Serbien und Kosovo: Ewiges Tauziehen

Meinung Berlin und Paris erwarten von Belgrad, den Kosovo zwar nicht de jure, aber de facto anzuerkennen. Warum das vorerst nicht funktionieren wird, weiß Norbert Mappes-Niediek
Ausgabe 01/2023
NATO-Soldat:innen der Friedensmission im Kosovo
NATO-Soldat:innen der Friedensmission im Kosovo

Foto: Armend Nimani/AFP via Getty Images

Kriegsalarm auf dem Balkan wird im Schnitt ein- bis zweimal jährlich ausgerufen, zuletzt über die Weihnachtstage im Kosovo. Wirklich passiert ist wieder nichts. Ernst ist die Lage trotzdem. Dass sich der Ukraine-Krieg auf eine Region auswirkt, in der kleine Nationen traditionell Verbündete unter den großen suchen, darf niemanden wundern. Vor allem Serbiens Rolle ist mit dem 24. Februar 2022 prekär geworden. Präsident Aleksandar Vučić hat sein Land bisher mit großem Geschick möglichst exakt zwischen Ost und West hindurchgelotst. Ganz wie es einst Präsident Tito erfolgreich mit dem viel stärkeren Jugoslawien tat. Aber wenn Ost und West, wie jetzt, am Rande des Krieges stehen, ist der Kurs nicht zu halten.

Druck kommt vor allem aus dem Westen. Serbien soll sich den Russland-Sanktionen der EU anschließen und endlich der seit 2008 unabhängige Kosovo anerkennen. Es gilt das Gesetz des Tauziehens: Druck auf Serbien ist Ermunterung für die Kosovo-Albaner. So unternahm der nicht minder geschickte Kosovo-Regierungschef Albin Kurti Schritte, den serbisch besiedelten Norden unter seine staatliche Kontrolle zu bringen. Vučić witterte die Gefahr und eskalierte den Streit. Mit Erfolg: Auf europäischen Druck hin musste Kurti sich beugen. Er unterschrieb, dass er seine Spezialpolizei künftig nur dann in den Norden schickt, wenn die NATO-Truppe im Land ihr Okay gibt. Den Plan, den Serben im Norden kosovarische Auto-Nummernschilder vorzuschreiben, hatte Kurti schon vorher aufgeben müssen.

Damit ist klargestellt, dass die Kosovo-Albaner den Druck, den der Westen auf Serbien ausübt, nicht auf eigene Faust verstärken dürfen. Der Druck aber bleibt. Besonders Deutschland will in der Kosovo-Frage endlich klare Verhältnisse schaffen. Seit September liegt ein „deutsch-französischer Vorschlag“ vor. Der knappe, höchst vernünftige Plan sieht vor, dass Serbien und Kosovo – wie einst die beiden deutschen Staaten BRD und DDR – beim jeweils anderen eine „ständige Vertretung“ einrichten und Belgrad seine Blockade des Kosovo in internationalen Institutionen aufgibt. Umgekehrt soll der Kosovo – das steht nicht in dem Papier – endlich einen längst vereinbarten Verbund serbischer Gemeinden im Land schaffen.

Bloß: Wie durchsetzen? Beide Seiten haben den Plan prompt abgelehnt. Der Kosovo lässt sich noch relativ leicht locken – mit der längst überfälligen Aufhebung der Visumspflicht für Schengen-Staaten, wie der EU-Rat sie im Dezember beschlossen hat, besonders aber mit der De-facto-Anerkennung durch Belgrad. Und Serbien? Anbieten will Berlin beschleunigte EU-Beitrittsverhandlungen. Aber das ist leeres Stroh. Selbst wenn Deutschland und Frankreich wirklich Tempo machen, können 25 andere EU-Staaten den Prozess blockieren, wann immer sie wollen. Es fragt sich, ob das Angebot für Vučić wirklich eine Verlockung ist. Mit seiner Machtfülle wäre es vorbei; als Kapitän seines Segelboots Serbien darf er sich selbst in der Fahrrinne zwischen zwei Kriegsschiffen noch komfortabler fühlen als im Schlepptau des einen, des europäischen. Das abschreckende Beispiel hat er vor der Nase: Das benachbarte Nordmazedonien hat alle Anforderungen der EU immer getreu erfüllt, nur um an der nächsten Ecke mit einer neuen Blockade überrascht zu werden.

Norbert Mappes-Niediek hat jüngst das Buch Krieg in Europa. Der Zerfall Jugoslawiens und der überforderte Kontinent veröffentlicht

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