französisches Tagebuch,was bedeutet Geld?

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Zunächst: Ich dachte schon Claude sei ausgezogen und habe vorsorglich eine Schale mit Apfelscheiben auf den Boden gestellt. Wenn das nichts hilft, werde ich es mit Käse und Getreidekörnern versuchen. Ganz schön riskant, ich weiß. Heute war Wahnsinnswetter. 28 Grad, knallblauer Himmel und die frisch gesegnete Kirche strahlt alle an. An solchen Tagen kommt oft Michel aus der Cabane, der neben mir während der Einweihungsmesse gesessen hatte. Mein Mann und ich saßen untätig im Garten , lungerten sozusagen faul herum, da knarrte das Eisentor und Michel kam herein. Er ist groß, schlank, um die 50, mit rotbraunen, dicken Locken. Michel beschloss mit 18, als er sein Bac(Abi) hatte, sich auf eigene Faust weiter zu bilden und niemals jemandem gehorchen zu müssen (außer den Gesetzen), keine "Arbeit" je für Geld zu machen. Er hat weder Frau noch Kind und lebt mit seiner Mutter in der Cabane mit ein paar Hühnern, Enten, Gänsen und Ziegen. Er hat auf eigene Faust dort im Wald in der Cabane Biologie, Philosophie und Theologie studiert. Manchmal gehen wir mit ihm los, Pflanzen kennen zu lernen und deren medizinische Wirkung. Aber heute wollte er mit uns über Geld reden. Eine Frage nagte an ihm, ließ ihm keine Ruhe: warum das Geld so eine Bedeutung habe. Man könne mit den Scheinen, Münzen und Zahlen doch nichts anfangen, auch Gold und Edelsteine hätten außer einem schönen Glanz nichts wichtiges. Geld gebe weder Geborgenheit noch Sicherheit, weder Nahrung noch Schutz vor Hitze und Kälte. Also, warum habe sich das so entwickelt, das rund um ihn herum alle so besessen von diesem Geldthema seien? Ja, sagte ich, hör mal Michel, du bekommst doch irgendwoher Geld, deine Mutter auch und davon lebt ihr! Nein, er wehrte sich heftig, ich lebe von essen und trinken, von Kleidung, die wärmt oder kühlt, und von netten Menschen, mit denen ich reden kann und die mir helfen, wenn ich mal krank bin, aber das hat alles nichts mit Münzen und Scheinen zu tun und schon garnichts mit dem, was Bank und Börse heißt. Bank und Börse sind pervertiertes Geld. Keiner braucht sowas. Ich fiel in Schweigen, ich wusste so schnell nichts darauf zu sagen. Mir fielen spontan andere Perversionen ein, die Gegenwart ist voll davon. Vor ein paar Tagen nahm Ballacks Malaise mit seinem Fuß die ersten langen Minuten einer Tagesschau in Anspruch, die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko kam kurz noch mal zum Schluss. So ist Michel. Er kommt grundsätzlich unangemeldet und grundsätzlich mit Fragen, die ich nicht beantworten kann.

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Geschrieben von

Novalis

lebt halb in Frankreich, halb in Deutschland, suchte die Blaue Blume, fand sie und erkannte, dass Realität Illusion ist und Illusion Realität.

Novalis

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