Vor Pink gibt es kein Entkommen. Nicht einmal in einem Erklärvideo zur Benutzung eines neuartigen Periodenprodukts. Im Namen der Enttabuisierung selbstverständlich unzensiert und daher erst nach Bestätigung der eigenen Volljährigkeit abrufbar. Kann denn Aufklärung Porno sein? Vor einer schreiend pinken Wand sitzt also die 32-jährige Schauspielerin Lina Bembe, spreizt die Beine und zeigt, wie eine Menstruationstasse funktioniert. Urheber des Ganzen istThe Female Company. Das Stuttgarter Start-Up gehört zu jenen Unternehmen, auf deren Webseiten der Menüpunkt „Unsere Vision“ zu finden ist. Entsprechend dieser Vision – „Eine Welt ohne Tabus um den weiblichen Körper“ – produzierten die Schwaben 2020 den Werbe-, Ver
Körper“ – produzierten die Schwaben 2020 den Werbe-, Verzeihung, Aufklärungsfilm zu einem ihrer Kernprodukte.Eine Menstruationstasse ist ein aus Silikon gefertigter Behälter von der Größe eines Schnapsglases und löst ein Problem, von dem die meisten Frauen wohl gar nicht wissen, dass sie es haben. Herkömmliche Periodenprodukte, wie sie 96 Prozent der deutschen Frauen bevorzugen, werden einmal benutzt und weggeworfen. Auf diese Weise verursacht eine Person im Jahr fünf, nach 30 bis 40 Jahren rund 175 Kilogramm Müll. Für den gesamten deutschsprachigen Raum ergibt das 125.000 Tonnen – pro Jahr. Hinzu kommen weitere Umweltbelastungen wie Transportemissionen und der Wasserverbrauch bei der Baumwollgewinnung. Wer da nicht, Achtung, Bauchschmerzen bekommt, hat unseren Planeten nie geliebt. Um die Gunst aller anderen buhlt inzwischen ein prächtiger Markt an Unternehmen mit Visionen. Auf der Webseite von Happy Monaetwa bekommt man papierverpackte Bio-Tampons und Blogartikel wie „Was haben Periodenprodukte und Sex gemeinsam?“ Dort fabuliert eine Andrea von Zusammenhängen zwischen biologischen Hygieneartikeln und weiblichem Lustempfinden. Bei Selenacare bekommt man Periodenunterwäsche in verschiedenen Ausführungen und Absorptionsstärken sowie die Gründergeschichte eines Vaters aufgetischt, „der sich verantwortlich fühlte“ für „den Fußabdruck, den seine Generation auf der Welt hinterlassen hatte.“ Der Onlinehandel mit dem denkwürdigen Namen Erdbeerwoche-Shopfordert die potentielle Kundschaft gleich auf, die bisherige Müllbilanz der eigenen Menstruation zu berechnen, bevor sie sich die Absolution in Gestalt lieblich gepunkteter Stoffbinden holt.Einerseits ist nichts verkehrt daran, die eigene Körperhygiene nachhaltiger gestalten zu wollen und auf entsprechende Artikel umzusteigen. Die Ansprache rund um diese Artikel allerdings ist eine einzige Frechheit. Zugegeben liegt es nahe, ein Produkt, das sich vor allem durch seine positive Ökobilanz auszeichnet, dementsprechend zu vermarkten. Hier geht es aber nicht um irgendein Produkt und mithin nicht um irgendwelches Marketing.Jetzt auch noch UmweltschamWenige Themen sind epochen- und kulturübergreifend derart schambesetzt wie die Menstruation. Schon Aristoteles begriff sie als Beleg für die Unterlegenheit des weiblichen Geschlechts. Die abrahamitischen Schriften schließen menstruierende Frauen aufgrund ihrer vermeintlichen Unreinheit von rituellen Handlungen bis hin zum bloßen Betreten eines Gotteshauses aus. Erst 1979 galt die Theorie vom „Menstruationsgift“, das westliche Wissenschaftler im Blut vermuteten, als widerlegt. In Südasien geht laut einer Unicef-Analyse rund ein Drittel der Mädchen während der Regelblutung nicht in die Schule. Eine niederländische Studie ergab einen durchschnittlichen Verlust von neun Arbeitstagen pro Person und Jahr aufgrund von Menstruationssymptomen. Noch hier und heute ist es unter Frauen üblich, zu warten, bis die Männer den Raum verlassen haben, um nach einem Tampon zu fragen. Jetzt gesellt sich eine neue Scham hinzu: die Umweltscham.Dabei wäre es selbst in einer idealen Welt eine Zumutung, menstruieren zu müssen. Da hilft aller moderner Komfort nichts: Es ist nicht angenehm, Monat für Monat zu bluten und dabei noch allerlei irritierenden Begleiterscheinungen ausgesetzt zu sein. In dieser Lage sollen die Betroffenen bitteschön noch die Welt retten? Ausgerechnet Tampons, die Millionen von Frauen den lästigsten Teil des Frauseins etwas erträglicher machen, sind fünf Kilo Müll im Jahr zu viel? Sind sie, glaubt man den rosafarben aufbereiteten Statistiken der Menstruationstassen-Pioniere. Denn bei allem zur Schau gestellten Feminismus besteht ihr Kern doch in einer der ältesten Übungen des Patriarchats: Frauen Schuldgefühle dafür einzureden, dass sie einen Körper haben.