Car-Freitag

Reframing Alle unterwegs? Stimmt gar nicht. Und trotzdem. Es kommt darauf an, was wir sehen wollen. Stau z.B. macht nicht langsam, sondern gleich.

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Karfreitag. SloMo auf der BAB. Kein Grund ersichtlich, warum ich nicht schneller fahren kann. Ich fahre gerne schnell, ich gebe es zu, mea culpa, mea maxima culpa. Nicht „freie Fahrt für ..“ und auch nicht rasen. Aber nicht schneller als 100 km/h und kein Grund ersichtlich? Pfffff. Ich habe also Zeit. Die habe ich sowieso. Kein Termin, der drängt. Ich fahre nur zu einem langen Osterwochenende auf die Mecklenburgische Seenplatte. Zeit also. Und Gedanken. Und ich versuche mich an einem Reframing. Wie der Name sagt, ist dass der Versuch, einen neuen Bilderrahmen zu finden. Einen neuen Bezugsrahmen. Einen anderen Blickwinkel. Für Gefühle, Gedanken, Einstellungen, Erlebnisse. Und die Leitfrage beim Reframing ist. „Was ist gut daran, dass ...“. Was also ist gut daran, dass ich SloMo auf der BAB fahre?

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„Das Reframing (Umdeutung) ist als eine Methode der Systemischen Psychotherapie und des Neurolinguistischen Programmierens bekannt. Menschliche Denkmuster, Zuschreibungen, Erwartungen weisen in der Regel einen Rahmen (frame) auf, eine Ordnung, nach der Ereignisse interpretiert und dann wahrgenommen werden. Entweder ist das Glas halb voll oder halb leer. Obwohl scheinbar das Gleiche bezeichnet wird, ist der Akzent und die Bedeutung jeweils unterschiedlich, weil einmal ein eher positiver und das andere Mal ein eher negativer Rahmen gesetzt wird. Gelangt man aus der Sicht des halb leeren zur Sicht des halb vollen Glases, so hat ein Reframing, eine Umdeutung, stattgefunden. Es ist schwer zu sagen, wer diese Methode als erster angewandt hat, da das Prinzip schon existierte, bevor man es als solches explizit benannt hat. Ein Beispiel dafür stellt das positive Denken dar, bei dem die Ereignisse des Lebens aus einem positiven Blickwinkel betrachtet werden. Eine andere sehr bekannte Form des Reframings begegnet uns beim Witz: Dort wird ein gewöhnliches, alltägliches Ereignis in einen neuen, untypischen Rahmen gestellt, wodurch eine missverständliche und unterhaltsame Wirkung erzielt wird, da der Zuhörer in seiner Deutung der Situation zunächst von einem anderen (typischen) Rahmen ausgegangen ist.“ (aus: http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/didaktik/refraiming/frameset_refraiming.html)

Was also ist gut daran, dass ich SloMo auf der BAB fahre? Gleichheit. Zähfließender Verkehr, Stau noch einmal mehr, macht uns alle gleich. Ob meine Kiste 5.000 € wert ist oder 100.000, ob sie verranzt ist und bald auseinanderbricht oder ob sie chromglänzend voller Dreibuchstaben-Helferlein gepackt ist, ob ich auf einem besseren Gartengestühl sitze und den Rohrrahmen im Rücken spüre oder auf feinstem Ziegennappaleder in beige, Wurzelholz statt Billig-Plastik: Wir kommen alle gleich schnell (oder gleich langsam) voran. Da hilft kein Chip-Tuning, kein V6-Motor, kein Superturbo und auch kein links gesetzter Blinker oder die Lichthupe. Vor SloMo und Stau sind wir alle gleich. Stau und SloMo auf der BAB sind eine Erfindung der französischen Revolution. So neu eingestellt, bin ich nicht mehr so hibbelig, wenn die Geschwindigkeit des Autokorsos wieder einmal sogar unter 100 sinkt. Höre Musik und pfeife mir eins.

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„Eine sehr alte chinesische Taogeschichte erzählt von einem Bauern in einer armen Dorfgemeinschaft. Man hielt ihn für gut gestellt, denn er besaß ein Pferd, mit dem er pflügte und Lasten beförderte. Eines Tages lief sein Pferd davon. Alle seine Nachbarn riefen, wie schrecklich das sei, aber der Bauer meinte nur, »vielleicht«. Ein paar Tage später kehrte das Pferd zurück und brachte zwei Wildpferde mit. Die Nachbarn freuten sich alle über sein günstiges Geschick, aber der Bauer sagte nur, »vielleicht«. Am nächsten Tag versuchte der Sohn des Bauern, eines der Wildpferde zu reiten; das Pferd warf ihn ab und er brach sich ein Bein. Die Nachbarn übermittelten ihm alle ihr Mitgefühl für dieses Missgeschick, aber der Bauer sagte wieder »vielleicht«. Am nächsten Tag kamen die Rekrutierungsoffiziere ins Dorf, um alle jungen Männer zur Armee zu holen. Den Sohn des Bauern wollten sie nicht mehr, weil sein Bein gebrochen war. Als die Nachbarn ihm sagten, was für ein Glück er hat, antwortete der Bauer, »vielleicht«...“ (Bandler/Grinder 2000, 13)

(aus: http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/didaktik/refraiming/frameset_refraiming.html)

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Geschrieben von

oi2503

Wat dem een sin uul is dem annern sin nachtigall

oi2503

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