Französisches Tagebuch, das Dorf

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Das Dorf (Südwestfrankreich) hat 250 Einwohner, davon sind ca. 50 englischer und zwei deutscher Herkunft. Der Gemeinderat besteht aus 11 Mitgliedern, einem Bürgermeister und seinem Vize. Parteizugehörigkeiten spielen keine Rolle, es wird nach Persönlichkeit gewählt. Der Gemeinderat beschließt hauptsächlich Bauvorhaben und Dorfgestaltung. Zwei Gemeindearbeiter halten das Wegenetz, die Blumenbeete am Rathaus und die Papier und Flaschencontainer in Ordnung. Die Gemeinde unterhält eine kleine Poststation, die jeden Tag von 10.00 - 12.00 geöffnet hat. Manchmal, wenn ich knapp vor 12.00 einen Brief zur Post bringe, bin ich die erste und die letzte Kundin. Unsere Postière verkauft in der Poststation auch Eier. Die Gemeinde beschäftigt eine Sekretärin, die Geld für die öffentlichen Essensveranstaltungen einsammelt, gelbe Säcke verteilt und den Schriftverkehr führt. Dann ist da noch Christiane, die die Kirche sauber macht, das öffentliche WC putzt, sowie den salle communale. Das WC unseres Dorfes ist das schönste und blankeste WC Europas. Einmal im Monat geht Christiane mit einer Glocke durch's Dorf, bleibt an vier Straßenecken stehen und verkündet mit lauter Stimme die Beschlüsse des Rates. Aus dem Gemeinderat bildet sich das "commité de fete", das die wichtige Aufgabe hat, die Feier zum 14.Juli, Loto- Veranstaltungen im Winter (das ist sowas wie das englische Bingo) und sonstige öffentliche Feiern zu organisieren. Einige im Dorf wollten einen Brocante organisieren und stießen beim commité de fete auf Ablehnung, denn dort sitzen die alten Zögerer. Die anderen sind die "Zugezogenen", etwas jünger, etwas neuer. Engländer und Deutsche sind auch dabei. Sie gründeten dann das "commité d'animation" und organisierten den Brocante, der am 30. Mai stattfinden wird. Ein Brocante ist ein Trödelmarkt, allerdings nicht mit deutschen Trödelmärkten zu vergleichen. Auf den Brocantes findet man als Trödel das, was in Deutschland als teure Antiquität verkauft wird. Außerdem spielt wieder Essen und Trinken eine große Rolle, allerdings zeitlich immer begrenzt, nie rund um die Uhr. Von 12.00 - 14.00. ---- Der Bürgermeister ist wie ein Klassenlehrer. Er kümmert sich auch um Problemfälle im Dorf. Z.B. um Farida, die nicht ganz richtig im Kopf ist. Mindestens zweimal in der Woche geht er bei ihr vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Ach ja, Christiane kümmert sich auch um sieben alte Leute, jeden Tag. Sie wird von der Kommune dafür bezahlt und hat dabei völlige Freiheit. Beim einen dauerts länger als beim anderen, sagt sie und ist sehr zufrieden mit ihrer Arbeit.

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Geschrieben von

Novalis

lebt halb in Frankreich, halb in Deutschland, suchte die Blaue Blume, fand sie und erkannte, dass Realität Illusion ist und Illusion Realität.

Novalis

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