Die Verbindung zwischen Samuel Beckett, Nobelpreisträger für Literatur des Jahres 1969, dem Dortmunder Bier und der Linienstraße in der Dortmunder Nordstadt gehört sicherlich weder zum Grundwissen von Literaturwissenschaftlern noch von Braumeistern – und doch gibt es diese Verbindung! „Dortmunder“, eines der Gedichte des 1935 in Paris erschienenen Bandes „Echo’s Bones“, sei jedenfalls, so Samuel Beckett selbst, unter dem Einfluss von Dortmunder Bier entstanden. Zwischen 1928 und Anfang 1930 unternahm Beckett mehrere Reisen von Paris nach Kassel, in Dortmund musste er auf der Hin- und Rückfahrt jeweils umsteigen. Der Hauptgrund seiner Reisen war seine Cousine Peggy Sinclair, in die er sich 1928 in Dublin verliebt hatte und die nun mit ihren Eltern, die dort einen Kunsthandel betrieben, in Kassel lebte. Beckett begann also eifrig Deutsch zu lernen und machte sich auf den Weg.
Stellen wir uns also einen jungen Iren Anfang zwanzig vor, der Ende der 1920er Jahre am Dortmunder Hauptbahnhof aus dem Zug steigt. Er ist etwas müde und hat nun eine ganze Weile Aufenthalt bis zur Abfahrt seines Anschlusszuges. Warum also, wird er sich gleich beim ersten Mal gedacht haben, nicht mal das hiesige Bier probieren und sich die Stadt ansehen! Eine Offenbarung war ihm Dortmund aber wohl nicht, denn er ist seit kurzem Englisch-Lektor an der École Normale Supérieure in der Weltstadt Paris. Ende Oktober 1928 war er dort eingetroffen und hatte sich schnell das Ausgehen und vor allem das Trinken angewöhnt, wobei der Alkohol, so der Beckett-Kenner Friedhelm Rathjen, nicht zuletzt die Funktion hatte, seine Scheu im Umgang mit Menschen, die er nicht gut kennt, zu überspielen. Beckett jedenfalls mag das Derbe und das Bodenständige, Bars und Kneipen und überhaupt die einfachen Lustbarkeiten, die er schon als Student in Dublin durchaus nicht verachtete. In seiner Schulzeit hatte er hingegen noch abstinent gelebt, ganz noch im Sinne seiner streng protestantischen Mutter, die jede Form der Ausschweifung als Sünde ablehnte.
Samuel Beckett ist aber, das am Rande, durchaus nicht der einzige Schriftsteller der Literaturgeschichte, der mitunter der berauschenden Wirken des Bieres eine Idee, ein Gedicht oder gleich ganze Romane verdankt. Johann Paul Friedrich Richter, genannt Jean Paul und einer der berühmtesten Zeitgenossen Goethes, wählte sogar seinen Wohnort nach der Qualität des Bieres aus. Doch der gute Jean Paul trank nicht (nur) um des Vergnügens willen, sondern brachte sich ganz bewusst in eine ganz bestimmte Schreibstimmung. Und auch ihm verwandelte sich die Welt im Bierrausch, schrieb er doch in einem Brief im Jahre 1803: „Ich kenne keinen Gaumen-, nur Gehirnkitzel; und steigt mir eine Sache nicht in den Kopf, so soll sie auch nicht in die Blase“.
Doch zurück zu Samuel Beckett und seinem Gedicht „Dortmunder“. Der junge Schriftsteller ist also schwer verliebt und nicht minder verwirrt, denn seine Cousine Peggy hatte kess und nicht im mindesten schüchtern sexuell die Initiative ergriffen. Da lag es nahe, sich bei jeder Gelegenheit, bei der Frauen eine Rolle spielten, ordentlich Mut anzutrinken. Doch das Trinken ist für Beckett mitunter noch immer eine zwiespältige Angelegenheit, handelt er so doch all den protestantischen Prinzipien seiner Mutter entgegen. Das Bier und das Trinken als einer Sünde spielt auch in Becketts Romanen nicht selten eine Rolle, etwa in „Molloy“ (1951). Einer der beiden Protagonisten, Jacques Moran, ist ziemlich versessen darauf, immer Bier und am besten Pilsener im Haus zu haben. Aber auch er fragt sich, ob es nicht etwa doch Sünde ist, Bier zu trinken? Würde er zum Beispiel die Heilige Kommunion, den Leib Christi empfangen dürfen, wenn er einen Krug Pilsener intus hatte? Nun, der Priester würde nicht danach fragen, aber Gott würde es früher oder später erfahren, so überlegt er, doch vielleicht würde er ihm verzeihen. Aber hatte das Abendmal, wenn es auf Bier genommen wurde, überhaupt die gleiche Wirkung? Moran beschließt zunächst einmal, auf dem Weg zum Pfarrhaus ein paar Pfefferminztabletten zu lutschen. Am Ende kommt er dann zu der Erkenntnis, dass der Pater, wenn er um den Biergenuss weiß und ihn trotzdem kommunizieren lässt, aus dem gleichen Grunde sündigte wie er. Wenn es denn, die Frage bleibt, überhaupt eine Sünde ist!
Samuel Beckett zieht also mindestens einmal, vermutlich aber doch bei mehreren Zwischenaufenthalten, durch die Kneipen und Tanzdielen der Dortmunder Nordstadt, wo die Sünde quasi zuhause ist. Er trinkt natürlich einiges von dem guten Dortmunder Bier, bis er die ganze Welt buchstäblich in einem neuen Licht sieht und sie sich ihm ganz und gar verwandelt. Dementsprechend beginnt auch das aus diesem Erlebnis resultierende Gedicht „Dortmunder“ mit der Zeile Im Zauber das homerische Zwielicht / In the magic the Homer dusk. Zuvor wird er wohl in der „Roten Mühle“ im Fredenbaum-Vergnügungspark gewesen sein (nach dem roten Turm der Zuflucht / past the red spire of sanctuary), dann aber hat es ihn in die Linienstraße im Bordellbezirk am Steinplatz/obere Münsterstraße verschlagen, wo immer auch einige besserbetuchte Herren aus den bürgerlichen Vierteln der nahen Innenstadt ihr Vergnügen suchen. Im Gedicht heißt es:
hastend zu der violetten Lampe zur schwachen K’in Musik der Puffmutter /
hasten to the violet lamp to the thin K’in music of the bawd
Die Aussage Becketts, das Dortmunder Bier sei quasi mitverantwortlich für die Entstehung des Gedichts, ist jedenfalls mehr als plausibel, denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein stocknüchterner junger Mann im Bordell landet, ist im allgemeinen wohl eher ziemlich gering. Er geht also, die Hände tief in die Hosentaschen versenkt und mit gespielter Lässigkeit, durch die Linienstraße mit seinen erleuchteten Fenstern, wo die Huren ihre Dienste anbieten und sich in all ihrer Pracht und Verruchtheit präsentierten. Würde er den Mut haben, den Einflüsterungen einer der Schönen zu folgen? Denkbar, dass er eine Weile zögerte, ob er denn, weil er ja schließlich in Peggy verliebt ist, solch ein Haus überhaupt betreten durfte. Wäre das nicht eine wirklich schlimme Sünde, gar nicht zu vergleichen mit einem Bierrausch! In seinem im Sommer 1932 geschriebenen (und erst 1993 aus dem Nachlass heraus veröffentlichten) Roman „Traum von mehr bis minder schönen Frauen“ denkt der Protagonist Belacqua darüber nach, ob es denn statthaft und erlaubt sei, als verliebter Mann dennoch ein Bordell zu besuchen. Es heißt dort: „(…) wieso hätte denn eine vernünftige Bordellbenutzung (…) auch nur den geringsten Frevel darstellen können gegen die Empfindung, die er für seine ferne Blume – Licht, Melodie, Duft, Fleisch und Umarmung seines inneren Menschen – hegte? Aber: der innere Mensch, sein Hunger, seine Finsternis, sein Schweigen, blieb das alles gänzlich außerhalb des Bordells, nahm es an dem zwielichtigen Verkehr des Bordells gar nicht teil? Es blieb nicht, und es nahm teil. Noch einmal: Es blieb nicht, und es nahm teil.“ Ähnliche Gedanken wird der Autor des Romans wenige Jahre zuvor in der Dortmunder Linienstraße gehabt haben, schwankend zwischen Rausch und Lust auf der einen und anerzogenen moralischen Bedenken auf der anderen Seite.
Er geht also die Straße rauf und wieder runter, immer hin und her, er fühlt sich nichtig, während das „königliche Wrack“ (Ich nichtig sie königliches Wrack / I null she royal hulk) ihn weiterhin lockt mit ihrer Glut:
Sie steht vor mir im hellen Stall
hält hoch den Jadesplitter
das vernarbte Jungfernhäutchen stiller Reinheit
die Augen die Augen schwarz bis zum östlichen Gefilde
sollen lösen der langen Nacht Phrase.
She stands before me in the bright stall
sustaining the jade splinters
the scarred signaculum of purity quiet
the eyes the eyes black till the plagal east
shall resolve the long night phrase.
Am Ende dann tut er den Schritt und betritt das Haus der Sünde, hin zum Licht, hin zur ewigen Lockung des Weibes. Damit dann endet der Lautengesang:
Dann, gleich einer Schrift, aufgerollt,
und die Herrlichkeit ihrer Auflösung erhöhend
in mir, Habbakuk, Feldherr aller Sünder.
Schopenhauer ist tot, die Puffmutter
legt ihre Laute beiseite.
Then, as a scroll, folded,
and the glory of her dissolution enlarged
in me, Habbakuk, mard of all sinners.
Schopenhauer is dead, the bawd
puts her lute away.
Was dann aber geschah, bleibt der Phantasie der Leser und Leserinnen überlassen. Apropos Leser: sehr bekannt ist dieses frühe Gedicht Samuel Becketts nicht, auch nicht in Dortmund. Wäre es da nicht mal an der Zeit, es in schöner Lesbarkeit an der Hauswand am Eingang zur Dortmunder Linienstraße zu präsentieren?
Kommentare 12
Vielen Dank für die kundige Entschlüsselung des Gedichts des jungen Dichters und den konstruktiven Vorschlag, seiner zu gedenken. Es bleibt noch zu erörtern, was der Schopenhauer in dem Etablissement im Dortmunder Norden zu schaffen hatte.
Samuel Becketts Gedichte sind allerdings alle recht schwer vollständig zu entschlüsseln, man benötigt bei vielen zum Beispiel spezielle Ortskenntnisse. Der Schopenhauer dürfte in dem Gedicht wohl deshalb an eben dieser Stelle auftauchen, weil die dem Dichter dargebotenen Reize ein Wollen und daraus resultierend einen Energieschub auslösen – das jedenfalls würde ich ad hoc vermuten, denn dies entspricht dem, was Schopenhauer über den Willen schrieb und über die Willensfreiheit.
»Aber auch er fragt sich, ob es nicht etwa doch Sünde ist, Bier zu trinken? Würde er zum Beispiel die Heilige Kommunion, den Leib Christi empfangen dürfen, wenn er einen Krug Pilsener intus hatte?«
Aber doch nicht für einen echten temporären Wahl Dortmunder. Einen von uns, der sich dort zu Haus und geborgen fühlt, »wo [man] das Derbe und das Bodenständige, Bars und Kneipen und überhaupt die einfachen Lustbarkeiten, die er schon als Student in Dublin durchaus nicht verachtet« schätzt.
»Samuel Beckett zieht also mindestens einmal, vermutlich aber doch bei mehreren Zwischenaufenthalten, durch die Kneipen und Tanzdielen der Dortmunder Nordstadt, wo die Sünde quasi zuhause ist.«
Wo heute die Borussenfront zuhause ist?
»Er trinkt natürlich einiges von dem guten Dortmunder Bier, bis er die ganze Welt buchstäblich in einem neuen Licht sieht und sie sich ihm ganz und gar verwandelt.«
Handlungsbedarf gegen Spanner und Saufgelage am Nordbad
»Ähnliche Gedanken wird der Autor des Romans wenige Jahre zuvor in der Dortmunder Linienstraße gehabt haben, schwankend zwischen Rausch und Lust auf der einen und anerzogenen moralischen Bedenken auf der anderen Seite.«
Ist doch immer wieder schön, wenn man sich so tief in die Gedankenwelt einer längst versunkenen Zeit einfühlen kann. Man kann wunderbar Position beziehen, längst gewonnene Kämpfe, Scheingefechte gegen eine längst überkommene Moral führen und die Institution, die diese aufrechterhalten haben, und sich selber natürlich für so weltoffen und avantgardistisch halten, wie die Vorkämpfer der Freiheit, die wir alle heute als Folge der grandiosen Befreiungen genießen, die unsere Pioniere für uns im Vollrausch erkämpft haben.
Darauf einen Dujardin, ein Glas Dortmunder, oder doch lieber eine Wanne-Eickel?
In der Tat habe ich mich in die Gedankenwelt einer längst vergangenen Zeit hinein bewegt, aber schön ist das natürlich nicht wirklich, und zwar einfach deswegen, weil es in diesem "Früher" so anders nicht war. Es gab zwar kein Hallenbad in der Nordstadt, dort war früher der Schlachthof (nicht sehr schön), aber heftige Probleme mit Rechtsradikalen gab es Ende der 1920er Jahre leider eben auch in Dortmund und der ganzen Weimarer Republik. Als ich Ende 1988 nach Dortmund in die Nordstadt zog (wo ich bis 1994 gewohnt habe), habe ich gleich am zweiten Tag die Schule (das Westfalenkolleg) schwänzen müssen, weil demonstriert werden musste. (Auch die Zeit um 1990 ist heute längst vergangen, umso spannender ist die Projektdokumentation "Nordstadtbilder", 1989 erschienen, Klartextverlag, ISBN 3884743368. Gibt es sicher irgendwo antiquarisch, kann ich nur empfehlen, es gibt darin einige gute Texte zu 150 Jahren Nordstadt!)
In meinem Text über das beckettsche Gedicht geht es allerdings nicht um Sozialpolitik, Moral oder mein eigenes Weltbild, sondern um einen kulturhistorischen Blick anhand einer kleinen, durch ein Gedicht durch die Zeiten transportierten Begebenheit, die als solche zeitlos ist, denn Verliebtheit, Rausch, Lust und der Versuch (der Eliten), dies (gemäß der immer noch virulenten protestantischen Arbeitsethik) zu unterdrücken, dürfte es wohl auch heute noch geben, auch wenn vieles anders wirken mag heutigentags, all der "Freiheiten" wegen. Insofern jedenfalls gibt es keine "alten" Texte, denn jeder gute Text von "früher" ist immer auch aktuell, indem ich ihn lese und damit zu meinem mache.
Na ja, wenn allein der der Begriff "Sünde", unabhängig von der Übersetzung sieben Mal vorkommt, finde ich es schon berechtigt, den Beitrag unter dem Aspekt Moral zu betrachten. Und auch die protestantische Arbeitsethik ist ja eine Form von Sozialmoral.
Für den kulturhistorischen Blick danke ich Ihnen, ich kannte dieses Gedicht nicht. Mir ging es mit meinem Kommentar auch gar nicht darum, die Zeitlosigkeit eines so zeitlosen Gedichtes in Frage zu stellen. Allerdings teile ich Ihre Auffassung nicht, dass unsere Eliten den Versuch unternähmen Verliebtheit, Rausch und Lust zu unterdrücken. Jedenfalls nicht in dem moralischen Sinne, in dem das in den zwanziger Jahren der Normalität eines eines staatsbürgerlich guten Gewissens entsprach. Im Gegenteil: Verliebtheit, Rausch und Lust gehören gerade bei unseren Eliten unabdingbar zu einem zeitgemäßen Bewusstsein dazu. It's only Rock'n'Roll, but we like ist. Alles andere wäre spießig, rückständig, unaufgeklärt. Und die Liste der Künstler ist lang, mit denen sich heutzutage jedes Museum schmückt, das zeitgenössische Kunst bietet, deren gesellschaftskritische, bewusstseinserweiternde Sicht auf das, was wir Realität nennen dort, zur Schau gestellt für unseren intellektuellen Raubtierkäfig, kaum noch etwas mit der provokativen Bedrohung zu tun hat die sie in ihrer Zeit gewesen sein mag. Natürlich gibt es auf der inhaltlichen Ebene keine guten Texte, die wirklich alt werden. Aber es gibt tote Dichter. Und die beißen nicht mehr, auch wenn sie dem Einzelnen durchaus weiterhin bewussstseinserweiternde Anregung sein können. Und das ist es was ich meinte. Mir ging es weder um den Text, den ich gut finde, noch um Becket, dessen kulturhistorische Bedeutung außer Frage steht. Der würde aber heute weder die Öffentlichkeit polarisieren, noch die Eliten zornig machen mit seinen Texten. Wie beispielsweise Botho Strauss. Deswegen ist es immer einfach, sich auf Becket zu beziehen, auch wenn es nicht falsch oder unangemessen ist. Es ging mir um die Bedeutung, die Aussagen im Zusammenhang mit unserer Gegenwartskultur haben, auch und gerade was den politisch gesellschaftlichen Diskurs betrifft.
Die Sünde ist natürlich speziell für Beckett ein persönliches und damit literarisches Thema gewesen, auch in bezug auf die in der protestantischen Arbeitsethik durchaus nicht vorgesehenen Faulheit, der er sich sozusagen in den Augen seiner Mutter schuldig machte, als er seine Unikarriere in Dublin aufgab, um sich Richtung des Sündenpfuhls Paris aus dem Staub zu machen. Dementsprechend ist ja auch Belacqua das Alter Ego seiner frühen Schriften, quasi der Handwerker aus Dantes "Göttlicher Komödie" (Fegfeuer, Vierter Gesang), der "noch fauler als der Faulheit Bruder aussieht" und es aufgegeben hat, zum Himmel noch aufsteigen zu können, eben weil er kein gottgefälliges Leben geführt und die Reue bis zuletzt verschoben hat.
Das mit der Unterdrückung von Liebe, Lust etc. habe ich sicher etwas unpräzise ausgedrückt – was ich meinte ist, dass es zwar in unserer Gesellschaft sehr viele früher undenkbare Freiheiten gibt und diese auch durchaus sozial stabilisierend wirken (und zudem auch ordentlich Umsatz und Steuereinnahmen bringen), aber eben immer auch sehr viele andere (in Deutschland und anderwo) dafür zu bezahlen haben, dass es der quasi erweiterten Elite, den Gesunden und gut Entlohnten und Geförderten, an Freiheit nicht mangelt, Stichwort "Zweiklassengesellschaft". Herrsche und teile also, aber eben nicht mit allen. (Man denke in dem Zusammenhang nur mal an den fatalen Satz von Kanzler Schröder, es gebe kein Recht auf Faulheit.) Was nun den gesellschaftlichen Diskurs angeht, so haben Texte von lebenden Autoren sicher einen unmittelbareren Einfluss, den ich als Leser "alter" Texte für mich erst herstellen und umsetzen muss, um dann etwa, wie Botho Strauss dies versucht, mit einem quasi aus der Beschäftigung mit dem "Alten" (etwa der Antike oder der Frühmoderne) resultierenden Text Einfluss zu nehmen auf den Diskurs. Bezeichnend übrigens, dass heutigentags rechtskonservative Autoren wie Michel Houellebecq oder eben Botho Strauss vermehrt wahrgenommen werden, vielleicht aber gar nicht, weil sie den Diskurs wirklich beeinflussen, sondern einfach nur, weil sie gut in das ohnehin schon vorhandene Denken hineinpassen, also quasi nur die intellektuelle Munition liefern. Damit wäre aber die Literatur tatsächlich auf den Hund gekommen.
"Die" Dortmunder "Nordstadt: heute wie damals vmtl ein nicht eingelöstes, vlt nicht einlösbares, Versprechen auf Verruchtheit - ausser vlt, das Verruchtheit durchaus andere Züge tragen könnte, als zu vermuten wäre
Vielleicht geht es um wesentlich mehr, als um die Dortmunder Nordstadt und Verruchtheit. Vielleicht um Vorstellungen von Freiheit, die Anfang des letzten Jahrhunderts noch greifbar schien, einfach indem man sich persönlich der Fesseln der alten Weltbilder, der Gängelung durch die Religionen, sexuelle Tabus etc. meinte entledigen zu können. Der Mythos der Moderne, die große Freiheit, der auch nach zwei Weltkriegen und dem ganzen Desaster, das auch danach von eben der Zivilisation weltweit erzeugt wurde, die sich für befreit hält, ist ungebrochen. Und die Ikonen dieser angeblichen Befreiung werden nach wie vor auf die Sockel dieses Mythos gehievt, weil niemand wirklich auf die Idee kommen würde, einen nackten Kaiser hinter diesem Mythos zu vermuten. Was soll denn auch danach kommen, wenn man sich tatsächlich eingestehen müsste, dass all die Freiheit, die wir meinen uns erkämpft zu haben nur auf Kosten derer möglich war und ist, die wir ausbeuten müssen für unser ungehemmtes Wachstum? Ich glaube das niemand das Drama ertragen will und kann, das uns, der westlichen zivilisierten Welt noch bevorsteht, wenn dieses Selbstverständnis zusammenbricht. Genau sowie das Selbstverständnis, von dem die Sowjetunion getragen war zusammenbrechen musste. Vielleicht vertue ich mich, letztlich kann man ja auch nicht hinter das zurück, was einmal geworden ist. Vielleicht geht ja ein Ruck durch die Menschheit und wir finden gemeinsam eine Lösung für die Probleme, die sich schon längst nicht mehr innerhalb einer einzigen Nation, eines Staates oder eines größeren Interessenverbundes lösen lassen. Ich will nicht unken, aber im Moment sieht es noch nicht danach aus.
"Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen, und die Gesinnungen ändern sich gewiß in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind." (Goethe, Wahlverwandtschaften)
Die Palmen, das sind auch die Bäume, auf denen die Südfrüchte unserer Wahrnehmung wachsen, die uns zu entfremdeten Tigern und Elefanten gemacht hat. Oder sogar zu Dinosauriern die durch die eigene Zivilisation vom Ausssterben bedroht sind.
die realität ist eben auch nur ein mythos, ein narrativum ex coelis.
kaum jemand weiss, wie das geschehen ward - warum auch, wenn man weiss wer die schuld daran zu tragen hat.
das allerschlimmste: verständig wirken zu wollen ohne etwas begriffen zu haben - beckett vermochte es mich das zu lehren.
anderes wort: Weltmeinungsführerschaft.
fein, nicht wahr?
Inzwischen habe ich gelernt, dass man die Menschen nicht daran hindern sollte, sich auszulöschen - geschweige denn ermutigen.
Sie wollen das.
warum sollte man sie an ihrem freien willen hindern?
Schopenhauer: falsifiziert
wie sich das abendland doch munter weiter falsifiziert und das morgenland dabei gleich mit kompromittiert