Komisch: Millennials wollen eigentlich nur das eine. Sich ein sauberes Gewissen herbeikonsumieren
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Yvon Chouinard ist „off the menu“, sagt das Internet. Will heißen: Er steht nicht mehr auf dem Speiseplan. Also, wenn die Reichen irgendwann vom hungernden Pöbel gefressen werden sollten, wie es Jean-Jacques Rousseau prophezeit hat. Chouinard, der 83-jährige Gründer des kalifornischen Herstellers von Freizeitbekleidung und Ausrüstung Patagonia, gab im September bekannt, dass er seine Unternehmensanteile im Wert von drei Milliarden Dollar an Stiftungen gespendet habe, die die Umwelt schützen. Sämtliche Gewinne flössen jetzt in deren Arbeit. Das soll „eine neue Form des Kapitalismus“ inspirieren, hofft Chouinard, eine, die „am Ende nicht zu ein paar Reichen und einem Haufen armer Menschen führt“. Die Daumen sind
ard, eine, die „am Ende nicht zu ein paar Reichen und einem Haufen armer Menschen führt“. Die Daumen sind gedrückt, aber wie sich die Sache mit dem Kapitalismus verhält, müssen wir uns doch noch mal genauer anschauen.Chouinards Weg, gleich mal ein ganzes Unternehmen zu spenden, mag ein Novum sein. Die Idee, dass der Wind der Veränderung hin zu einer besseren Welt ausgerechnet von den Villen der Kapitalisten her wehen würde, geistert aber schon länger durch die Köpfe. Und sie erlebte jüngst einen beispiellosen Aufschwung.Es ist kein Zufall, dass es die Generation der Millennials war, die Nachhaltigkeit, Feminismus und allerlei sonstige politische Anliegen in die Unternehmen trug. Corporate Social Responsibility ist in der Unternehmenswelt schon seit den 1960er Jahren ein Begriff, so richtig gefallen ist der Groschen allerdings erst vor etwa einem Jahrzehnt. Seitdem floriert das politisch eingefärbte Marketing. In Autowerbungen fahren Hybridwagen durch grüne Landschaften, Caféketten klären eifrig über die Arbeitsbedingungen ihrer Kaffeebauern auf. Ein Markenname muss heute für mehr stehen als ein Produkt, Erfolg mehr bedeuten als schnöde Gewinnerzielung. Woher rührt die plötzliche Sinnsuche?Es ist eine hartnäckige, existenzielle Verzweiflung, die das Aufwachsen in behüteten Verhältnissen bei wachsender globaler Ungleichheit und einer sich zuspitzenden Klimakrise begleitet. Die nachfolgende Generation Z sollte diese Verzweiflung in die Frühpolitisierung der Schulstreiks fürs Klima führen. Die Millennials wurden stattdessen zu Einzelkämpfern mit chronisch schlechtem Gewissen. First-world guilt ist das ultimative first-world problem aller, die Politik mit Anfang 20 noch immer für Erwachsenenkram hielten, der Individualisten wie sie nicht interessieren muss. Im Laufe der 2010er Jahre schließlich, als die ersten Millennials 30 wurden, als das „adulting“ sich nicht mehr aufschieben ließ und man die Welt um sich herum wahrnehmen musste, wendete sich das Blatt. Und so setzte die finstere Ahnung ein, auf der Gewinnerseite eines Spiels mit gezinkten Karten zu stehen.Marktvorteil NachhaltigkeitIndividualisten, die sie waren, verorteten sie die Verantwortung nicht bei Systemzwängen, vorangegangenen Generationen, dem allgemeinen Spießertum oder was immer normalerweise junge Protestkultur inspiriert. Sie suchten die Verantwortung bei sich selbst. Nach und nach befreite sich die Konsumkritik von ihrem kauzigen Hippie-Image und hielt mal nachdenklich, mal appellierend Einzug in die bürgerliche Mitte. Das Versprechen: nichts Geringeres als der Ausweg aus der lähmenden Ohnmacht angesichts der Schrecken der Welt. Freikaufen vom Gefühl des Ungerecht-gewonnen-Habens durch ethischen Konsum. Ein Königreich für ein sauberes Gewissen.Politische Anliegen wurden zu Bedürfnissen, die Unternehmen erfüllen müssen, wollen sie am Markt bestehen. Studien wie die Global Sustainability Study der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners prognostizieren Wettbewerbern mit nachhaltigem Geschäftsmodell mittelfristig Marktführerschaft in ihrer jeweiligen Branche. Langfristig, so die Studie, werden sie konventionelle Konkurrenten sogar ganz vom Markt verdrängen.Eigentlich eine völlig alltägliche Entwicklung im Kapitalismus. Die neuen grünen Konzerne befolgen die alte Milton-Friedman-Doktrin, Buchstabe für Buchstabe: Wenn es einen Weg gibt, Profite zu steigern, ist ein Unternehmer seinen Aktionären gegenüber verpflichtet, ihn zu beschreiten. Das Kölner Institut für Handelsforschung kommt in einer aktuellen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass bei über zwei Dritteln der deutschen Konsumenten eine höhere Ausgabebereitschaft für nachhaltige Produkte besteht. Eins und eins ergibt zwei.Da die Konsumkritiker keine zutreffende Vorstellung von dieser Wirklichkeit haben, feiern sie die Entwicklung hin zu nachhaltiger Wirtschaft als vermeintlichen Gegenentwurf zum herkömmlichen System. Kapitalismus? Das ist doch das mit der Umweltverschmutzung und der Unterdrückung. Wenn ich meine Bücher in einer unabhängigen Buchhandlung erwerbe, statt sie über Amazon liefern zu lassen, muss das gewiss ein Akt sein, der sich außerhalb der kapitalistischen Logik bewegt. So wie mein Rucksack, dessen Plastik aus den Ozeanen gefischt wurde, auf dass ich mich besser fühle.Leider ist das nicht der Fall. Der Kapitalismus, der uns aufgrund seines Wachstumsdiktats ja überhaupt erst in die Klimakrise manövrierte, hat im Wesentlichen zwei Merkmale: einen Markt und das Privateigentum an den Produktionsmitteln, also an Fabriken sowie Grund und Boden. Beides ist in nahezu allen Ländern der Welt gegeben. Dass die unabhängige Buchhändlerin ein anständigerer Mensch als Jeff Bezos ist, ändert an dieser Tatsache nichts. Wer auf transparente Weise, mit fairen Löhnen und aufrichtigen Absichten einen Solarpanelverkauf betreibt, tut das unter ebenso kapitalistischen Bedingungen wie jeder andere Unternehmer auch. Der Begriff des Kapitalismus ist keine Wertkategorie, er beschreibt ein Wirtschaftssystem.Daher ist es Kapitalismusgegnern in der Regel auch gleichgültig, ob jemand von Kopf bis Fuß in Markenkleidung oder in Fairtrade-Stoffe gehüllt ist, welches Auto er fährt und welche Geräte er benutzt. In den Kreisen der Millennials hingegen gilt jeder Kapitalismusgegner mit der Feststellung „Aber du hast ein iPhone!“ noch immer als der Doppelmoral überführt, weil mangels ökonomischer Grundlagenkenntnisse völlig ernsthaft davon ausgegangen wird, dass Samsung, Huawei oder Xiaomi keine Kapitalisten seien. Bekanntermaßen rufen Marx und Engels in drei Kapital-Bänden zur Zerschlagung des Apple-Konzerns auf. Nichts zu verlieren als miese Akkulaufzeit, einen USB-C-Anschluss zu gewinnen.Die Produktion bleibt privatUnd Yvon Chouinard, der Nicht-mehr-Eigentümer von Patagonia? Ist nicht wenigstens er aus dem Schneider? Was Chouinard getan hat, ist ethisch gut, sicherlich auch nützlich und insgesamt anerkennenswert. Ein Schritt in die „richtige“, nämlich den Kapitalismus tatsächlich herausfordernde Richtung ist es nicht. Chouinard sagt das selbst, wenn er „eine neue Form des Kapitalismus“ fordert. Die Produktionsstätten von Patagonia sind noch immer in privater Hand. Patagonia ist noch immer Wettbewerber eines noch immer nach dem Konkurrenzprinzip organisierten Marktes. Es ist alles wie gehabt. Nur die Gewinne kommen jetzt einer, im Übrigen von Chouinard ganz allein ausgewählten juristischen Person zugute, anstatt in seine Tasche zu wandern.In dieser „neuen Form“ entscheiden also immer noch Einzelne, die es zu Reichtum gebracht oder ihn – in den häufigeren Fällen – geerbt haben, wer wann in welcher Form wie viel Geld für welche Anliegen bekommt. Auch wenn es in puncto Marketing hammermäßig klang: „Die Natur“ wurde durch Chouinards Move nicht zur Eigentümerin, ja schon gar nicht zur Kapitalistin oder Herstellerin atmungsaktiver Wanderjacken. Der Reichtum, den Chouinard gestiftet hat, wird immer noch in einem auf Wachstum basierenden, also mit der Begrenztheit natürlicher Ressourcen unvereinbaren System erwirtschaftet.Ist unser Konsum deshalb unpolitisch? Nein. Er ist genauso politisch, wie alles politisch ist, was Einfluss auf die materielle Wirklichkeit der Menschen nimmt. Wenn eine Chefin ihre Mitarbeiter freundlich behandelt und vernünftig bezahlt, ist das besser, als wenn sie alle um sich herum triezt und knechtet. Wenn die Firma dieser Chefin am Markt besteht, weil sie im Vergleich zur triezenden und knechtenden Konkurrenz mehr Kundschaft findet, ist das besser, als wenn sie bankrottgeht. Und wer schließlich bei ihr einkauft statt bei der triezenden und knechtenden Konkurrenz, trägt einen kleinen Teil dazu bei, dass die partikuläre Ausprägung eines konkreten Problems bekämpft wird. Geht die Firma trotzdem pleite, hat er immerhin die angenehme Gewissheit, damit nichts zu tun zu haben.Mehr nicht. Mehr können unsere Konsumentscheidungen nicht bewirken, und das kann niemandem ausreichen, dem es mit der Rettung unserer Lebensgrundlage ernst ist. Konsum, egal wie ethisch, kann nicht mit Profit- und Wachstumszwang brechen, er kann die Produktionsverhältnisse nicht radikal demokratisieren. Kurzum, er kann nichts von dem tun, was getan werden muss, um die Klimakrise zu lösen und Armut und Ausbeutung zu beenden.Die gute Nachricht ist, dass jede Menge Kapazitäten frei werden, wenn man die Nabelschau erst einmal einstellt. Kapazitäten, die sich hervorragend nutzen lassen. An dieser Stelle hätte der zigste Zeigefingertext mit Tipps zur Reduktion des eigenen CO₂-Fußabdrucks erscheinen können. Stattdessen erscheint der Appell, zu kaufen, was gefällt, guttut und das eigene Gewissen nicht zu schwer belastet. Und die Zeit und die Energie, die dadurch eingespart werden, in wirklich politische Arbeit zu investieren: ins Lesen und Lernen über die Zusammenhänge zwischen kapitalistischer Produktionsweise und Klimakrise zum Beispiel. In die Gründung eines Betriebsrats im grünen Start-up, auch wenn der Chef noch so gute Absichten hat. Oder in die Unterstützung von Umweltaktivisten, und zwar nicht nur denen, die den Betriebsablauf unangetastet lassen. Es gibt unendlich viele Arten, sich für eine bessere Welt einzusetzen. Dafür braucht es mehr als kritische Kunden: Es braucht kritische Menschen.
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