deutsches Tagebuch 6

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Der Raum, den sie betraten,war erfüllt von einem würzigen Duft, einer Mischung aus Minze, Lavendel und Feuer. Heidelinde betrachtete staunend die Wände aus sonnengelben Kalksteinen, den riesigen Kamin, dessen Öffnung ihr schwarz entgegengähnte und setzte vorsichtig ihre Füße auf die matten, kleinen, braunroten Tonfliesen. Eine gewundene Holztreppe führte ins Obergeschoss und schweigend folgte sie Magalie. Diese wies mit mit ihren weißen Händen auf ein großes französisches Doppelbett, das mitten in einem Schlafraum stand und sagte, Heidelinde könne es behalten, es würde auch nichts kosten, auch der kleine Nachttisch daneben gehöre dazu. Heidelinde nickte stumm, sie war überwältigt von der Klarheit, die dieser Raum ausstrahlte, von einer ganz gewissen Geborgenheit, die sie so noch nie gespürt hatte.

Und so erschrak sie auch nicht, als sie plötzlich den feinen Gesang hörte, den Reim, den sie vergessen glaubte: Heidelinde Ossen hat sich erschossen und das genossen. Magalie lächelte sie an. Ob sie sich auch wohl fühle, fragte sie. Heidelinde nickte und lächelte zurürück.

Der Notar im Nachbardorf, ein schlanker Mittfünfziger mit vornehmen dunklen Augen und angesilbertem Haar, öffnete, als die Unterschrift geleistet war, eine Flasche Champagner. "Auf die Endgültigkeit," sagte er und sie hoben ihre Gläser und ließen sie klingen. Sie tranken die Flasche leer und Heidelinde war beschwipst und bot Magalie das "Du" an. Magalie küsste sie zum Dank auf die Wange und Heidelinde empfand die Kühle ihrer Lippen erfrischend.

Als sie dann am frühen Abend allein vor dem kalten Kamin saß und ein grüner Seidenhimmel leise durch die geöffnete Tür hereinkam, vergaß sie Maximilian anzurufen, sie vergaß auch all die Sachen aus dem BMW auszuladen, die sie mit soviel Sorgfalt ausgesucht hatte und sie stellte ihr Handy ab.

Die Nacht bereitete sich vor und der Sternenhimmel legte behutsam sein Schweigen über die flachen Dächer. Und Heidelinde hörte dem leisen Singen zu, ihrem Lied, wie feiner Nebel drang es ein, verbreitete sich unaufhaltsam, strich um ihre Stirn und berührte ihr Gesicht. Sie neigte den Kopf zur Seite und hielt den Atem an. Ja, so sollte es sein. Sie kannte die Engelsstimme, wie war sie ihr vertraut geworden! "Hat das genossen, hat das genossen." Sie summte mit und folgte der kleinen Gestalt, die aus dem Nichts aufgetaucht war und sie in die obere Etage führte und die Schublade des kleinen Nachttisches aufzog und eine geradezu winzige, silberne Pistole herausholte und in ihre Hände legte.

Ihr Gesicht war so fröhlich, als man sie am nächsten Tag fand. Maximilian wurde benachrichtigt und er reiste sofort an. Der dunkelblaue BMW blieb in Le Paradies und Maximilian polsterte einen Karton mit viel Papier aus, damit die Urne mit Heidelindes Asche darin, nicht zu Schaden käme.

Er war sich so sicher gewesen, ein Leben lang.

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Geschrieben von

Novalis

lebt halb in Frankreich, halb in Deutschland, suchte die Blaue Blume, fand sie und erkannte, dass Realität Illusion ist und Illusion Realität.

Novalis

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