Lust am Wahn

Bildungsvermesser PISA, IGLU, IQB usw. usf. Was sagen die eigentlich aus? Und. Sind sie wichtig? Für wen? Eine ergänzende Betrachtung.

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In unglaublicher Regelmäßigkeit erreichen uns in den letzten Jahren Neuigkeiten von den Bildungsvermessern. PISA, IGLU, IQB usw. usf. Was dahinter steht, was gemessen und was wie gewichtet wird, ist wohl nur wenigen bekannt.

Wolfram Meyerhöfer lehrt Mathematikdidaktik an der Universität Paderborn und stellt fest, „Lernprozesse zu vermessen ist völlig aussichtslos. Doch es spricht auch wenig dafür, dass sich Lernergebnisse genau beziffern lassen“ (FAZ, 27.9.13, Seite 7, nur Print). Er nimmt damit Stellung zum Jahreskolloquium des DFG-Schwerpunktprogramms „Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungsprozessen“, auf dem seiner Ansicht nach die Bildungsforscher der Republik wieder einmal die Kultusminister überzeugen woll(t)en, dass es „weniger wichtig ist, sich mit dem Lernen zu beschäftigen, als Geld in die Vermessung der Ergebnisse des Lernens zu stecken“ (ebd.). Diese Kompetenzmodelle sind immer Kompetenzstufenmodelle. „Der Geist der Kinder soll also auf einer Zahlenskala abgebildet werden. Man möchte sagen können: Du, Kind A, hast 503 Punkte und bist somit ein schlechterer Mathematikschüler als Kind B mit 506 Punkten. Die Menschenmesser folgen also dem Bild, dass das Menschliche auf Skalen gepresst werden muss und das dies gesellschaftlich sinnvoll ist, so dass Kultusministerien dafür Millionen ausgeben. Sie folgen aber offenbar auch einer gewissen Lust am Wahn, denn nur in solchen Momenten wird man ernsthaft glauben können, dass man Kindern Schulnoten mit der Genauigkeit einer Hundertstel Stelle nach dem Komma zuweisen kann – nichts anderes ist die Behauptung, dass 503 Punkte etwas anderes seien als 506 Punkte“ (ebd.).

Er fährt fort zu beschreiben, dass der Unterschied von 63% zu 66% gelösten Aufgaben zwischen deutschen und finnischen Schülern mittels Skalen zu 495 Punkten (Mittelmaß) und 533 Punkten (Spitzengruppe) gemacht werden. Weil diese Punkte nichts sagen, sollen die Kompetenzstufenmodelle helfen, sie sollen „die Skala zum Sprechen bringen“. Dazu werden die Aufgaben nach Lösungshäufigkeit geordnet. "Leichteste" Aufgabe von 85%, schwerste von 10% gelöst führt zu sagen wir fünf Stufen, die angeblich Kompetenzen beinhalten sollen. „Die Idee ist, dass man beschreiben kann, welche Fähigkeiten mit den Aufgaben auf den jeweiligen Stufen gemessen werden“. Hört sich gut an, oder? Funktioniert nur leider nicht. „Wenn ein Kochlehrling A einen exzellenten Braten machen kann, ein anderer Lehrling B hingegen eine wunderbare Quiche, dann kann die Empirische Bildungsforschung nicht einfach das Essen genießen. Die Lehrlinge müssen unbedingt in eine Kompetenzreihenfolge gebracht werden (..). Dazu lässt man viele Lehrlinge Braten und Quiche herstellen. Wenn viele Lehrlinge einen guten Braten hinbekommen und wenige Lehrlinge eine gute Quiche, gilt der Quiche-Meister B als der bessere Koch“ (ebd.).

Meyerhöfer übersetzt das Beispiel dann auf ein Beispiel aus der Mathematik (dass vom PISA-Konsortium als beispielhaft bezeichnet wird). Die Aufgabe lässt sich auf verschiedene Arten lösen, u.a. durch Messen, über eine Formel, durch Strahlensätze oder Intuition und kommt zu dem Ergebnis: „Wenn ein Schüler die Aufgabe löst oder nicht löst, wissen wir nicht, wie er die Aufgabe gelöst hat oder wie er gescheitert ist. Wir wissen also nicht, was wir mit der Aufgabe messen. Nur sehr triviale Aufgaben ‚messen scharf’, sind also auf genau eine Weise lösbar. Fast alle Aufgaben messen unscharf’, sind also auf verschiedene Wegen lösbar. Wir wissen also nicht genau, welche Fähigkeiten wir gemessen haben – außer der Fähigkeit, solche Aufgaben zu lösen“. Es wird klar, dass unklar bleibt ob derlei Tests mathematische (oder andere) Leistungsfähigkeit messen. Wenn das nicht gegeben ist, dann wiederum ist das Kompetenzstufenmodell obsolet, denn wenn eine Aufgabe viele unterschiedliche Fähigkeiten gleichzeitig misst, können die Fähigkeiten des Probanden nicht vermessen und benannt werden. Das wäre aber die Voraussetzung für eine Kompetenzstufung.

Der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie hat in einer Studie mehr als 800 Metaanalysen, die wiederum 50000 Einzelstudien zusammenfassen, (alle aus dem englischsprachigen Raum, Ergänzung Oi) untersucht, was guten Unterricht ausmacht. Insgesamt waren an den Untersuchungen 250 Millionen Schüler beteiligt. Sein Buch »Visible Learning« (2008) liefert die umfangreichste Darstellung der weltweiten Unterrichtsforschung. Hattie verbreitert seine Datenbasis ständig mit neuen Erhebungen. Anbei einige der insgesamt 136 Einflussgrößen, die Hattie in seinem Buch bewertet. Sie geben einen Hinweis darauf, welche Faktoren für sich genommen das Lernen hemmen und welche sie fördern.“ (aus Zeit online). Der Artikel bilanziert, (Zitatanfang):

Was schadet

  • Sitzenbleiben
  • übermäßiges Fernsehen
  • lange Sommerferien

Was nicht schadet, aber auch nicht hilft

  • offener Unterricht
  • jahrgangsübergreifender Unterricht
  • Web-basiertes Lehren und Lernen

Was nur wenig hilft

  • geringe Klassengröße
  • finanzielle Ausstattung
  • entdeckendes Lernen
  • Hausaufgaben

Was mehr hilft

  • regelmäßige Leistungsüberprüfungen
  • vorschulische Fördermaßnahmen
  • lehrergeleiteter Unterricht
  • Zusatzangebote für starke Schüler

Was richtig hilft

  • Lehrerfeedback
  • problemlösender Unterricht
  • fachspezifische Lehrerfortbildung
  • Programme zur Leseförderung
  • vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrkraft und Schüler

(Zitatende)

Dies sollte eigentlich ein Kommentar werden zu dem Beitrag von Magda, Im Osten rechnen sie besser. Nun ist es ein wenig länger geworden und erscheint deshalb als eigenständiger Beitrag, der versuchen will, die kurzfristige Betrachtung der kurzfristigen Ergebnisse in einen Zusammenhang zu stellen. Einen Zusammenhang, es ist bei weitem nicht der einzige.

Zum Schluss noch einmal Wolfram Meyerhöfer aus besagtem Artikel: „Deshalb führt der Weg der immer stärkeren Standardisierung von Bildung – getragen von einem nicht hinterfragten Glauben an die mathematische Modellierbarkeit des menschlichen Geistes – das Schulsystem in eine Kultur der intellektuellen Armut.“

Und ganz zum Schluss eine Stimme aus dem Damals, von meinem alten Professor Heinrich Seiler (im Zusammenhang mit der Diskussion um die Hochschulreform und Notengebung, ca. 1980 und nur mündlich überliefert): „Was ist denn eine drei, meine Damen und Herren. Machen wir uns nichts vor. Eine drei ist die durchschnittliche Leistung eines durchschnittlichen Professors an einem durchschnittlichen Tag, die dieser mit einem durchschnittlichen Prüfling an einem von dessen durchschnittlichen Tagen und dessen durchschnittlicher Leistung erzielen kann.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

oi2503

Wat dem een sin uul is dem annern sin nachtigall

oi2503

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