Mehr Gleichheit statt Yoga

Carearbeit Mütter müssen nicht das „Delegieren“ lernen – die Gesellschaft muss gerechter werden
Ausgabe 09/2021
Weltweit werden 75 Prozent der unbezahlten Arbeit von Frauen verrichtet. Müssten sich die nur entscheiden, mehr davon „abzugeben“?
Weltweit werden 75 Prozent der unbezahlten Arbeit von Frauen verrichtet. Müssten sich die nur entscheiden, mehr davon „abzugeben“?

Foto: Jonathan Nacktstrand/AFP/Getty Images

Donnerstag, 10 Uhr, Blattkritik: Es geht um den Leitartikel der Juristin Annelie Kaufmann. Sie schreibt, wie wenig Zeit ihr in der Pandemie bleibt, mal nicht Mutter zu sein, sondern Juristin, Freundin, Kaffeetrinkerin. Mir sprach das aus der Seele. Doch dann die Diskussion: Ist es allein die Schuld der Väter, wenn Mütter nicht abgeben können? Müssen die nicht auch lernen, mehr zu delegieren?

Dieser Übermutter-Vorwurf ist nur ein weiterer Pranger für Frauen – und unpolitisch. Es kann nicht Aufgabe von Individuen sein, das gesellschaftliche Ungleichgewicht von Arbeit und Sorgearbeit auszugleichen. Ich möchte mich als Mutter nicht optimieren, es ist Aufgabe der Politik, Regeln des Zusammenlebens zu schaffen, die Müttern Freiräume schaffen.

Weltweit werden 75 Prozent der unbezahlten Arbeit von Frauen verrichtet. Müssten sich die nur entscheiden, mehr davon „abzugeben“? Laut einer Studie des Nationalen Bildungspanels übernehmen im Lockdown die Frauen auch dann die Kinderbetreuung häufiger allein, wenn die beruflichen Lasten und die Heimarbeit-Möglichkeiten beider Eltern gleich sind: Einem Drittel Alleinbetreuerinnen steht kaum ein Zehntel Alleinbetreuer gegenüber. Seit Januar 2021 kann jeder Elternteil 20 Tage Kinderkrankengeld beziehen. Wer wird das wohl häufiger nutzen?

Das Ungleichgewicht in der Arbeit zu Hause ist gesellschaftlich bestimmt. Wer besser bezahlt wird, weil er männlich ist, dessen Lohnarbeit hat eben Vorrang. Die schlechter Bezahlte übernimmt mehr Sorgearbeit. So nimmt alles seinen Lauf.

In der jetzigen Situation will ich mir wirklich von niemandem sagen lassen, ich solle besser delegieren und ab und zu meditieren. Ich benötige keine Yogalehrerin für meinen Seelenfrieden. Der Fehler steckt nicht in meinem Denken als Mutter, sondern im System. Was ich brauche, ist gleiche Bezahlung der Geschlechter, meint auch: Aufwertung „weiblicher“ Berufe etwa in Pflege und Erziehung. Was ich brauche, ist die 32-Stunden-Woche für alle, die Abschaffung des antiquierten Ehegattensplittings, das patriarchale Rollenmuster steuerlich begünstigt. Was ich brauche, ist: Gleichberechtigung. Die brauchen auch die Väter. Sind sie denn glücklich, wenn sie ganztägig abwesend sind?

In der EU zeigt Schweden, wie es besser geht – ganz ohne Yoga. Dort wird Männern die Vaterpause schmackhaft gemacht: Drei Monate des Elterngelds sind nicht auf die Mütter übertragbar. Das Ergebnis sind überdurchschnittliche 42 Prozent an Vätern, die Elternzeit nehmen. Zugleich ist in Schweden die Quote berufstätiger Frauen mit 72 Prozent die höchste in der EU.

Ich muss gar nichts lernen. Ich weiß genug. Die Fähigkeit, die wir Mütter besitzen, an alles zu denken und sich um das Wohl aller zu kümmern, ist großartig. Sie muss nicht weggeatmet werden, sondern bejubelt! Als Vorbild gefeiert. Arbeitende Männer waren lange das Modell für arbeitende Frauen. Nun ist es an euch, Väter: Eifert uns Müttern nach! Wir beherrschen das Multitasking, wir planen vorausschauend, setzen die richtigen Prioritäten – und haben dabei noch meistens gute Laune! Das sind überlebenswichtige Eigenschaften. Um sie zu fördern, bedarf es einer Transformation im Arbeitsleben. Mehr Gemeinwohl, mehr Solidarität. Mehr „wir“, weniger „ich“. Hören wir auf mit den Schuldzuweisungen. Diskutieren wir, wie wir zusammen leben wollen. Und was wir dafür an gesellschaftlichen Bedingungen brauchen.

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Lesen Sie die Erwiderung von Katharina Schmitz auf diesen Debattentext hier

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