Tarantinos Django Unchained

Eine "Filmkritik" Tarantino-Filme wirken im kulturellen Mainstream-Diskurs wie Brausetabletten, die man in ein Cola-Glas wirft. Und erneut schäumte die arrivierte Filmkritik über.

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Tarantino-Filme wirken im kulturellen Mainstream-Diskurs wie Brausetabletten, die man in ein Cola-Glas wirft. Auch beim aktuellen Film Django Unchained schäumte die arrivierte Filmkritik vor Gewaltverherrlichungs- und Rassismus-Vorwürfen wieder mal über.

Es wurde Zeit, sich den Film im Kino anzusehen.

Bereits im beim Betreten des Kinosaals ein kleiner Schock. Alle Sitze sind komplett belegt, es herrscht Popkonzert-Atmosphäre und die an eine soziologische Bevölkerungs-Stichprobe erinnernde Menschenmasse füllt den Raum mit Tausenden Denk- und Sprechblasen aus.

Volksfest-Flash.

Der Vorhang geht auf. Interessant, wie sehr Kino-Werbung heute, in Zeiten des hyperindividualisierten Konsums, das perfekte soziale Entertainment ist. Plötzlich sind alle ausgelassen und aufmerksamer, ohne die persönlichen Unterhaltungen zu beenden. Amüsiertes Lachen, kollektive Selbstvergewisserung und eine intersubjektive Zustimmung mit der kapitalistischen Realität der angeworbenen Waren.

Ironisches Gelächter beim ungewollt peinlichen Werbespot eines regionalen Saunaparks, bei denen devot lächelnde Frauen ihre glänzende Plastikhaut präsentieren und lendengeschürzte Männer die weiblichen Avancen rollengerecht mit dekadenter Liegestuhl-Passivität beantworten.

Es folgt ein Trailer des neuen Katastrophenfilms Fire with Fire. „Bruce Willis ist einfach nur geil!“, meint eine Frau schräg hinter mir zu ihrem Freund sowie zu allen anderen im unmittelbaren Umkreis von 20 Metern, während Bruce als gesichtsverzerrter Hollywood-Macker das kollektive Bewusstsein des amerikanischen Heldentums antriggert. Und eigentlich ist fast alles geil, was seit 20 Minuten auf der Leinwand zu sehen ist, sogar der Eis-Werbespot trieft vor repressiver Entsublimierung.

Und da beginnt auch schon der Film. Ein schreiend roter Django-Schriftzug erscheint auf der Bildfläche und kontrastiert die beigen Felsen der grauen, wüstenhaften Landschaft, während die langsam geschnittenen Bilder von einer leicht übersteuernden Westernmusik begleitet wird, die mich für wenige Millisekunden in meine Kindheit vor den heimischen Fernseher transportiert, wo ich sonntags gelegentlich Zigarrenstummel-rauchenden Cowboys beim Spucken zugeschaut habe.

Auf der Leinwand ist jetzt eine kleine Gruppe von Sklaven zu sehen, die von zwei weißen Männern, klassisch mit Revolvergürtel, Hut und Pferd ausstaffiert, an Fußketten durch die Prärie Wildnis geführt werden, während der Sänger immer wieder Djangoooo ins Mikrofon heult.

Ein typisches Westernmotiv. Fast. Denn die Weite der Landschaft streift das Freiheitsbild des amerikanischen Pioniergeistes eigentlich nur und wird durch die gezeigte Unfreiheit der Sklaven gleichzeitig stark verzerrt. Der erst auf den zweiten Blick sichtbar werdende Kontrast erfüllt die ersten Erwartungen an den Meister der offensichtlichen Ambivalenz.

Im Kino kehrt endlich Ruhe ein und ich rutsche tiefer in den Sitz, um die Intensität der audiovisuellen Immersion zu verstärken.

Kurz darauf folgt auch schon eine weitere typische Tarantino-Szene. Ein akkurat gekleideter Mann auf einer Kutsche stoppt die Gruppe. Er, Typ „Ich-bin-in-meine-eigenen-absurden-Monologe-verliebt“, ein deutscher Zahnarzt namens Dr. Schulz King (Christoph Waltz), bittet die beiden Sklavenhändler in gehobenem Sprachhabitus um den Kauf eines ihrer Männer, der ihm bei der Ergreifung von drei Kriminellen helfen soll: Django (Jamie Foxx).

Wie so oft bei Tarantino handelt es sich bei diesen forcierten, vereinnahmenden Dialogen, bei denen sich scheinbar banale Gesprächsthemen zu absurden Diskussion hochschaukeln, um die besten Momente des Films. Wie etwa in der Szene, in der das Gemeinschaftsgefüge einer Ku-Klux-Klan-Gruppe kurz vor einem geplanten Lynch-Attentat aufgrund einer Diskussion darüber zusammenzubrechen droht, ob man die von einer Frau eines Mitglieds schlecht genähten Masken doch nicht lieber abnehmen sollte, da man dadurch kaum sehen könne.

Das ist zwar lustig, aber durch das Claqueur-artige Auflachen der Kinobesucher vergeht mir die Lust zur Teilhabe ziemlich schnell. Vielleicht auch, weil mir der dabei produzierte CO²- Ausstoß die Luft raubt.

Abgesehen davon, dass viele Szenen durch ihre offensichtliche Ironie ohnehin gar nicht so lustig sind und sich eher auf dem Spaß-Niveau eines Witzes befinden, der von einem entfernten Verwandten auf steifen Familienfesten zum hundertsten Mal erzählt wird, fühle ich mich gelegentlich zum Schmunzeln verpflichtet, was ich jedoch als eine Pflichtgeste gegenüber Tarantino verstehe.

Doch genau hierin besteht eine zentrale Problematik des Films, zumindest wenn man bereit ist, aus dem unmittelbaren Unterhaltungsmodus herauszutreten, den Django ja im Vergleich zu vielen anderen Actionfilmen immer noch auf hohem Niveau bietet.

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Denn die überspitzte Absurdität der Filmfiguren und der Humor wirken nicht selten wie ein Davonschleichen, um die von der erschreckenden Brutalität und Ungerechtigkeit geprägte historische Realität erträglicher zu gestalten.

Das Kritische des Films besteht nicht, wie es die feuilletonistischen Empörungsfeiern weismachen wollen, in der häufigen Verwendung des Wortes „Nigger“. Immerhin sollte spätestens seit dem kulturellen Erfolg von Hip Hop klar sein, dass die aktive Aneignung und Umkehrung des Begriffs zu einer Bedeutungsentleerung geführt hat. Nein, der Kritikpunkt befindet sich eher in der popcornhaften Ästhetisierung der Sklaverei-Geschichte in Form eines europäischen Spaghetti-Westerns, dessen Ursprünge zudem auch noch aus einer Zeit stammen, in der viele Afroamerikaner noch ganz selbstverständlich als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden.

Man sollte sich außerdem fragen, ob es angemessen ist, das US-Regime des 19. Jahrhunderts, das seinen heutigen Reichtum und wirtschaftlichen Erfolg vor allem der systematischen brutalen Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und der damit einhergehenden immensen Profitrate verdankt, in Form eines unterhaltenden Actionfilms darzustellen.

Bedenkt man, dass bei der Rezeption aller kulturellen Produkte der Empfänger mindestens genauso wichtig ist wie der Sender, sollte die Frage jedoch einfach zu beantworten sein. Es kommt ja immer darauf an, wie man etwas rezipiert. Demnach könnte man natürlich das kunstblutige Spektakel einerseits völlig unreflektiert abfeiern, andererseits aber auch gleichzeitig ein Bewusstsein dafür bekommen, dass die gerade gesehenen Bilder nur ein besonders affirmatives Symbol des amerikanischen Unrechtsregimes sind.

Solange die meisten Zuschauer den Film auf diese Weise verstehen, hat er bereits mehr erreicht als nur die obligatorische, durch exzessive Gewalt in zeitgenössischen Actionfilmen mittlerweile zur Routine gewordene Katharsis.

So besteht ein Verdienst des Films darin, die unglücklicherweise immer noch kaum präsente Sklaverei-Epoche insbesondere in den USA ins Bewusstsein eines notwendigen gesellschaftlichen Diskurses zu rücken.

Schließlich lässt sich der Vorwurf, die Besetzung der klassisch weißen Cowboy-Rolle durch einen unterdrückten Sklaven sei postmoderne Willkür, ebenfalls entkräften. Denn Tarantino scheint hier an die Tradition einer spätestens seit den 60er-Jahren auch im Mainstream angekommenen schwarzen, musikalischen „Gegenkultur“ anzuknüpfen, die nach dem Blues vor allem im jamaikanischen Reggae der 60er-Jahre anzutreffen war.

So ist die Idee, die Figur des Django nicht wie in den vielen anderen Django-Adaptionen mit einem Kaukasier, sondern einem Afroamerikaner zu besetzen, älter als man annehmen könnte, wie Stephen Grasso in einem interessanten Essay im britischen Online-Magazin The Quietusbemerkt.

Demnach veröffentlichte der jamaikanische Dub-Pionier Lee Scratch Perry mit seiner Band The Upsetters 1968 einen Track mit dem Titel Django Shoots First. Und nur ein Jahr später erschien das Album The Return of Django, auf dessen Plattencover ein dunkelhäutiger Cowboy auf einem weißen Pferd abgebildet ist.

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Ein weiterer Zusammenhang zwischen Django Unchained und seinen vermeintlichen afrikanischen Einflüsse besteht Grasso zufolge in der phonetischen Verwandtschaft des Wortes Shango, dem westafrikanischen Wort für Gott des Feuers, Donners sowie Maskulinität und Gerechtigkeit.

In Django verdichten sich demnach, verborgen unter den affektiven Gewaltdarstellungen, polykulturelle Bedeutungsebenen, deren Entschlüsselung zeigt, wie erkenntnisfördernd eine solche Unterwanderung der hegemonialen „weißen“ Kultur im Mainstream-Kino sein kann.

In Sans Soleil, dem legendär bewusstseinserweiternden Essayfilm des kürzlich verstorbenen Regisseurs und Künstlers Chris Marker erzählt die Off-Stimme an einer Stelle:

„Wenn die Bilder der Gegenwart sich nicht verändern, dann verändere die Bilder aus der Vergangenheit.“

Insofern könnte Django Unchained auch ein Versuch sein, mithilfe einer alternativen Vergangenheit nicht nur Einfluss auf die Gegenwart, sondern auch auf unsere Zukunft zu nehmen. Man kann nur hoffen, dass dieser Aspekt in der sedierten Masse nicht untergeht.

Text: Phire

Dieser Text ist zuerst auf ntropy.de erschienen, dem antizyklischen Blog für Kultur(en) und die Politik des Alltags.

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