Viel Sinn fürs Tackling

Kosovo Serben und Kosovo-Albaner verhandeln wieder miteinander. Ergebnis könnte eine Teilung des Kosovo nach dem Prinzip sein: Erst schrumpfen, dann richtig unabhängig werden

Erst kommt das Passierscheinabkommen, und am Ende tauscht man Botschafter aus, die man „Ständige Vertreter“ nennt: Die Jahre der deutsch-deutschen Entspannungspolitik haben vorgemacht, wie man völkerrechtliche Konflikte mit etwas Phantasie beiseite räumt – das könnte jetzt auf dem Balkan wiederholt werden. Die Bedingungen sind sogar günstiger als seinerzeit in den siebziger Jahren, denn hinter Serben und Kosovaren stehen keine Blöcke. Der große Vorteil ist freilich zugleich ein kleiner Nachteil: Wer den Prozess stören will, kann das ungehindert tun. Seit Anfang März verhandeln Belgrad und Prishtina über „praktische Fragen“. Sie werden aller Voraussicht nach beispielsweise den Telefon-Krieg beilegen. So hat Serbien bisher verhindert, dass Kosovo eine eigene internationale Vorwahl zugeteilt wird. Kosovarische Handys sind deshalb nur unter monegassischer und slowenischer Vorwahl zu erreichen – zur Freude der Telekom-Aktionäre in Monaco und Ljubljana.

Auf die Unabhängigkeitserklärung Kosovos vom Februar 2008 hat Belgrad mit Blockadepolitik reagiert. Erfolgreich: Außer bei Weltbank und IWF hat der neue Staat in keiner internationalen Organisation Aufnahme gefunden. Nicht einmal ein Fußball-Länderspiel darf er bestreiten. Weil der Norden weiter serbisch kontrolliert ist, gelangen Waren aus Serbien unverzollt und unkontrolliert in den Nordkosovo. Serbien sieht das Gebiet schließlich als sein Territorium an. Umgekehrt darf Prishtina den Warenfluss vom Norden in den Süden seines Staatsgebiets nicht behindern. Über das Patt freuen sich Schmuggler beider sowie dritter Nationen. Hauptleidtragender ist die schwache kosovarische Ökonomie.

Ungewohnt harmonisch

Prishtina muss also ein materielles Interesse am Erfolg der Gespräche haben – Belgrad hat immerhin zugleich ein politisches. Auch nach der Rechtsmeinung des Internationalen Gerichtshofs, abgegeben im Sommer 2010, ist der Status des Kosovo völkerrechtlich nicht entschieden. Damit verfügt Belgrad über ein Pfund, mit dem es vorsichtig Handel treibt. Um einen Gewinn zu erzielen, muss man sein Pfund aber auch einlösen. Im Gegenzug für die Deblockade hofft Serbien auf einen festen EU-Fahrplan. Präsident Tadic braucht vor der Wahl 2012 einen Erfolg, er setzt auf EU-Außenministerin Ashton, die sich ihrerseits freuen darf, wenn jemand mit ihr rechnet. Auch die Fortschrittspartei als stärkste Oppositionskraft steuert inzwischen auf Brüssel zu und hält sich deshalb mit Störfeuern zurück. Und die rechtsnationalen Alt-Radikalen sowie Ex-Regierungschef Kostunica zetern zwar über Kompromisslertum in der Kosovo-Frage, scheitern aber an einer geschickten Taktik der Regierung: Außenminister Vuk Jeremic lässt sich an nationaler Rhetorik von niemandem übertreffen. Im Schallschatten seiner Parolen kann sich Pragmatismus der Regierung frei entfalten.

Der Gesprächsauftakt verlief ungewohnt harmonisch. „Normal und freundlich“, sei die Atmosphäre gewesen, so Serbiens Delegationsleiter Borko Stefanovic, ein Diplomatenprofi ohne nationale Komplexe. Auf der kosovarischen Seite steht ihm mit Vizepremier Edita Tahiri eine gemäßigte Politikerin gegenüber. Gleich zu Beginn lieferte sich das Paar ein hübsches Tackling. Belgrad müsse „die Realität“ anerkennen, so Tahiri. Deren gebe es aber mehrere, entgegnete Stefanovic unter Anspielung darauf, dass Prishtina den Norden Kosovos nicht kontrolliert. Wenn beide sich so die Bälle zuspielen, ist der Ausgang des Spiels leicht zu erraten: Kosovo wird geteilt. Offen ist allein, ob bloß de facto oder auch de jure. Letzteres könnte am Ende gar nicht mehr wichtig sein. Kosovo hat seit der Unabhängigkeit praktisch keine Außenpolitik betrieben. Alle Entscheidungen fallen in Brüssel, Berlin und Paris. So muss die Regierung von Hashim Thaci keine außenpolitischen Erfolge vorweisen und darf sich stattdessen als Gewerkschaft der Kososo-Albaner gegenüber der EU gerieren. Zuweilen tut sie das und mobilisiert nationale Empörung, gegen die UNO oder gegen die Kooperation der EU-Rechtsstaatsmission mit der serbischen Polizei. Spielraum verschafft sich Prishtina gern mit dem Verweis auf die guten Beziehungen zu den USA, die im Land einen großen Militärstützpunkt unterhalten. Schon das Schweigen der Amerikaner deuten die Albaner als Beistand.

Kommt bei den Gesprächen Störfeuer von radikaler Seite, kann Prishtina also lavieren. Steht eine Teilung des Kosovo an der ethnischen Grenze im Raum, werden voraussichtlich auch Gegenforderungen laut: die nach dem „Ost-Kosovo“ etwa, einem albanisch besiedelten Landstrich in Serbien, oder nach der Shqiperia etnike, der Fusion zwischen Albanien und Kosovo.

Norbert Mappes-Niediek hat ist seit 1990 Balkan-Spezialist des Freitag

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