Was der neugegründete PEN Berlin machen kann, sollte, müsste … Eine Programmschrift

PEN Berlin. Der neugegründete PEN Berlin nimmt seine Arbeit auf. Wie aber wird diese sich gestalten lassen? Bleibt es ausschließlich bei der Kernaufgabe, der Hilfe für verfolgte Schriftsteller und Schriftstellerinnen? Oder ist noch ein Tick mehr drin?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Am 10. Juni 2022 gründete sich der PEN Berlin im Literaturhaus Fasanenstraße. Wer, wie ich, dabei war und somit Gründungsmitglied ist, fragt sich seitdem, was der PEN Berlin konkret zu tun berufen ist. Zuallererst kümmert sich ein PEN gemäß der Charta des Internationalen PEN um die freie Meinungsäußerung und den Schutz derselben im eigenen Land sowie weltweit. Das beinhaltet das Verfassen von literarischen und auch journalistischen Texten und von Resolutionen, aber auch (und besonders) die konkrete Hilfe für Schriftsteller und Schriftstellerinnen, denen im eigenen Land Zensur, Verfolgung, Haft, Folter und Tod droht. Auf der Gründungsversammlung am 10. Juni warb Deniz Yücel somit abschließend noch einmal eindringlich darum, sich an dieser konkreten Hilfe zu beteiligen. Es sei aber auch völlig in Ordnung, wenn man das nicht wolle oder könne. Nun ist es in vielen Vereinen sicher so, dass sich ein mehr oder weniger großer Teil der Mitglieder nicht aktiv beteiligt und nur die Mitgliedsbeiträge zahlt. So läuft es wohl auch, nach allem was ich höre, im PEN-Zentrum Deutschland, dem „alten“ PEN. Wie nun wird es im neuen PEN sein, dem PEN Berlin? Der Schriftsteller Bernhard Schlink schrieb in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15. 06. '22 ganz zurecht, Schriftsteller seien Individualisten, die in Einsamkeit sehen und denken und schreiben und Freiheit bräuchten. „Aber“, so Schlink weiter, „wir sind keine Politikmenschen, sonst wären wir in die Politik gegangen, und keine Organisationsmenschen, sonst hätten wir unser Tätigkeits- und Wirkungsfeld in Organisationen gefunden. Gelegentlich empören wir uns politisch und engagieren uns politisch, und gelegentlich tun wird das gemeinsam – die Charta des internationalen PEN bietet die Grundlage.“ Im Großen und Ganzen plädiert Schlink für eine baldige Wiedervereinigung der beiden deutschen PEN. Ob es je dazu kommen wird, steht in den Sternen, aber es dürfte klar sein, dass es der guten Sache dient, wenn jetzt beide Vereine im Sinne der Charta funktionieren und ihrem Anspruch gerecht werden. Wie aber, und das scheint mir bei aller Gründungseuphorie eine sehr wichtige Frage zu sein, bekommt man es hin, dass der PEN Berlin mit seinen jetzt schon 370 Mitgliedern als großes Ganzes, sprich: als Verein wirklich funktioniert. Wie erscheinen wir in der Öffentlichkeit? Werden wir wohlwollend auf- bzw. angenommen? Die Kommentare zu den Zeitungsartikeln zum Thema PEN Berlin sprechen da Bände, nicht selten ist von einer Selbstüberschätzung der Schriftstellerkaste die Rede, viele Kommentare sind offen polemisch und gehässig, die meisten trauen dem PEN keine besondere Rolle zu. Nun hat die Intellektuellenfeindlichkeit in Deutschland eine sehr lange Geschichte und man sollte sich davon nicht ins Bockshorn jagen lassen. Vielmehr wäre es angemessen, die wirkliche Verfasstheit des PEN Berlin in der Öffentlichkeit selbst darzustellen, statt sich mit nicht selten polemischen und vorverurteilenden Zeitungsartikeln zufriedenzugeben, die dann eben besagte Kommentare und Meinungen befördern. Jeder, der die Presse zur Gründung des PEN Berlin verfolgt hat, weiß wovon ich rede. Meiner Ansicht nach ist das in der Öffentlichkeit entstandene PEN-Berlin-Bild, ausgehend vom Gotha-Desaster des „alten“ PEN, jetzt bereits negativ konnotiert, und da werden auch erfolgreiche Hilfsaktionen nicht viel ändern können. Man sieht uns, wenn man überhaupt ein Auge auf uns wirft, als eine abgehobene Truppe, die aus dem Elfenbeinturm heraus agiert. Die Presse wird sich, in guter alter Journalistenmanier, auf Deniz Yücel und vielleicht auch auf Eva Menasse einschießen und die weniger prominenten Mitglieder nicht weiter beachten. Was hilft es dann, im PEN Berlin eine flache Hierarchie zu haben, wenn im Öffentlichen nur eine Art ZK im Elfenbeinturm gesehen wird? Andreas Platthaus, FAZ-Redakteur für Literatur und literarisches Leben, zeigt in seinem Kommentar vom 10. 06. '22 bereits die Marschrichtung auf: „PEN Berlin, das macht die Gründungsversammlung klar, ist vor allem PEN Yücel.“ Was also tun? Können wir als Mitglieder des PEN Berlin unabhängig von Funk, Fernsehen und Presse ein freies Wort wagen, das unvermittelt bei der interessierten Öffentlichkeit ankommt? Oder müssen wir uns der „Zensur des Marktes“ unterwerfen und darauf hoffen, gelegentlich, vermittelt über prominente Mitglieder, positiv in der Öffentlichkeit aufzutauchen und dadurch verfolgten Schriftstellern und Schriftstellerinnen besser helfen zu können? Oder sollten wir, als Fachleute des Schreibens und des Büchermachens, dies alles nicht besser selbst in die Hand nehmen, um direkt an die Öffentlichkeit heranzutreten? Müsste man nicht der Freiheit des Wortes (auch hier in Deutschland) konkret und in der Tat dienen, indem man sich die Freiheit nimmt, statt sie als gegeben selbstverständlich hin- und anzunehmen? Kurz: Könnte, sollte, müsste der PEN Berlin nicht auch durch Schriften seiner Mitglieder an die Öffentlichkeit treten? Könnte, sollte, müsste man nicht zu wichtigen politisch-kulturellen Themen (Heimat, Fremde, Muttersprache/Vaterland, …) kurze Beiträge der Mitglieder als ein Jahrbuch herausgeben, damit die Wirkung des PEN Berlin über die konkrete Nothilfe hinaus eine nachhaltigere ist? Damit die Menschen buchstäblich etwas in den Händen halten, ein in den Buchhandlungen tatsächlich vorhandenes Buch, das eben nicht so aussieht, als sei es aus dem Elfenbeinturm gefallen! Wie aber sähe so etwas konkret aus in einer Vereinigung, in der einige wenige mit ihren Büchern Millionenauflagen erzielen und andere sich mit Neben- und Brotjobs knapp über Wasser halten? Kommt man da überhaupt zusammen? Allen gemeinsam ist sicher, wenig Zeit übrig zu haben, aus welchen konkreten Gründen auch immer. Trotzdem: Ein Vereinsleben entsteht nicht allein über eine Jahreshauptversammlung oder über die Arbeit des Vorstandes (des Boards) und die Entlastung desselben, es entsteht über Beteiligung am Machbaren, über sinnreiches Tun in der Welt da draußen, in der wir alle ja ganz bodenständig leben, anderslautenden Ansichten zum Trotz.

In diesem Sinne …

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden