Quiet Quitting als Career Goal!

Arbeitsmoral Quiet Quitting ist ein Schreckgespenst aus der Managementliteratur: Viele junge Menschen der Generationen Y und Z tun auf der Arbeit nur noch das, wozu sie vertraglich auch verpflichtet sind, heißt es. Aber stimmt das überhaupt?
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 47/2022
Ein Gespenst geht um im Kapitalismus. Es ist das Gespenst des Quiet Quitting
Ein Gespenst geht um im Kapitalismus. Es ist das Gespenst des Quiet Quitting

Illustration: der Freitag

Wenn jemand sagt, etwas „fühle sich nicht nach Arbeit an“, rümpfe ich eigentlich die Nase. Als ob richtige Arbeit unangenehm zu sein hätte, schmerzhaft oder wenigstens öde. Als könnte, wer Freude empfindet, nicht am Arbeiten sein, jedenfalls nicht so richtig. Allzu deutsch kommt mir das vor, fast schon preußisch. Und doch ist es das Erste und Treffendste, was mir zu meiner eigenen Arbeit einfällt. Könnte ich mir einen Job backen, wäre der gar nicht so weit weg von meiner aktuellen Realität, denn ich lebe vom Schreiben. Genauer: Ich schreibe mehr oder weniger, wann, wie oft und worüber ich will, und werde dafür bezahlt. Ein sogenannter Traumberuf.

Neulich machte auf TikTok ein Video die Runde, das die Haltung meiner Generation diesem Begriff gegenüber angeblich auf den Punkt bringen soll: „Darling, I told you several times before. I don’t have a dream job. I don’t dream of labour.“ Fand ich zwar ausgesprochen sexy, hatte aber nichts mit mir zu tun. Und darüber war ich ernsthaft schockiert. Hätte man mir vor zehn Jahren gesagt, dass ich das eines Tages von mir selbst behaupten würde, wäre ich je nach hormoneller Lage in Gelächter oder Tränen ausgebrochen. Jetzt aber ist es so: Ich bin jemand, der gern arbeitet. Es war gar nicht so einfach, das herauszufinden.

Verschwende dein Leben!

Wobei, eine Überzeugung unterscheidet mich immer noch wesentlich von einer handelsüblichen Karrieristin. Und zwar die, dass Arbeit einen Anfang und ein Ende hat und zwischen diesen Punkten höchstens acht Stunden liegen. Da bin ich Buchstabenjuristin. Diese Haltung wurde mir als Kind vermittelt, in diversen Servicejobs geschliffen und in Küchentischdiskussionen präzisiert. Aber sie wurde nie so radikal auf die Probe gestellt wie in der ersten Firma, die mich fürs Schreiben anstellte. Und in der ich, nach der gängigen Definition, vom ersten Tag an Quiet Quitterin war.

Der Begriff „Quiet Quitting“, zu Deutsch „stilles Kündigen“, kommt aus den USA und bedeutet, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter zur vereinbarten Zeit erscheint, die erforderlichen Aufgaben erledigt und pünktlich Feierabend macht. Mit anderen Worten: dass jemand seine oder ihre Arbeit tut. Aber nicht mehr als das, also ohne Überstunden, Extraaufgaben, ständige Verfügbarkeit. Und ohne dass er oder sie zusätzlich zur Arbeitskraft auch noch ein Stücklein Seele verkauft. Klar, dass Menschen, die sich über Jahrzehnte auf diese Weise knechten ließen – oder unwidersprochen andere knechteten – davon nicht begeistert sind.

„Es gibt nichts Traurigeres, als all diese Lebenszeit zu verschwenden und nicht zu versuchen, die Arbeit, die man macht, zu genießen, sich zu engagieren und sich für sie zu begeistern“, klagt etwa der Karrierecoach Matt Spielman in der New York Times. „Es geht nicht nur um dich“, pflichtet ihm Gabrielle Judge bei, deren Beruf den schmucken Titel „Customer Success Management“ trägt, und mahnt: „Du bist in einem Team, in einer Abteilung.“ Arianna Huffington, Gründerin des Medienunternehmens Huffington Post, versucht es im Guten. Zwar gäbe es durchaus Probleme mit der „Hustle Culture“, also der exzessiven Selbstausbeutung, die man mitmacht, weil sie alle anderen auch draufhaben. Doch anstatt einfach nicht mehr mitzutun, sollten junge Menschen ihren Arbeitgebern erklären, wie es besser geht. „Das Paradoxe am Quiet-Quitting-Trend“, schreibt Huffington, passenderweise auf der Karriereplattform LinkedIn, „ist, dass die Generation Z die Welt auf so viele lange überfällige Weisen verändert. Sie sind nicht damit einverstanden, die Welt, die sie vorgefunden haben, zu akzeptieren, wenn es um Rassismus, das Klima, mentale Gesundheit, die Ökonomie und so vieles mehr geht. Also warum es aufgeben, die Arbeitsweise von Unternehmen zu verändern?“

Huffington bezieht sich auf das Narrativ, nach dem vor allem junge Menschen, die nach der Finanzkrise 2007 ins Berufsleben eingestiegen sind – also die Generationen Y und Z –, nicht mehr auf Teufel komm raus mithustlen wie die Generationen vor ihnen. Ich bin Jahrgang 1997 und dementsprechend mitgemeint. Bei meiner oben erwähnten ersten Anstellung fürs Schreiben, einem Job bei einer Fernsehshow, war Generation Y weitestgehend unter sich, mit einigen Jüngeren – wie mir – und einigen Älteren – wie den beiden Geschäftsführern. In dieser Firma entstand ein Produkt, das ein Beitrag zu einer gerechteren Welt sein sollte: kein Trash-Fernsehen, sondern „TV engagé“, unterhaltsam, aufklärend, kritisch. Alles in allem also ein Unternehmen mit dem Anspruch, zur Verbesserung der Verhältnisse beizutragen. Zugleich herrschte in dem Büro eine Arbeitskultur, bei der Einsätze von zehn, zwölf und mehr Stunden absolut normal waren. Diese merkwürdige Verschränkung fiel mir zum Glück noch vor Vertragsschluss auf. Ohnehin war ich noch anderweitig beschäftigt und nur in Teilzeit angestellt und hatte damit allen Grund, die Firma vor der Unterzeichnung wissen zu lassen, dass ich keine einzige Überstunde machen würde. Nicht weil mir die Arbeit egal war, sondern weil ich es einfach nicht einsah. Als das ohne jede Diskussion akzeptiert wurde, glaubte ich, das Thema sei erledigt. Ich irrte mich gewaltig.

Viel ist gesagt worden über die heute 30- bis 40-Jährigen, die sogenannten Millennials. Über ihr Hadern mit dem Erwachsenwerden, ihren Dauerzustand des Alles-Hinterfragens, ihr ungeschicktes Beziehungsverhalten, ihre ganze Lattemacchiatohaftigkeit. Was ihnen die meisten allerdings hoch anrechnen, ist die angebliche Erfindung der Work-Life-Balance. Schon 2006 beschrieb ein Beitrag in der US-amerikanischen Fachzeitschrift Leadership in Action jene Merkmale der damals gerade frisch auf den Arbeitsmarkt strömenden Generation Y, die ihr Image bis heute prägen. So seien ihnen Möglichkeiten des kreativen Ausdrucks, der Vereinbarkeit und Sinnhaftigkeit besonders wichtig, während sie weniger nach Führungsrollen strebten und starre Hierarchien ablehnten.

Die vermeintliche Erkenntnis verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Es sollten viele Jahre vergehen, bis den Ersten auffiel, dass die These auf überaus wackeligen Beinen stand. „Die akademisch-empirische Beweislage für generationale Unterschiede der arbeitsbezogenen Wertvorstellungen ist bestenfalls uneinheitlich“, heißt es 2011 in einer Metastudie im International Journal of Management Reviews. Will heißen: Niemand weiß, ob die Generation tatsächlich anders tickt als die anderen oder ob die Ursachen von verändertem Arbeitsverhalten nicht doch in den verschiedenen Lebensphasen oder veränderten äußeren Umständen zu suchen sind.

Aber an wen?

Zumindest für Deutschland kommt die Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie in einer Analyse aus dem Jahr 2018 zu dem Schluss: alles Quatsch. „Die Ergebnisse zeigen, dass von der Literatur postulierte Generationsunterschiede zwischen der sogenannten Generation Y, X, den Babyboomern, den ’68ern sowie der sogenannten Skeptischen Nachkriegsgeneration in Wirklichkeit kaum existieren“, schreibt Soziologieprofessor Martin Schröder. „Weithin verbreitete Vorstellungen, wie Generationen sich in ihren Einstellungen unterscheiden, finden sich somit empirisch nicht bestätigt.“

Hätte Schröder mich damals an meinem Arbeitsplatz besucht, hätte ich ihm hautnah an meinen Kolleginnen und Kollegen zeigen können, wie recht er hat. Zynisch könnte man sagen: Augen auf bei der Berufswahl. Niemand dort wäre ohne diesen Job verhungert. Und die verbreitete These, es laufe nun einmal überall so, hätte man ja wenigstens mal testen können.

Ich will aber nicht zynisch sein. Denn ich habe noch nie so viele so talentierte Menschen an einem Ort gesehen, die in allen Belangen derart kollegial, fast schon liebevoll zueinander waren. In allen Belangen außer in einem: bei der Unterordnung, wenn es ums stille Ertragen der Arbeitsbedingungen ging. Da kotzte man sich zwar beieinander aus, wie es so schön heißt, mit gesenkter Stimme und vorsorglichen Blicken über die Schulter. Aber auf der Handlungsebene war jeder auf sich allein gestellt. Am Abend unterhielt man sich über die Untragbarkeit der Zustände, am nächsten Tag ging alles unverändert weiter. Meine Kolleginnen und Kollegen empfanden es vielleicht nicht so, aber sie taten etwas zutiefst Unsolidarisches. Schlechte Arbeitsbedingungen hinzunehmen, bestehende Rechte nicht einzufordern und Ansprüche nicht zu nutzen, ist schließlich der beste Garant dafür, dass der Mensch am Schreibtisch gegenüber gezwungen ist, es einem gleichzutun.

Nun heißt das im Umkehrschluss nicht, dass sich solidarisch verhält, wer konsequent um 18 Uhr den Laptop zuklappt. Das Ergebnis: Ich klinkte mich mehrmals pro Woche unter schmerzverzerrtem Blick und Entschuldigungen aus einer laufenden Konferenz, die die restlichen Kolleginnen dann allein zu Ende machen durften. Zu gehen, obwohl Arbeit liegen blieb, die dann andere erledigen mussten, fühlte sich wie Verrat an, auch wenn ich mindestens einmal in der Woche an dem Versuch scheiterte, die anderen für Arbeitskampf zu gewinnen. Irgendwann wurde es eine Art bizarrer Running Gag, wie oft ich davon sprach, dass es dringend einen Betriebsrat bräuchte, und dass ich jedes Mal die gleichen Antworten bekam: alle Verträge befristet, zu viele Kollegen in freier statt fester Mitarbeit, kann man also vergessen. Und manchmal fiel auch dieses große, beklemmende Wort, das so gar nicht in die fluffige Teamwork-Atmosphäre passen wollte: Angst.

Ein Gutes hat es dann doch, das Leben als Quiet Quitter, und allein dafür lohnt es sich, es einmal auszuprobieren. Man kann völlig ungeniert Prinzipien reiten. Im besten Fall leistet man damit natürlich einen nachhaltigen positiven Beitrag, aber dafür ist es unabdingbar, Spaß an der Beharrlichkeit zu haben. Manchen Veränderungen stehen so viele Widerstände im Weg, dass es einen Scheuklappenblick braucht, um sie trotzdem durchzuziehen. Die Abschaffung der deutschen Überstundenkultur gehört dazu. Es braucht also jemanden, der ohnehin gern auf seinen eigenen Wertekanon verweist und in dessen täglichem Sprachgebrauch „grundsätzlich“ öfter vorkommt als „Na gut“.

Quiet Quitting mag ein statistisch dünn belegtes Schreckgespenst aus der Managementliteratur sein, die Idee ist jedenfalls in der Welt. Alles deutet darauf hin, dass wir den Kapitalismus noch ein Weilchen werden mitmachen müssen. Wir sollten Quiet Quitting als Anregung verstehen, als berufliche Leitlinie. Als Career Goal sozusagen. Schritt für Schritt in eine humanere Arbeitswelt, die Zeit und Raum für Beziehungen, für Muße, private Weiterbildung und das ein oder andere Gespräch über Betriebsräte lässt. Damit vielleicht die nächste Generation von Festangestellten Bahnhof versteht, wenn jemand sagt, etwas „fühle sich nicht nach Arbeit an“.

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Geschrieben von

Özge İnan

Redakteurin, Social Media

Özge İnan hat in Berlin Jura studiert. Währenddessen begann sie, eine Kolumne für die Seenotrettungsorganisation Mission Lifeline zu schreiben. Nach ihrem ersten juristischen Staatsexamen folgten Stationen beim ZDF Magazin Royale und im Investigativressort der Süddeutschen Zeitung. Ihre Themenschwerpunkte sind Rechtspolitik, Verteilungsfragen, Geschlechtergerechtigkeit und die Türkei.

Foto: Léonardo Kahn

Özge İnan

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