Ein Staat muss abdanken

Sudan Der Süden des Landes steht vor der Unabhängigkeit – Afrika vor einer Sezession, die auch für andere Regionen des Kontinents eine ansteckende Wirkung haben kann

Fast jedes Gespräch dreht sich in Khartum um den 9. Januar 2011. An diesem Tag wird entschieden, ob das größte Land Afrikas in seiner bisherigen Gestalt fort existiert oder in zwei Staaten aufgeht. Das Referendum, zu dem die Bevölkerung des Südens aufgerufen ist, wurde 2005 mit einem Friedensvertrag (s. Glossar) vereinbart, der den längsten (21 Jahre) Bürgerkrieg Afrikas beendete. Er kostete über zwei Millionen Menschen das Leben und sorgte für vier Millionen Vertriebene – abseits der westlichen Presse und Politik. Dabei handelte es sich nicht vorrangig um einen Konflikt, bei dem Muslime gegen Christen oder Araber gegen Schwarzafrikaner standen, wie gern vereinfacht wurde – es ging mehr um eine Fehde zwischen Zentrum und Peripherie, weil sich die alte koloniale Dominanz des Nordens in einer Vernachlässigung der alten Sklavenreservoire fortsetzte.

Seit 2005 herrscht offiziell Frieden, der genutzt werden sollte, die totale Rückständigkeit des Südens zu überwinden und den Zusammenhalt des Staates – die „Attraktivität der Einheit“ – zu festigen. Dies galt noch als Motiv für die Präsidenten- und Parlamentswahlen vom April, doch weder die im Norden siegreiche National Congress Party (NCP) noch das Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) im Süden sprachen von einem fairen Votum. Die Abstimmung stand bereits unter dem Eindruck des Unabhängigkeits-Referendums im Süden, das Ende 2009 vom Parlament in Khartum beschlossen wurde – ein nicht nur für Afrika einmaliger demokratischer Umgang mit einer Sezession, die riskant ist. Sie kann weitere Separationen auf einem zu Kolonialzeiten willkürlich zugeschnittenen Kontinent auslösen.

Vertreibung der Bari

Am Ausgang des Plebiszits gibt es kaum Zweifel. Weder im Norden, wo die Politiker der NCP dem Gast gegenüber noch an der Einheit festhalten, noch im Süden, wo keiner mehr einem ungeteilten Land Chancen einräumt. Derzeit läuft die Registratur der etwa sechs Millionen für den Süden Wahlberechtigten, von denen etwa 500.000 im Norden und ebenso viele in der Diaspora leben. Um einen neuen Staat bilden zu können, müssen 51 Prozent für die Unabhängigkeit stimmen bei einer Beteiligung von mindestens 60 Prozent. Unsicher erscheint, ob der 9. Januar als Termin gehalten wird. In einigen Regionen schwelt Streit über die künftige Grenze zwischen Nord und Süd, die Furcht vor einem erneuten Ausbruch der Gewalt lässt Tausende fliehen. Dem Norden wird vorgeworfen, Truppen in den Grenzzonen zu massieren, auch wenn das die im Süden stationierten UN-Truppen nicht bestätigen können.

Es brechen Konflikte aus, mit denen auch in Darfur ein jahrelanges Siechtum begann: Zusammenstöße zwischen Nomaden und sesshaften Ackerbauern. Keine zehn Kilometer nördlich von Juba, der Hauptstadt des Südsudan, sind die Mundari wieder in das Territorium der Bari eingefallen, haben Ansiedlungen zerstört, Familien vertrieben, Vieh gestohlen und sich an einigen Orten festgesetzt. Seit Generationen war es den Nomaden im Norden erlaubt, ihr Vieh auf die Weidegründe der ackerbauenden Bari zu treiben. Doch die Dürre hat zugenommen und die Lebensbedingungen der Viehzüchter verschlechtert. Mit Gewalt vertreiben sie ihre ehemaligen Wirte, mit denen sie nicht nur dieselbe Sprache sprechen, sondern im 19. Jahrhundert das gleiche Sklavenschicksal teilten. Bis zu 15.000 Bari, Dinka und Mundari wurden einst pro Jahr vom weißen Nil nach Europa verkauft. Nun treffen sich die Gesandten einzelner Dörferin in einem wellblechgedeckten Rohbau, um über ihr Vorgehen gegen die Mundari zu sprechen.

Rechtsanwalt Peter Abdelrahman Sule, Vorsitzender der oppositionellen United Democratic Front (UDF), erklärt mir, was bei dieser brisanten, dennoch vollkommen ruhig ablaufenden Debatte verhandelt wird. Die Frage nämlich, ob man in die zerstörten Orte zurückgehen und die Mundari vertreiben soll, obwohl die bewaffnet sind. Was die Regierung in Khartum zu verantworten habe, sind alle überzeugt. Abdelrahman Sule plädiert für eine Rückkehr zu den alten Siedlungen, um nicht den Anspruch darauf zu verlieren. Die in Juba lebenden Bari sollen bei humanitären Organisationen um Schutz für die Aktion nachsuchen und die nötigen Lebensmittel beschaffen – so wird es vereinbart. Schon 2007, als die Mundari erstmals über 10.000 Rinder von den Höfen der Bari stahlen, hatte Abdelrahman Sule den südsudanischen Präsidenten Salva Kiir aufgesucht und um Hilfe gebeten, doch nichts erreicht. Auch jetzt kann er von Clement Wani Konga dem Gouverneur von Zentral Equatoria, wenig erwarten, der zum Volk der Mundari gehört. Es bedarf keiner großen Vorstellungsgabe, den Ausgang dieses Streits vorherzusagen.

Werden derartige Konflikte entlang der Nord-Süd-Grenze ausgetragen, könnte das für den 9. Januar gefährlich werden. Man denke an das Gebiet um Abyei, das erst 1905 durch die britische Kolonialmacht dem Bundesstaat Süd-Kordofan und damit dem Norden zugeschlagen wurde – ein ölreiches Terrain und Siedlungsgebiet der Ngok-Dinka, die ethnisch und kulturell zum Süden zählen, doch wird es von den arabischen Misseriya mit ihren Vieherden durchzogen, die sich dem Norden zugehörig fühlen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat zwar 2009 einen Grenzverlauf bestimmt, der von beiden Parteien akzeptiert wird, nur bleibt strittig, ob sich die Misseriya für das Referendum über den künftigen Status von Abyei registrieren lassen dürfen. Sie befürchten, bei einem Votum der Dinka für den Süden von ihren Weidegründen abgeschnitten zu werden. Der National Congress in Khartum besteht auf dem Wahlrecht der Misseriya und verlangt, dass der Streit um Abyei noch vor dem 9. Januar 2011 gelöst wird, ansonsten müsse das Votum verschoben werden – für das SPLM undenkbar.

Den kleinen Finger

Jeder erinnert sich noch der schweren Kämpfe vom Mai 2008, in denen Abyei zerstört wurde. Kommt es noch einmal zu derartigen Gefechten, könnte die gesamte Grenzregion zwischen Nord und Süd in Flammen aufgehen. Das Ansinnen von Südpräsident Kiir, dass Truppen der UN-Mission im Sudan (UNMIS) einen 16 Kilometer breiten Puffer entlang der Demarkationslinie einrichten, wird von Kommandeur Alain Le Roy abgelehnt. Man werde zwar Soldaten nach Abyei verlegen, aber zu mehr sei man mit 10.000 Mann nicht fähig. Auch 36 deutsche Militärbeobachter blicken mit gedämpftem Optimismus auf die kommenden Wochen. So beruhigend die Präsenz von UNMIS mancherorts wirkt, einen erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs kann sie nicht verhindern.

Die USA betrachten das alles nicht nur aus der Ferne. Ihre Strategie zielte schon immer auf die Abtrennung des Südens, wohl weniger wegen des Öls als wegen der Chinesen im Sudan und der strategischen Lage dieses Staates überhaupt. Die Deutschen schwimmen unauffällig im Kielwasser mit und haben überall zumindest den kleinen Finger drin. Sollte trotz aller warnenden Vorzeichen das Referendum planmäßig und friedlich verlaufen, könnten alle von den Sudanesen lernen, wie man auf demokratischem Weg einen neuen Staat zustande bringt.

Norman Paech ist Völkerrechtler und hat im November den Sudan bereist

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