Satz gewonnen, Spiel verloren

Serbien Belgrad hofft mehr denn je als EU-Anwärter auf den offiziellen Kandidatenstatus. Doch die wieder aufgeflammten Spannungen mit dem Kosovo belasten die Ambitionen

Man muss schon sehr kooperativ sein, wenn man als armes Land mitten in der großen Europakrise der EU beitreten will. Aber allzu kooperativ ist auch nicht gut, wie die Regierung in Belgrad gerade erfahren muss. Nachdem die Serben Ratko Mladic und jetzt den letzten Haager Angeklagten Goran Hadzic gefangen und ausgeliefert haben, richtet die europäische Diplomatie ihr kritisches Auge jetzt umso fester auf den Kosovo-Konflikt. Im Herbst soll Serbien den Kandidatenstatus verliehen und vielleicht auch einen Termin für Beitrittsverhandlungen bekommen. Bis dahin sollen so gut wie alle praktischen Probleme zwischen Belgrad und Prishtina gelöst sein.

Angefangen hat es gut. Vor vier Wochen einigten sich die Unterhändler beider Staaten unter Aufsicht eines EU-Diplomaten sanft und geräuschlos auf Reisefreiheit mit dem Personalausweis, die Rückgabe der dringend benötigten Melderegister und die Anerkennung von Hochschuldiplomen. Jetzt ist die Stimmung aber schon wieder im Eimer. Letzte Woche verhängte Prishtina eine Handelsblockade gegen Waren aus Serbien. Dessen Präsident Boris Tadic sprach von einer „feindseligen Geste“ und einer „Provokation“. Die nächsten Verhandlungen wurden abgesagt.

Merkel in Belgrad

Es gibt tatsächlich noch einiges zu lösen. Dass Waren aus Serbien über den serbisch gehaltenen Nordkosovo unverzollt und unversteuert ins Land dringen, ist für die schwache kosovarische Wirtschaft schon eine Herausforderung. Nur zu gern hätte die Regierung in Prishtina dem freien Warenfluss schon früher ein Ende gesetzt. Bisher scheiterte das Embargo aber am Einspruch aus Washington und Brüssel. Jetzt gab es offenbar grünes Licht. Bevor Serbien den Kandidatenstatus bekommt, soll es auch in der Handelsfrage einlenken. Ende August wird Angela Merkel in Belgrad erwartet. Sie dürfte ihren Besuch dazu nutzen, für den nächsten Schritt Serbiens zum EU-Beitritt ein paar Bedingungen zu formulieren.

Die Taktik der Deutschen und der Amerikaner beruht auf der Einschätzung, dass Tadic und seine regierenden Demokraten im Herbst einen Durchbruch in der Beitrittsfrage brauchen, wenn sie die anstehende Parlamentswahl gewinnen wollen. Das Kalkül ist rational. In Serbien, wo im Vergleich zum alltäglichen Erdbeben die große Europakrise wie eine laue Brise wahrgenommen wird, gilt der Beitritt als einziger Ausweg aus der langen Misere. Eine Wahl hat Tadic mit positiven Signalen aus Brüssel schon gewonnen. Der Opposition blieb nichts übrig, als auf seinen EU-Kurs einzuschwenken. Das spricht dafür, das gelungene Experiment noch einmal zu wiederholen.

Riskant ist Europas Taktik trotzdem. Weil die Opposition jetzt auch in die EU strebt, kommt die Beitrittshoffnung nicht mehr unbedingt nur der Regierung zugute. Je mehr Konzessionen den Demokraten vor der Wahl abgezwungen wird, desto schwächer fällt der Rückenwind aus, wenn das Ziel des Kandidatenstatus erreicht ist. Umgekehrt müssen die Europäer nicht mehr nur auf Tadic setzen, wollen sie das schwierige Land in die EU lotsen – das schafft Spielräume. Die britischen Konservativen haben schon angefangen, mit der Belgrader Opposition zu flirten. Ein Machtwechsel in Belgrad würde das Land aber weit zurückwerfen. Wenn die Beitrittsverhandlungen einmal angefangen haben, ist vorerst Schluss mit aller Taktiererei. Dann ist Kompetenz gefragt, und die hat die Opposition nicht einmal in Ansätzen zu bieten. Europa hätte einen Satz gewonnen, das Spiel aber verloren.

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