Fatonis „Wunderbare Welt“: Ein bisschen Mercedes-Stern pflücken

Hip Hop Der Rapper Fatoni hat mit „Wunderbare Welt“ ein beeindruckendes Album veröffentlicht, voller Wortwitz und vielfältigen Sounds. Nur eins nervt: der ständige Millennial Kitsch über die Tücken des Nicht-mehr-Jungseins
Ausgabe 22/2023
Mit Fatoni genüsslich in der Vergangenheit schwelgen
Mit Fatoni genüsslich in der Vergangenheit schwelgen

Foto: Monika Skolimowska/picture alliance/dpa

In Fatonis Welt wird das Publikum noch gebührend begrüßt. „Einen wunderschönen guten Morgen, ihr Süßen“, säuselt eine Moderatorin am Anfang des titelgebenden Eröffnungsstücks. Dann geht es ohne Vorwarnung in den Sturzflug: Steuern, Hass im Internet, die Belanglosigkeit des deutschen Fernsehens. Aber auch Krieg, Missbrauch, Hanau. Am 19. Mai legte Fatoni sein siebtes Soloalbum „Wunderbare Welt“ vor. Hoch und runter, hin und her, „von links nach rechts wie Horst Mahler“: die Klammer des Albums ist, dass es keine Klammer gibt.

Dann also mitten rein ins Seelenleben des Anton Schneider. 1984 in München geboren, gelernter Schauspieler, großgeworden mit Hip-Hop, Graffiti und Gras. Genüsslich in der Vergangenheit schwelgen kann Fatoni wie kein Zweiter. Immer im Zentrum: sein jugendliches Selbst, Dreadlocks und Che-Guevara-Shirt, ungeschickt am Skateboard, umso talentierter im Freestylen. Ein sicheres Taktgefühl braucht man dafür, wichtiger ist aber ein gewisser Wortwitz, der Fatoni in die Wiege gelegt zu sein scheint: „Sie sagen check your privileges – puh, sind noch da“. Clever und, so beschreibt ihn die Presse seit jeher, selbstironisch.

Aber bevor sich die Feuilletonistin allzu sehr freut, lässt der Rapper sie wissen, dass er mit ihr rechnet: „Alle lieben doch politische Lines/ Hier ne politische Line: fick die Polizei“. Ein bisschen Mercedes-Stern pflücken, wie damals. Man glaubt es ihm, dieses latent verzweifelte Abarbeiten an der Welt, das er nichtmal beim Koksen lassen kann: „Alles zieht vorbei, ziehst du mit, sind wir ein Team/ Weit weg führen sie deshalb einen Krieg“.

Daneben ist das Album dominiert von Fatonis zweitem großen Lebensthema, dem Älterwerden. Als er es im Opener das erste Mal erwähnt, ist gerade mal eine Minute vergangen („Warum bin ich Ende dreißig und mein Job ist deutscher Rap?“). Mit dem Gefühl, dass die Zeit einem davon- und das Leben an einem vorbeirennt, befasst er sich ausführlich in „Du wartest“ – und malt das Sinnbild seiner Generation. Ein Restaurant, alle haben schon aufgegessen, nur man selbst ist immer noch unentschieden, was man eigentlich bestellen will. Irgendwann ist alles vorbei, „eines Tages bist du tot und hast dein Leben lang gewartet“.

Millennial Kitsch könnte man das nennen. Hatten wir das nicht schon auf dem Vorgängeralbum („Wie oft hab’ ich gedacht, alles wird immer dümmer/ Doch dann sah ich ihn wieder, diesen Mann im Spiegel/ Und mir fiel auf: Ich werde auch nicht jünger/ Könnte ja vielleicht auch daran liegen“)? Und auf dem Album davor („Sie sagen dreißig ist das neue zwanzig/ mein Körper sagt leider was anderes“)? Thirty-Something sein und es lieber nicht sein wollen ist sicherlich interessant, Stoff für drei Alben liefert es nicht.

Eingebetteter Medieninhalt

Schließlich ist es keineswegs so, als hätte Fatoni sonst nichts zu sagen. Das beweist er auf „Wunderbare Welt“ gleich mehrfach, etwa wenn er das erlösende Verlassenwerden in toxischen Beziehungen thematisiert („Danke dass du mich verlassen hast“), an einen vergessenen Drummer der frühen Beatles erinnert („Pete“) oder das überlebenswichtige Ausblenden des allgegenwärtigen Elends der Welt besingt („Fröhlich“). Auch musikalisch ist das Album beeindruckend vielfältig. Fatoni variiert im Flow mühelos und bedient sich an den Sounds verschiedener Genres, kaum ein Song klingt wie der andere. Ein gelungener Ritt durch die Gedanken eines äußerst talentierten Künstlers. Nächstes Jahr wird er vierzig. Wenn er das verkraftet, dürfen seine Fans wohl noch viel gute Musik erwarten.

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Geschrieben von

Özge İnan

Redakteurin, Social Media

Özge İnan hat in Berlin Jura studiert. Währenddessen begann sie, eine Kolumne für die Seenotrettungsorganisation Mission Lifeline zu schreiben. Nach ihrem ersten juristischen Staatsexamen folgten Stationen beim ZDF Magazin Royale und im Investigativressort der Süddeutschen Zeitung. Ihre Themenschwerpunkte sind Rechtspolitik, Verteilungsfragen, Geschlechtergerechtigkeit und die Türkei.

Foto: Léonardo Kahn

Özge İnan

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