From Sho-Gun to Rea-Gun

Konzertbericht Gil Scott-Heron

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Werner war nicht nur mein Gitarrenlehrer, was ihm wirklich hoch anzurechnen ist, weil bei mir in der Hinsicht des selber machens von Musik ja wirklich Hopfen und Malz, Saite und Steg verloren waren und es leider immer noch sind, sondern auch Berliner, gebürtig aus der Frontstadt des freuien Westens. Eines schönen Tages, sagt man doch so, oder, fragt mich der berlinische Werner also in Trier, wo wir beide studieren, ob ich Lust hätte fünf Tage lang in seine Geburtsstadt zu kommen und dabei drei Konzerte zu schauen.

Robby kommt aus dem Nachbardorf. Das wirklich Nebel heißt. Er ist zwei Jahre älter und unglaublich cool. Hat schon lange Haare als ich mich gegen meine Eltern noch nicht durchsetzen konnte in dieser Angelegenheit und sonst auch noch nicht so wirklich. Und er durfte legal eine Kreidler fahren zu einer Zeit als ich nur manchmal heimlich die „Quickly“ von meiner Schwester "lieh". Die Kreidler kam bei Rückenwind und mit genug Rückenwind „locker“ auf 100 km/h. Auf dem Tacho. Die Quickly hat gerade mal drei Gänge. Und die auch noch mit der Hand zubetätigen, was bitte ist das denn gegen eine Fußschaltung, die ja schon fast an Motorrad denken lässt? Genau, eine frühe teutsche Vespa. Konnte ich damals nicht verstehen.

Mit der Zeit sind dann zwei Jahre nicht mehr so erheblich und ich konnte zu meinem Idol aufschließen und auch etwas geben, ihm, dem Großen. Erst in Köln, wo er wohnte und ich oft zu Gast war während meines Studiums in Trier. Und später dann als ich in Berlin aufschlug 1988. Da waren wir viel unterwegs. Fahrraddemo auf der Stadtautobahn, (Fahrrad fahren auf der Autobahn ist dermaßen hammerhart) in diversen Kiezen wie Neukölln, die damals noch gar nicht schick waren, in Hamburg bei Lou Reed und sogar in einer Darts-Mannschaft haben wir gespielt. So richtig mit Ligabetrieb, um Punkte, Ernst, die Ehre und allem Tatütata.

„Klasse, klar“ sag ich zu Werner (damals wahrscheinlich eher „geil“ o.ä.) und fahre, ganz aufsteigender Akademiker, sehr eloquent fort: „wen gucken wir denn?“. Zu meiner Schande musste ich, der sich damals wirklich etwas auf seine musikalischen Kenntnisse– wie gesagt nicht selber machen - einbildete gestehen, dass ich keine der drei Gruppen kannte. Zwei davon kenne ich inzwischen wieder nicht, keine Ahnung, wen ich mir da reingezogen habe, im April 1983. Einer allerdings hat mich weiter begleitet. Gil Scott-Heron. Von manchen als Godfather des Rap bezeichneter Grenzgänger mit der gewaltigen Stimme, einem nie nachlassenden sozialen und politischen Engagement, den wahnsinnigsten Texten und einem unglaublichen Rhythmus. Ein Mensch. Einer von den wirklich menschlichen Menschen mit einem großen Herzen.

Robby ist Elektriker. Und arbeitet auf Montage im Springer-Hochhaus. Hat weiterhin seine langen Haare, auch als das schon gar nicht mehr angesagt ist, trägt Lederjacke – braun – und wenn er in der Vorstandsetage ist sagt er zu den Menschen „Tach, ich bin der Robby“ und schüttelt im Zweifel auch dem Vorstand die Pranke. Er darf das. Er ist geradeaus, so sehr, dass sogar Vorstände das merken. Alle anderen in seiner Umgebung sowieso. Auch deshalb wird er schließlich vom Einkäufer von Springer gebeten sich selbständig zu machen und für den Konzern zu arbeiten. Was er dann auch tut. Mit drei Kollegen zusammen. Robby reist gern. Und als seine Ex Hilfe braucht zieht er zu ihr, ihrem Freund und seinem Kind. Kein Ding.

Werner wollte immer Prof. werden. Ist er inzwischen. Professor der Psychologie. Hut ab. Dafür muss er jetzt in Hannover leben. Selbst schuld. Ab und an lese ich von ihm. Und seit kurzem haben wir ein wenig Mailkontakt. Ein wenig, unsere Wege haben sich getrennt. Unsere Welten waren es wohl immer.

20. April 1983. Quartier Latin, Westberlin. Aus dem dann später der „Wintergarten“ wurde, auch nett, aber ... nichts im Vergleich zum Quartier Latin. Schwarz gestrichene Wände, eine Bühne sonst nichts. Kompromiss-schnörkelfreier Veranstaltungsraum. Im Saal, der Zeit und dem Musiker angemessen, rund 80% schwarze GIs im Familienclan. Das Dope zieht gen (hoher) Decke und fällt von dort in Qualmform wieder zurück: Selbst rauchen war nicht nötig. Und weil rauchen ja hungrig macht, kreisten allerlei feine Sachen in den Reihen, die nicht geraucht sondern gegessen werden konnten. Freakadellen, Hähnchenschenkel, Salate aller Couleur, Brote und Co. Vielleiht auch der eine oder andere Keks. Wer will das schon so genau sagen, wonnich (Gruß an Janto).

Und dann kam er. Oder eigentlich ER. Enterte die Bühne. Und sprach zu „his people“, ich kann es nicht besser sagen. ER lachte, gestikulierte, fragte nach, ist interessiert und unglaublich lebendig. Und so ist auch die Musik. Lebendig. Und vielseitig. Der Bass tuckert, furztrocken, die Bläser blasen und kreischen oder quäken je nachdem, die Percussions träufeln in die Tasten, die (an)geschlagen oder gestreichelt werden oder sie machen Dampf, knallen. Je nachdem.

Alles zusammen reine Lebensfreude bei all der Scheiße gegen die angesungen, über die berichtet wird. Und ganz viel Energie und Kommunikation mit dem Publikum, seine Leute, his people. ((Ich versuche ein Video zu finden, dass das ein wenig zeigen kann, was da abging)). Und ja, Lebens-Freude.

Im Zentrum all der Musiker immer ER, auch wenn er sich zurückzog und den anderen Musikern die Bühne überließ. Spindeldürr übrigens der Mann. Ich hatte einen massigeren Körper erwartet bei der Stimme. Mindestens das Doppelte. War aber nicht. Gil Scott ist spindeldürr. Und singt. Sprechsingt. Und lässt den Bass laufen, tuckern, zu „B-Movie“ und „Black His Story“, und „The Revolution will not be televised“, „The Bottle“, „Winter in America“. „We almost lost Detroit“ und noch viel mehr.

„CHICAGOOOOOO“ ruft es auf die Bühne und Gil Scott freut sich jemanden aus Chicago dabei zu haben. „BOSTONNNNNNNN“. Auch mit dem Besuch aus Boston spricht der Schlaks, derweil der Bass immer weiter läuft, tuckert, furztrocken. Einige Städte und Geschichten und Fragen und Erzählungen später werde ich den Verdacht nicht los, das der herunterfallende Dopequalm dem Künstler doch vielleicht ... ja vielleicht

Ein grandioses Konzert, ein tolles Publikum, ein einzigartige Atmosphäre, eine fantastische Location. Es ist lange her. 31 Jahre. Ich weiß immer noch, wie es klang. Und seither begleitet ER mich. Musikalisch.

Ein paar Jahre später wollte ich – inzwischen nach Berlin gezogen – Gil Scott noch einmal sehen. Im Quasimodo sollte es ein Konzert geben. Ich hab Robby eingeladen. Wer nicht kam, war Gil Scott-Heron. Der Veranstalter entschuldigte ihn ungefähr mit den Worten „er sei unterwegs in der Stadt und amüsiere sich prächtig, hätte jetzt keine Lust auf ein Konzert“. Was irgendwie dann auch wieder passte. Zu Gil Scott. Ich glaube Robby und ich sind dann ins "Bermuda-Dreick" zwischen Yorkstraße, Mehringdamm und Gneisenaustraße. Zuerst wahrscheinlich ins Yorkschlößchen.

Und weil inzwischen beide auf die letzte große Reise gegangen sind, Robby und Gil Scott-Heron, kann ich mir gut vorstellen, dass sie jetzt zusammen sitzen und reden und lachen. Sie hätten zusammen gepasst, die beiden. Beide mit diesem großen Herz und der festen Absicht, sich nie verarschen zu lassen, den Kakao nicht zu trinken durch den sie gezogen werden sollen wie Kästner gesagt hat. No word-games!

Jetzt kommen sie nicht mehr zu meinem Konzert. Und ich stelle mir den großen Veranstalter vor, wenn es ihn denn gibt, der mir sagt: „Beide amüsieren sich prächtig und haben deshalb keinen Bock mehr auf dies Konzert.“

Danke Robby und Gil, danke auch - für den Tipp - an Werner.

Band im Quartier Latin, 1983:

Gil Scott-Heron – vocals, keyboards
Alonzo Bailey – trumpet, flugelhorn
Vernon James – alto and soprano sax, flute
Ron Holloway – tenor sax
Larry McDonald – percussion
Kenny Powell – drums
Ed Brady – bass
Glen “Astro” Turner – keyboards, harmonica

(Info verdanke ich „noibert“, siehe Infoleiste bei Fotos)

Welches Konzert war das erste Konzert?

Also von den nicht selbst gemachten (ich war mal in der Amrumer Blaskapelle, zweites Flügelhorn) abgesehen war das das Christmas Meeting am 26. Dezember 1975 in der Holstenhalle in Neumünster. Mit Golden Earring, Kraan, Nektar, Curved Air, Pretty Things. Auch ein willkommener Anlass um das Weihnachtsfest möglichst früh zu verlassen, schließlich mussten wir ja vorher auf den Kontinent übersetzen. Zugeben muss ich, dass ich in meinem Kopf nur Golden Earring abgespeichert hatte. Welches Erstaunen bei der Recherche zu diesem Text.... Und ihr könnt mich prügeln, da ist keine Erinnerung an die anderen. Welch seltsam Ding doch das Gedächtnis ist.

Welches Konzert war das unvergesslichste Konzert?

Eines, bei dem ich gar nicht live dabei war. Prince live aus Syracuse zugeschaltet in den Rockpalast. Un-glaub-lich. Diese Power. Monica Jetter sagte nach dem Konzert auf NDR (breitesten hamburgischen Slang vorstellen): "Oine Hooose, die moin Leeben ve-äände-te". Später hab ich den Kleinen dann noch richtig live sehen dürfen. In Frankfurt in der Jahrhunderthalle, Sign-O-The-Times-Tour (Jahr? Keine Ahnung, vielleicht kann die mexikanische Beutelratte aushelfen, die doch als Taxifahrer in FFM ...). Ein gigantisches Feuerwerk. Bis auf die festgeschraubte Bestuhlung in der Halle. Was für ein Bullshit, das.


Welches Konzert wollte ich immer schon erleben?

Jimi

Jim

Janis

Kurt

Am liebsten zusammen.

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Teil einer Konzertreihe, initiiert und unermüdlich liebevoll vorangetrieben von doimlinque. Danke dir dafür und allen die mitgemacht haben und mir so viel Freude gebracht haben in den letzten Tagen und die alle hier finden können:

abghoul Diesseits des Jenseits

Tlacuache Doimlinque und Diander-Konzerte

Doimlinque e.s.t Live in Milano

Diander Nachtkonzert

hardob Nach dem Konzert

Anchesa Yippie ya yeah

Janto Ban Nur einmal noch

Suzie Q Prince of Darkness

Goedzak Dissoziation mit Musik

Ismene Ostwärts

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Und nun ab in die Phonoabteilung. Ich beginne mit einem der neueren Lieder

Und jetzt das unvermeidliche und unvergleichliche "B-Movie". Leider habe ich davon keine wirklich gescheite Fassung bei YT gefunden. Diese ist annehmbar allerdings geht es am Ende eigentlich noch ziemlich fetzig weiter. Und natürlich ist hier auch der GSH auf der Bühne ganz gut zu sehen.

"The Bottle" ohne Worte

Und jetzt noch ein ruhiges, warmes

Und dann höre ich erst einmal auf, obgleich ich gerne noch lange weiter machen wollte.

Gil Scott-Heron

https://www.freitag.de/autoren/barbara-muerdter/gil-scott-heron-autobiografie-the-last-holiday (thx an yossarián, der/die das gestern bei @diander, nachtkonzert gepostet hat)

http://de.wikipedia.org/wiki/Gil_Scott-Heron

Erstes Konzert:

http://www.albinomoon.de/golden-earring/concert-announcements/6462-1975-12-26-golden-earring-live-holstenhalle-neumuenster-germany

Black His Story

Egypt an Lybia used to be in Africa. They have been moved to the middle east. Das ist eines der "word-games" die Gil Scott-Heron in "Black His Story" aufzeigt.

Black Wax - Der Film

https://www.youtube.com/watch?v=3od114a4o7Y

Interviews/Berichte

https://www.youtube.com/watch?v=h-FfiJoaB6o

https://www.youtube.com/watch?v=oxOE25q6gxA

https://www.youtube.com/watch?v=DuEpT3Go7rU

Fotos aus dem Quartier Latin:

http://noirberts-artige-fotos.com/gil-scott-heron-in-berlin/

Doimlinque, mange tak für die Anregung dies zu schreiben
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Geschrieben von

oi2503

Wat dem een sin uul is dem annern sin nachtigall

oi2503

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