deutsches Tagebuch 7

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Draußen stürmt und schneit es, noch eine Woche bis Weihnachten, in meinem Arbeitszimmer ist es warm und gemütlich, drei Kerzen brennen. Mir ist romantisch bis kitschig zumute und ich will jetzt eine solcherart Geschichte haben. Und weil ich so schnell keine finde, mache ich mir eine:

Stefanie Walters betritt mit Angst das Klassenzimmer der 3c der Willy Brandt Grundschule in Berlin Neukölln. Es ist ihre erste Stelle und heute ist der erste Schultag nach den Sommerferien. Vor ihr sitzen 25 Jungen und Mädchen, manche scheinen schon in der Pubertät zu sein. Die meisten Mädchen tragen bunte Kopftücher. Verwundert stellt sie fest, wie still es in dieser Klasse ist und sie fürchtet sich vor dem, was da im Hintergrund auf sie lauern könnte. Sie hat zu viel Schlechtes über Neukölln gehört und sich anfangs auch geweigert hier zu arbeiten. Schließlich blieb ihr nichts anders übrig und sie musste die Stelle annehmen. Aus den anderen Klassenzimmern dringt Lärm. Gekreisch und Gejohle, so wie sich das gehört und sie es erwartet hat. In diesem Klassenraum stehen die Kinder auf und sagen freundlich im Chor:"Guten Morgen Frau Walters". Dann setzen sie sich und sehen sie erwartungsvoll an.

Die junge Lehrerin schwitzt vor Aufregung, irgendetwas stimmt doch nicht, das kann nicht wahr sein, was sie hier erlebt. Ist das der Auftakt zu einer Grausamkeit? Die ihr gelten soll? Sie lachen, glucksen, flüstern. "Ihr seid aber eine liebe Klasse," sagt sie und ihre Stimme klingt hohl,"seid ihr immer so? Ihr müsst ja eine ganz tolle Lehrerin vor mir gehabt haben, ihr, äh,äh, ja, ihr seid ja richtig lieb!" Ein Junge meldet sich. Kein Hineinrufen in die Klasse. "Frau Walters," sagt er mit einem dunklen rollenden "R", aus dem die gesamte Wolgamelancholie tönt, " nicht altes unseres Lehrerin, Raffael, Raffael, sächen sächen ," und er zeigt mit dem Finger auf einen Jungen, der am Fenster sitzt. Der Blick der jungen Lehrerin folgt seinem kindlich strammen Zeigefinger und bleibt dann an etwas haften, besser gesagt, er klebt hoffnungslos fest. Die Kinder tuscheln in mehreren Sprachen und sehen gespannt auf die Szene am Fenster, stecken die Köpfe zusammen, lachen und freuen sich offensichtlich, als wüssten sie, was gleich passieren würde. Der Junge am Fenster hält seinen Kopf gesenkt, die Sonne hat sich in seinen glänzenden schwarzen Locken verfangen und ihre Strahlen scheinen mit der Umgebung zu spielen. Fortsetzung folgt

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Geschrieben von

Novalis

lebt halb in Frankreich, halb in Deutschland, suchte die Blaue Blume, fand sie und erkannte, dass Realität Illusion ist und Illusion Realität.

Novalis

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