deutsches Tagebuch, die Untoten

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

mein deutsches Tagebuch ist ungleich schwerer und viel weniger plaisierlich als mein französisches. Als ich letztens an einem Nachmittag durch meine Heimatstadt schlenderte, durch die Innenstadt, "die Shopping-Mail", fiel mir der unheimliche Widerspruch zwischen den grauen, erstarrten Gesichtern, die mir entgegenschwammen und der schrillen Buntheit der aneinandergereihten Kettenläden auf. Dieses laute Einfordern von Schönheit, Gesundheit und Vitalität durch die überall herunter und herauslachenden dynamisch jungen Menschen auf den allgegenwärtigen Werbefächen hatte angesichts der geisterhaften Stille in den Gesichtern um mich herum fast etwas Gespensterhafts an sich. Und ich spürte die wandernde Erschöpfung. Ich war in eine Gruppe von Untoten geraten, deren Körper, ermüdet und verschlissen, verdammt zur Willenlosigkeit, in dem reißenden Fluss des Wollenmüssens, des Zwangsfortschritts, der Unermüdlichkeit, in eine ungewisse Zukunft getragen wurden. Und ich war mitten drin und stellte beim Ab-und Auftauchen fest, dass einige begehrlich nach Luft schnappten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Novalis

lebt halb in Frankreich, halb in Deutschland, suchte die Blaue Blume, fand sie und erkannte, dass Realität Illusion ist und Illusion Realität.

Novalis

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden