Schlacht ums himmlische Königreich

GESCHICHTSMYTHOS Sieg und Niederlage im Kosovo - und die Seele Serbiens

Das Kosovo sei die »Wiege des serbischen Staates«, pflegt die Belgrader Presse mangels anderer Argumente unablässig zu wiederholen. Das ist kitschig formuliert, aber nicht falsch: Tatsächlich war die Bergregion das Zentrum des mittelalterlichen Königreichs Serbien, bis die Türken die serbischen Herrscher von dort vertrieben. Das war im Jahre 1455 und ist damit viel zu lange her, um vor der Welt so etwas wie einen Anspruch zu begründen. Auch die Klöster Gracanica und Decani oder die orthodoxe Patriarchie in Pec bilden keinen zwingenden Grund, warum das Kosovo auf Dauer bei Serbien bleiben müßte. Überall in der Welt wird die Tatsache, daß 1991 von den Bewohnern des Kosovo nur 195.000, exakt zehn Prozent, sich als Serben bekannten, für weit wichtiger gehalten. Im Westen nimmt man die historischen Argumente der Serben wenig ernst; sie dienen dort eher als Beleg dafür, daß man in Serbien eben mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart lebe. Die Kosovo-Albaner vermuten gern, daß die Klöster und der Spruch von der »Wiege« vorgeschoben seien; in Wirklichkeit gehe es dem Regime in Belgrad nur um Bodenschätze.

Aber das ist nicht fair: Mehr noch als ein wichtiger geographischer ist das Kosovo im serbischen Nationalbewußtsein ein ideeller Ort. Es liegt für das serbische Nationalgefühl systematisch noch immer im Zentrum. Das gilt auch für die große Mehrheit der Bevölkerung, die sich für Mythen nicht interessiert, und es wird auch nicht durch die Tatsache widerlegt, daß die Serben in ihrer großen Mehrheit keinesfalls für das Kosovo sterben wollen. Die Resignation, die das serbische Volk in der Kosovo-Frage bei aller kriegerischer Radikalität ihrer Führung befallen hat, erstreckt sich eben auch auf die eigene nationale Selbstbehauptung.

Es geht auch weniger um das reale Kosovo, in dem die Serben nur sehr ungern leben und das die meisten von ihnen niemals gesehen haben, als um ein imaginiertes »himmlisches« Kosovo. In den epischen Liedern über die Schlacht auf dem Amselfeld 1389 unterliegt der Zar Lazar gegen den türkischen Sultan Murat, weil er von dem ungetreuen Vuk Brankovic verraten wird. An Warnungen hat es nicht gefehlt; mit mehr Schläue hätte Lazar der Niederlage wohl entgehen können. Aber Lazar opfert als gut christlicher Herrscher sein irdisches Königreich, um das himmlische zu erringen. Der Mythos ist der Passionsgeschichte nachgebildet - wie auch viele andere mittelalterliche Epen, zum Beispiel auch das deutsche Rolandslied des Pfaffen Konrad, die nur mit immer neuem Material Geschichten aus dem Neuen Testament erzählen. Das Besondere bei den Serben ist, das der religiös umgeformte Mythos zugleich zum Gründungsmythos der Nation wurde: Serbien ist nicht nur das irdische, es ist auch das himmlische Königreich. In mancher Lage kann da der Tod süßer sein als der Sieg - dann, wenn als Preis für den militärischen Erfolg nur ein halbes, rein irdisches Serbien winkt. Der serbische Mythenforscher Jovan Miric folgert aus der Kosovo-Geschichte, daß es für einen Sieg nicht genüge, daß man die Gerechtigkeit auf seiner Seite habe, Serbien müsse umgekehrt auch auf der Seite der Gerechtigkeit stehen.

Man braucht die Mythen nicht mehr zu zitieren, sie sind - in säkularisierter Form - jedem Serben präsent. Schon 1389 wurde das irdische Kosovo geopfert, um das überirdische Serbien zu erringen. Später übertrug sich die Ambivalenz des serbischen Nationalgefühls auf das Verhältnis zu Jugoslawien: Im serbischen Verständnis hat sich Serbien um eines Höheren, Jugoslawiens willen, aufgegeben. Wer Serbien sagte, meinte zugleich stets etwas Ideelles oder Spirituelles. Dieses Verständnis erklärt nicht nur den imperialistischen Aspekt des serbischen Nationalismus, sondern auch die enorme, zuweilen selbstzerstörerische Opferbereitschaft: Mit der nationalen Identität geht es zugleich um das Weltverständnis. Seine spirituelle Dimension macht das serbische Nationalgefühl grenzenlos und damit gefährlich: Es ist nicht ethnisch-exklusiv, sondern weltumarmend; im Verständnis vieler radikaler Nationalisten sind bosnische Muslime und Kroaten und sogar Albaner weitgehend »abgefallene« oder »kolonisierte« Serben. Das Universelle im serbischen Nationalverständnis läßt an die menschheitsbeglückenden Nationalismen Frankreichs und der USA denken. Diese aber sind, anders als der serbische, an einen festen Kanon von Werten gebunden. Vielmehr ist der serbische Nationalismus eher dem älteren deutschen ähnlich: eine schwer zu fassende, mythische, »gefühlte« Wesenheit, die von berufenen Priestern auf je eigene Weise ausgelegt wird. Das Jammertal hier und die ferne Erlösungshoffnung in der Wiederkehr der Vergangenheit kennzeichnet das serbische Empfinden: Der Königssohn Marko wird auferstehen, wenn das Serbentum erst aus seiner Knechtschaft befreit ist - ganz wie Fried rich Rotbart aus dem Kyffhäuser.

Die Realität sieht völlig anders aus als der Mythos: Serbien steht nicht nur nicht auf der Seite der Gerechtigkeit, auch die Gerechtigkeit steht in den Kriegen der letzten Jahre überhaupt nicht auf seiner Seite. Auch das läßt sich mit der Ambivalenz des serbischen Nationalgefühls erklären: Mit Jugoslawien ist der spirituelle Aspekt des Serbentums verloren gegangen, übrig bleibt der nackte irdische, von aller Transzendenz und damit auch aller Moral befreite, der brutal und ohne jede ethische Beschränkung durchgesetzt wird. Man konnte das schon zu jugoslawischer Zeit anschaulich erleben: In der Larmoyanz über die undankbaren Mitbewohner Jugoslawiens, die mit dem gemeinsamen Staat nichts Höheres verbinden und nur immer ihre eigenen Interesse im Auge haben. Sie waren es, die das hochgestimmte serbische Gemüt in die Niederungen des politischen Kleinkriegs gezerrt haben. Jetzt sehen sie, was sie davon haben.

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