Das gütige Imperium

RECHT IN ZEITEN DER HEGEMONIE Krieg ist kein Relikt mehr

Seien Sie ehrlich, wen würden Sie lieber als dominante Macht im internationalen System sehen: Frankreich oder die USA? Wenn Sie antworten, die Vereinigten Staaten, stehen Sie nicht allein - selbst wenn Sie Europäer sind. Die Welt mag die amerikanische Arroganz anprangern, aber sie hängt von der einzig verbliebenen Supermacht als Garant der Stabilität und des Wohlstandes ab.« Robert Kagan, der diese Feststellung im Sommer 1998 in der angesehenen US-amerikanischen Zeitschrift Foreign Policy traf, steht damit auch nicht allein. »Das gütige Imperium« nennt er die USA und zitiert seinen alten Kollegen Samuel Huntington, der schon 1993 die Richtung vorgegeben hatte: »Eine Welt ohne Vorrangstellung der USA wird eine Welt mit mehr Gewalt und Unordnung, weniger Demokratie und ökonomischem Wachstum sein als eine Welt, in der die USA fortfahren, mehr Einfluß bei der Gestaltung der globalen Angelegenheiten zu haben als jedes andere Land.«

James Bakers »demokratische Mission« in Panama
Hiesige Kommentatoren meinten, daß die USA mit der zweiten Exekution des Irak am 16. Dezember 1998 Abschied von ihrem alten Prinzip der Weltgemeinschaft genommen und einen Strategiewandel zu einer imperialen Machtordnung der Welt eingeleitet hätten (Ernst-Otto Czempiel, FAZ vom 18. 12. 1998; Mare Weller, FAZ vom 21. 12. 1998). So schnell sind die hegemonialen Ansprüche der Reagan- und Bush-Administration vergessen! Ein Prinzip »Weltgemeinschaft« als zentrales Element US-amerikanischer Außenpolitik hat es nur bei Präsident Wilson, seinen 14 Punkten und Plänen zum Völkerbund sowie allenfalls bei Roosevelt in der Vorbereitung der UN gegeben. Aber wer erinnert sich nicht mehr der Rede zur »Lage der Nation« von Präsident Bush vor genau acht Jahren am 29. Januar 1991? In ihr stellte er die zuvor von ihm ausgerufene »Neue Weltordnung« unmißverständlich unter die globale Führungsrolle der USA im Hinblick »auf das nächste amerikanische Jahrhundert«.

Der einflußreiche Kommentator Charles Krauthammer hatte 1989 das anti-völkerrechtliche Credo der sogenannten »realistischen« Schule mit dem zweifelhaften Wortspiel umschrieben: »Das Recht - das Völkerrecht - ist ein ›ass‹« (wobei wir wählen können, ob wir »ass« mit Esel oder Arsch übersetzen). »Es hat nichts zu bieten, Außenpolitik wird am besten ohne Völkerrecht gemacht.« (Ch. Krauthammer, The Curse of Legalism, New Republic, vom 6. November 1989)

Dies war nicht nur die Ansicht eines imperial gestimmten Kolumnisten. Zur gleichen Zeit war eine Debatte im Justizministerium anhängig, ob man flüchtige Amerikaner auf fremdem Territorium ohne Zustimmung oder gar Kenntnis der betreffenden Regierung ergreifen dürfe. Das war noch zu Zeiten der Carter-Administration in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht für unzulässig gehalten worden. Nun aber räumte der stellvertretende Justizminister William P. Barr mit der bis dahin selbstverständlichen Ansicht auf, daß auch der Präsident der USA an Völkerrecht gebunden sei. In einem umfangreichen Gutachten schrieb er: »Vielmehr ist die Schlußfolgerung, daß der Präsident über die Autorität verfügt, sich vom internationalen Gewohnheitsrecht zu lösen, mit dem eigentlichen Sinn des Völkerrechts zu vereinbaren. Internationales Gewohnheitsrecht ist nicht ein rigider Kanon von Regeln, sondern eine sich herausbildende Gesamtheit von Prinzipien, die auf die allgemeine Praxis und Auffassungen von vielen Nationen gegründet sind. Es ist international anerkannt, daß neues Gewohnheitsrecht sich dadurch herausbilden kann, daß sich ein Staat von den vorherrschenden Prinzipien des internationalen Gewohnheitsrechts trennt und eine neue Regel der internationalen Gewohnheit oder Praxis einzuführen versucht (obwohl ein Staat nach internationalem Recht für Rechtsverletzungen verantwortlich bleibt, bis sich eine neue Regel entwickelt).«

Der irritierte Kommentar des ehemaligen US-Botschafters bei den Vereinten Nationen Moynihan auf diese Zumutung macht das Dilemma des Rechts in Zeiten der Hegemomie deutlich: »Man mag mit dem überhaupt nicht einverstanden sein - wie ich -, während man gleichzeitig die Offenheit des Vorschlags bewundert. Der Präsident mag das Recht brechen, wenn er bereit ist, die Konsequenzen zu übernehmen, und - wer weiß - wir werden uns wohl alle daran gewöhnen.«

Einen Monat später, am 20. Dezember 1989, starteten die USA ihre größte militärische Operation seit Vietnam und fielen in Panama ein, um ihres ehemaligen Verbündeten Manuel Noriega habhaft zu werden. Eine rechtliche Begründung dieser - völkerrechtlich nicht begründbaren - Aktion wurde innerhalb der Administration intensiv gesucht, aber nicht gefunden. Außenminister James Bakers »demokratische Mission«, wie er es nannte (sie taugte schon 1983 beim Überfall auf Grenada nichts), war völkerrechtlich völlig irrelevant: »Die Aktionen, die wir unternommen haben«, ließ er verlauten, »befinden sich nach unserer Meinung in völliger Über einstimmung mit dem Völkerrecht. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Sowjetunion unterstützen heutzutage die Demokratie ... Der Unterschied ist, daß die Sowjetunion Demokratie dadurch unterstützt, daß sie außerhalb der Länder bleibt und so Demokratie sich entwickeln läßt. In diesem einen und wirklich einzigen Fall haben die Vereinigten Staaten gehandelt, indem sie in das Land gegangen sind.« Baker selbst hat sich nie von diesem Unsinn distanziert.

Das Dogma der »militärischen Glaubwürdigkeit«
Die völkerrechtlichen Sicherheiten für den Frieden in der Welt hatten sich - zumindest für die südliche Erdhälfte - bereits Mitte der achtziger Jahre eindeutig verschlechtert. Und nach dem Verschwinden des sozialistischen Lagers machte der Londoner Sunday Telegraph, während im 2. Golfkrieg die Bomben auf Bagdad fielen, deutlich, wo der Hammer hängt: »Der Interessengegensatz zwischen der Ersten und der Dritten Welt existiert, und keine die Erste Welt zufriedenstellende internationale Ordnung sollte auf die Entscheidung einer Institution (das heißt der UNO) aufbauen, die rein zahlenmäßig von letzterer dominiert wird. Früher oder später wird die Dritte Welt andere Herausforderungen auf die Tagesordnung setzen. Aber wenn der Golfkrieg aufhört, wie er begonnen hat, kann es keinen Zweifel darüber geben, wer jetzt die Herren sind - jedenfalls für die nächste Generation ... «

Der 2. Golfkrieg war ein Menetekel für die Staaten der Dritten Welt, eine handfeste Drohung, die Verletzung der Interessen des Nordens militärisch zu ahnden. Was sich als politische Kategorie des Nuklearzeitalters im Ost-West-Konflikt allmählich durchgesetzt hatte, daß nämlich Kriege nicht mehr führbar waren, wurde für die Nord-Süd-Beziehungen ohne Rücksicht auf Kosten und Folgen widerlegt. Denn die Mächte an der Spitze der Hierarchie würden sich - so der amerikanische Publizist Gabriel Kolko - von der Politik der »militärischen Glaubwürdigkeit«, die nichts anderes als militärische Intervention der verschiedenen Typen in Grenada, Panama, Nikaragua, Afghanistan oder auch am Golf bedeutet, nicht abbringen lassen.

Es gab zahlreiche Stimmen in den USA, die diese Konsequenz bereits vor dem Golfkrieg mit den Imperativen einer Supermacht begründet hatten, die auf den freien Zugang zu den Auslandsmärkten und zu den »notwendigen Ressourcen für die Bedürfnisse unserer Industrie angewiesen« sei, wie es zum Beispiel General A. M. Gray betonte. Da ein solcher Zugang durch regionale Konflikte in der Dritten Welt gefährdet werden könnte, so meinte er, »müssen wir in unserer Verteidigungsstruktur eine glaubwürdige militärische Interventionskapazität bewahren, die flexibel genug ist, auf alle Typen von Konflikten überall in der Welt zu antworten.«

Es spricht vieles für die These Gabriel Kolkos, daß das Ende des Ost-West-Gegensatzes die maßgebliche Voraussetzung für den Krieg am Golf gewesen ist. Die amerikanische Operation Wüstenfuchs vom Dezember 1998 wurde dann schon ohne Beteiligung des UN-Sicherheitsrats unternommen und die beiden Veto-Mächte Rußland und China dabei bewußt ausgeschaltet. Ob die Bombardierung einer Pharmafabrik im Sudan Ende August 1998 oder die gerade jetzt immer stärker werdenden Luftangriffe in den sogenannten Flugverbotszonen des Irak: es sind rechtswidrige Interventionen der einzig verbliebenen Hegemonialmacht, die sich nun nicht mehr um das Gewaltverbot nach Artikel 2 der UN-Charta kümmert. Das alte Gleichgewichtssystem der Großmächte ist mit dem Untergang der Sowjetunion zerbrochen und das Friedenssystem der UNO ernstlich geschädigt.

Damit können sich die engsten Alliierten der USA leichter abfinden, da ihre Interessen nicht beeinträchtigt werden. Was aber werden sie sagen, wenn Rußland, China oder selbstbewußte Regionalmächte wie Indien ähnlich imperiale Ansprüche anmelden und in die Tat umsetzen?

Rufe nach einer »kopernikanischen Wende«
Hegemonialmacht - also der Einsatz politischer Macht zur Durchsetzung eigener Interessen - wäre dann akzeptabel, wenn sie sich im Rahmen der völkerrechtlichen Standards bewegen würde, nicht aber, wenn sie die Völkerrechtsordnung ihren Interessen unterordnet. Die siegreichen Alliierten hatten 1945 nicht ohne Grund für die Aktivitäten der Konfliktlösung und Friedenswahrung in der UN-Charta den Vorrang der Vereinten Nationen vorgesehen. Sie wollten sich gegenseitig kollektivrechtlich binden, um jedem einseitigen Machtexzeß unter dem Vorwand der Friedensstiftung einen Riegel vorzuschieben. Das schließt nicht andere Wege der Friedenspolitik aus, sofern die Ratio der UN-Option gewahrt bleibt - wechselseitige Machtbegrenzung und Berücksichtigung der beteiligten Interessen.

Die Crux des Völkerrechts ist in dieser Situation nicht seine mangelnde theoretische Reife, die Mißachtung des politisch Machbaren oder die Vernachlässigung des menschlichen Glücks. Die Gefahr ist vielmehr, daß es den Machtinteressen der mächtigsten Staaten vorwegeilt und sich damit von der Realität dieser Welt abkoppelt. Kaum eine Epoche des Völkerrechts hat einen derart schnellen Wandel und eine derart progressive Entwicklung erfahren wie die Nachkriegszeit in den gut 50 Jahren seit Gründung der UNO. Denn der Geltungsgrund seiner Normativität liegt im Konsens der Staaten und nicht in einem abstrakten naturrechtlichen Postulat.

Jedesmal, wenn der Weltfrieden durch Kriege erschüttert wird, die über den unmittelbaren regionalen Rahmen hinausgehen, wird der Ruf nach einer kopernikanischen Wende der Völkerrechtsordnung und ihrer Institutionen laut. So auch nach dem Golfkrieg von 1991: Von der Zulässigkeit der humanitären Intervention im Namen der Moral und der Menschenrechte über den Verzicht auf das Vetorecht bis zu der Ergänzung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, der Verstärkung der Kompetenzen des Generalsekretärs und des Internationalen Gerichtshofes. Diese Vorschläge sind nicht neu und werden seit den sechziger Jahren im Rahmen der UNO diskutiert.

Doch wer die UNO finanziell austrocknet und sich das Recht nimmt, in Jugoslawien militärisch einzugreifen, aber den Krieg und die Verletzungen der Menschenrechte bei seinem NATO-Partner Türkei vergißt, dessen Ruf nach Veränderung der Völkerrechtsordnung sollte eingehend geprüft werden. Es hat über 50 Jahre gedauert, bis das Statut eines »Weltgerichtshofes« zur Aburteilung von Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit verabschiedet, und ein Internationales Strafrecht im Anschluß an die Nürnberger Prinzipien entwickelt werden konnte. Die USA haben gegen die Verabschiedung gestimmt, und der Gerichtshof ist noch lange nicht errichtet. Dennoch wird er eines nicht mehr so fernen Tages kommen.

In ihrem letzten Bericht zur US-amerikanischen Außenpolitik in der Dezember-Ausgabe von Foreign Affairs hat sich Madeleine Albright nicht weniger als vier Mal zur »rule of law« bekannt und die Befolgung der internationalen Regeln als entscheidend für die Beziehungen unter den Staaten bezeichnet. Die Lösung wäre wohl nicht, daß sich das Recht der Hegemonie anpaßt, wie es das US-Justizministerium vorschlug, sondern daß die rechtsfreie Hegemonie aus den Herrschaftsformen einer demokratisch organisierten Staatengemeinschaft wie den Vereinten Nationen verschwindet und der »rule of law«, dem Recht unter gleichberechtigten Staaten, Platz macht.


Zu diesem Thema siehe auch:

Lutz Herden

Breshnew-Doktrin

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