Wer arm ist, kann nicht sitzen bleiben

Zwischen Durban und Dakar Odile Jolys sieht im Senegal dem Entstehen und Vergehen von Geschäftsideen zu
Ausgabe 13/2019

Es ist der 8. März. Frauentag. Ich sitze in einer Konferenz über Hausangestellte in Dakar. Eine der Vortragenden sagt, die meisten Hausangestellten im Senegal hätten keinen Arbeitsvertrag, seien nicht selten Gewalt im Haushalt ihrer Arbeitgeber ausgesetzt. Alles richtig. Man solle ihnen unter die Arme greifen. In mir wächst Unbehagen. Ich muss an Awa denken.

Awa ist die Hausangestellte von nebenan. Sie ist Mitte 50, hat sieben Kinder großgezogen und durch die Schule gebracht. In den letzten 10 Jahren verdiente Awa um die 100.000 CFA-Francs pro Monat, das sind umgerechnet 150 Euro. Heute geht ihr gesamtes Gehalt für die Miete drauf. Wohnen im Großraum Dakar ist eine kostspielige Angelegenheit.

Awa hat vor zehn Jahren die Scheidung von ihrem gewalttätigen Mann eingereicht. „Ich wäre sonst gestorben“, sagt sie entschuldigend. Er bezahlt keinen Unterhalt. Als ein Arbeitgeber ihr einen gebrauchten Kühlschrank schenkte, machte sie daraus ein Geschäft: Sie stellte sich nach ihrem zwölf Stunden langen Arbeitstag an eine der großen Überlandbushaltestellen und verkaufte gekühlte Wasserflaschen für 15 Cent. „Wenn man arm ist, kann man nicht sitzen bleiben“, sagt Awa. Es kostete aber Überwindung. Selbst ihre Schwester grüßte sie nicht, wenn sie Wasserflaschen verkaufte. Das Geschäft kam an sein Ende, als der Kühlschrank den Geist aufgab.

Doch Awa hat schon länger eine bessere Geschäftsidee, auch für ihre Altersvorsorge, denn sie hat keine Rente und keine Ersparnisse. Ungeplante Ausgaben, wegen Krankheit oder Reisen zu Beerdigungen, fressen immer wieder ihre Rücklagen auf. Und das Studium ihrer Tochter, auch dafür zahlt Awa. Eigentlich wollte sie ihren Lebensabend im Haushalt einer ihrer Söhne verbringen. Aber die haben kaum Geld.

Awas Plan: Sie will Alkohol verkaufen. In ihrem Viertel in einem Vorort von Dakar gibt es keine Alkoholschenke. Obwohl hier über 90 Prozent Muslime sind, ist sich Awa sicher, dass der Laden laufen würde. Awa gehört der katholischen Minderheit an. Sie hat eine gute Bekannte, deren Mann eine Bar betrieb. Die fragt sie, was für Papiere es brauche, um Alkohol zu verkaufen. Das ist nichts für dich, antwortet ihre Freundin nach ein paar Tagen.

Awa gibt nicht auf und schickt einen ihrer Söhne zur Handelskammer. Mit Mühe organisiert sie die Papiere. Als sie alles beisammenhat, fragt der Beamte: Sind Sie nun verheiratet oder geschieden? Beides steht in dem Antrag. Ihr Sohn hatte für sie ein Formular ausgefüllt und es nicht übers Herz gebracht, „geschieden“ anzukreuzen. Wegen der Ungereimtheiten wird der Antrag abgelehnt.

Ich ermutige sie, es weiter zu versuchen, und gebe ihr den Tipp, eine Beratungsstelle für Unternehmer zu besuchen. Sie lächelt und sagt vorsichtig, dass das nichts für sie sei. Man würde ihr nicht weiterhelfen. Okay, meine ich, dann werde ich jemanden suchen, der bei den Behördengängen helfen kann. Ich rufe eine senegalesische Freundin an, eine Juristin. Vielleicht könnte ein Jurastudent helfen? Wochen später sagt sie mir, sie habe noch niemanden gefunden. Weil es um Alkohol gehe. Und um eine Frau.

Odile Jolys ist freie Journalistin in Dakar und schreibt unter anderem für den Evangelischen Pressedienst

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