Normale Unternehmen tätigen ihre Geschäfte mit einem Eigenkapitalanteil von 25 bis 30 Prozent. Demgegenüber ist beispielsweise das Eigenkapital der Deutschen Bank an der Börse gerade mal 15,5 Milliarden Euro wert. Das entspricht einer Eigenkapitalquote von unter einem Prozent. Als vor knapp zehn Jahren reihenweise Banken kollabierten, nutzten viele der gescheiterten Geldinstitute nur ein bis zwei Prozent Eigenkapital zur Finanzierung. In der Bilanz der Hypo Real Estate (HRE) stand ein Eigenkapitalanteil von mickrigen 0,08 Prozent.
Das ist das Grundthema des bemerkenswerten Buches Finanzwende. Den nächsten Crash verhindern der grünen Politiker Sven Giegold, Gerhard Schick und Udo Philipp. Allesamt sind sie ausgewiesene Kenner der Materie: Giegold sitzt als Finanzexperte im Europäischen Parlament, Schick in gleicher Funktion im Bundestag, Philipp möchte als Wirtschaftsexperte in wenigen Monaten ins deutsche Parlament gewählt werden. Insbesondere mit Sven Giegold und Gerhard Schick pflege ich einen engen Austausch – offen und kritisch, aber immer in dem guten Wissen, dass nicht gefühlte Wahrheiten Grundlage für die Meinungsbildung sind.
Weg von Hochrisikoaktien
In seiner 150 Seiten umfassenden Taschenbuchausgabe beschreibt das Trio detailliert, warum namhafte Banken jederzeit erneut in große Schwierigkeiten rutschen könnten. Unglaubliche 392 Milliarden Euro hat der deutsche Staat seit 2008 bereits eingesetzt, um deutsche Banken zu stützen. Ein Teil dieses Geldes wurde zwar zurückgezahlt, dennoch sind 225 Milliarden Euro Staatsschulden als Folgelast der Finanzkrise geblieben. Schon 10 bis 15 Milliarden Euro im Jahr würden ausreichen, um hierzulande dringend nötige Investitionen in die Infrastruktur, die Bildung oder in Maßnahmen gegen Altersarmut einzuleiten – eine schmerzliche Erkenntnis, wenn wir vor maroden Brücken im Stau stehen oder wenn Schulkinder in renovierungsbedürftigen Klassenräumen lernen müssen.
Was sind die Charakteristika dieser Bedingungen? Noch immer setzen viele Banken auf schnelles Wachstum und nicht auf nachhaltige Investitionen, noch immer entstehen viele Entscheidungen ohne Transparenz. Im Grunde, schreiben die Autoren, könnten Bankendesaster wie in Griechenland oder Italien auch Deutschland jederzeit erreichen.
Um es nicht zu einer solchen Katastrophe kommen zu lassen, schlagen die Autoren ein ambitioniertes Maßnahmenpaket vor. Eine wesentliche Forderung besteht darin, die internationalen Aufsichtsgremien zu stärken und die Großbanken zu zwingen, sich weniger auf Hochrisikoaktionen zu fixieren. Stattdessen sollen sie das Allgemeinwohl im Blick behalten und sich wieder mehr darauf besinnen, Kredite auszugeben und Investitionen anzukurbeln.
Die Autoren untermauern jede ihrer Thesen mit einer Fülle von Beispielen. Dem Bürokratie-Wahnsinn der heutigen europäischen Finanzaufsicht mit seinen Zehntausenden von Seiten voller Vorschriften und Regeln stellen sie den Banking Act aus dem Jahr 1933 gegenüber, der als Reaktion auf die damalige Weltwirtschaftskrise erlassen wurde. Dieser Act passte auf ganze 37 Seiten. Klar wird: Wir brauchen nicht mehr, sondern wirkungsvollere Regeln. So undurchschaubar wie die Normenkataloge ist auch das Dickicht der europäischen Finanzaufseher. Die Aufsichtsbehörden befinden sich in Frankfurt, Brüssel, London und Paris – eine einzelne zentrale Behörde gibt es nicht.
Institutionen wie die europäische Organisation Finance Watch könnten mit deutlich mehr Befugnissen ausgestattet werden. Dahinter verbirgt sich eine ergänzende, unabhängige und demokratische Finanzaufsicht, im Jahr 2012 ins Leben gerufen von 22 Europaabgeordneten verschiedener politischer Couleur. Würde man Finance Watch etwa Einsicht in regulierungsrelevante Daten gestatten und diese damit auch in die Öffentlichkeit tragen, könnten Finanzmarktgesetze der Zukunft erst nach einer transparenten und öffentlichen Analyse verabschiedet werden.
Im Jahr 2015 lagen die Sparleistungen in Deutschland 260 Milliarden Euro über dem Investitionsniveau. Eine fatale Entwicklung, denn so kommt der Arbeitsmarkt auf Dauer nicht in Schwung. Darüber hinaus müssten dringend Zukunftstechnologien gefördert werden, egal ob die Elektromobilität, eine rohstoffeffiziente Industrie, die Dämmung von Gebäuden oder das Vorantreiben regenerativer Energiequellen – ganz zu schweigen davon, dass fehlende Kreditnachfrage der Privaten und die Drosselung der Kreditaufnahme des Staates bei rapide wachsender Liquidität, noch dazu mit auf Deutschland fokussiertem Anlagewunsch, die eigentliche Ursache für das niedrige Zinsniveau und seine fatalen Wirkungen sind.
Steuerdumping eindämmen
Wie die drei Autoren bin ich der Meinung, dass wir die Rahmenbedingungen schaffen können, um solche Zukunftsprojekte und weitere nachhaltige Investitionen, etwa in die digitale Infrastruktur, in interkulturelle Ausbildungsprogramme oder in ein europäisches Eisenbahnnetz, zu finanzieren.
Last but not least: Wir müssen vor allem auch internationale Steuerschlupflöcher schließen. Die strafrechtlich zu ahndenden Cum-Ex-Geschäfte, bei denen dem Fiskus durch die unzulässige Mehrfacherstattung von Kapitalertragsteuern allein in Deutschland ein Schaden von rund zwölf Milliarden Euro entstanden ist, haben gezeigt, mit welch krimineller Energie manche Banken hier zu Werke gehen. Gegen Steuerdumping und Steuerhinterziehung kann man etwas tun, das haben die vergangenen Monate bewiesen. Wir haben internationale Initiativen zum besseren Austausch von Steuerdaten angestoßen, konnten großflächig Steuerhinterzieher dingfest machen und diverse Maßnahmen gegen Steueroasen initiieren, in der Karibik und bei uns in Deutschland.
Das alles sind Projekte, die weltweit immer mehr Anhänger finden und die ich als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen zu einem meiner Hauptanliegen gemacht habe. Es wäre gut für die internationale Steuergerechtigkeit, wenn das Buch dazu beitragen könnte, dass der Kreis der Anhänger noch größer wird.
Info
Finanzwende. Den nächsten Crash verhindern Sven Giegold, Udo Philipp, Gerhard Schick Wagenbach 2016, 176 S., 12 €
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