besonders will schnell Ruhe in der Region, schon aus Angst vor Flüchtlingen; ähnliches gilt für Italien. Frankreich und Großbritannien haben es weniger eilig damit; sie achten bei möglichen Friedenslösungen eher auf die Tektonik Europas, für die sie sich verantwortlich fühlen. Denkt man sich die Amerikaner aus dem Balkan weg, so sieht man nur ein altes Stück mit leicht verändertem Rollenspiel.

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