Er will doch nur spielen

True Story Menschen können Tieren ähnlicher sein als sie glauben wollen. Selbstverliebtheit gepaart mit Ignoranz führt dazu, dass manche nur spielen wollen. Menschen wie Tiere.

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Er stürmt auf mich zu. Lautes Gebell. Gebleckte Zähne. Das Deckhaar steht zu Berge. Dann stürzt er sich auf wahlweise einen kleineren, viel kleineren, Vierbeiner oder schnüffelt an meinem Beinkleid. Hunderte von Metern entfernt stehen „Herrchen“ oder „Frauchen“. Rufen nach Rex, Fifi oder Bello. Ohne Erfolg. Gefühlte zwei Stunden später dann sind sie am Tatort. Völlig außer Atem versichern sie, man bräuchte keine Angst zu haben: „Er will nur spielen“. Selbst Halter eines Jagdhundes, Deutsch Drahthaar, blieb immer eine gehörige Portion Skepsis. Mein Hund wollte nicht spielen, außer mit Bällen. Er wollte töten.

Reinhold war auch so einer. Auf zwei Beinen, er wollte auch nur spielen.

So unglaublich es scheinen mag. Wir waren mit vier Personen – zwei Pärchen; es war, nebenbei, das erste und letzte mal, dass ich in einer solchen Konstellation Urlaub machte – mit Gepäck und zwei Zelten in einer Ente (2CV) von Trier bis nach Südfrankreich gekommen. Die Fahrt, die notwendigen Verpackungskünste und die Erlebnisse und „Erörterungen“ mit den Grenzern verschiedenster Nationalitäten anno 1979 sind eine andere Geschichte wert.

Glücklich, es tatsächlich geschafft zu haben, saßen wir am ersten Abend auf der Terrasse eines Restaurants in Saint Marie de la Mer, genossen uns, die Aussicht auf das Meer, das Essen, das Klima und dass wir es geschafft hatten. Dazu Wein. Natürlich.

Bis. Ja bis Reinhold in seiner im eigenen Selbstgewissheit verkündete: „Bullen sind Schweine. Die dürfen ruhig abgeknallt werden!“. Zwei Sätze wie ein Peitschenhieb ins Idyll, unser Garten Eden fühlte sich eigenartig an, plötzlich. Klamm, nicht klammheimlich.

Zwei Sätze, die heute wahrscheinlich nur noch zu einem gelangweilten Achselzucken, einem müden Lächeln und einer weiteren Bemerkung über den phantastischen Wein führen würden. Damals jedoch diskutierten wir. Wir diskutierten alles in jenen Jahren. Frauen- und Männerbilder, deren Funktionen und die Rollen und Machtverhältnisse dahinter; die Auswirkungen des Kapitalismus auf die Entwicklung (besser Nicht-Entwicklung) in den Staaten der „dritten Welt“; die Ökologie und ihre Bedeutung bei der Schaffung einer langfristig und nachhaltig friedvollen Welt; die Möglichkeiten von sozialer Arbeit und ihre Grenzen; ob wir als Profiteure des Systems als Studierende uns nicht besser ehrlich machen sollten, den bevorstehenden Nato-Doppelbeschluss und die Fragen auch natürlich, die sich aus der tatsächlichen oder vermeintlichen Unfähigkeit unserer Eltern, wirklich Liebe zu geben an verkorksten Charakteren bei uns aufgebaut hätte. Undsoweiter, fehlende Themen bitte einfach selbst einsetzen ….

Alles, einfach alles wurde öffentlich ausgebreitet. Und so diskutieren wir denn. Drei gegen Reinhold. Nein, drei gegen Reinholds Statement. Weitestgehend solidarisch war die Gemeinschaft. Stunde um Stunde wurden Argumente „getauscht“, sachliche, emotionale, unsachliche, persönliche im Ringen um „Wahrheit“.

Wir drei ereiferten uns, rangen, versuchten zu überzeugen. Reinhold blieb gelassen. Seltsam gelassen. Als die Diskussion gerade in sich zusammenfallen wollte, offenbarte er: Nicht ernst gemeint sei das gewesen, er wollte uns nur einen Gedankenstoss geben, provozieren, damit eine Diskussion entstünde. Sonst passiere ja nichts.

Eiseskälte danach. Klirrend klare, schneidende Eiseskälte im Süden Frankreichs mitten im Sommer.

Solcherlei Selbstverliebtheit, gepaart mit Ignoranz und Überheblichkeit ist mir seither zum Glück nicht wieder begegnet. Wir schafften es übrigens, den Urlaub einigermaßen in Anstand zu Ende zu bringen, wir waren jung, damals. Nicht zu übersehen blieb allerdings, dass Diskussionen mit Reinhold seither merkwürdig einsilbig wurden und die Auftrennung der beiden Pärchen stärker wurde als nötig.

Die Hunde kamen später. Und mit ihnen die Erkenntnis, dass sich Menschen Tieren offenbar stark angleichen können.

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Geschrieben von

oi2503

Wat dem een sin uul is dem annern sin nachtigall

oi2503

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