Sexismus-Debatte: Journalismus in der Krise

Am Ende Mann/Frau, Frau/Mann, Opfer/Täter, Sieger/Verlierer. Die Zuordnung gelingt selten. Ist der Journalismus deshalb jetzt am Ende?

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Unter der Überschrift „Es ist vorbei“ und dem Titel „Am Ende. Die Sexismus-Debatte beweist: Der Mann ist in einer echten Krise“ versucht Jana Hensel einen allgemeinen Trend zu schaffen. Dazu rührt sie Brüderle, Steinbrück, Petraeus, Lance Armstrong, Strauss-Kahn, Kachelmann, Berlusconi, Romney, Manu Dreyer und Pussy Riot in einem Gefäß zusammen und behauptet: „Im Zentrum all dieser Debatten, Ereignisse und Nachrichten standen Männer. Auf die eine oder andere Art ging es stets um ihr Verhältnis zur Wirklichkeit. Und in all diesen Debatten waren weiße, heterosexuelle Männer in Machtpositionen plötzlich und aus vielen Gründen zu Verlierern geworden.“ Vom „Zeitgeist“ wurden sie dafür „an den Rand geschoben“.

Tief durchatmen, ruhig bleiben, Blutdruck kontrollieren. Weiterlesen.

Die Kritik reicht längst tief in die Mitte der Gesellschaft hinein, sie hat die sogenannte kritische Masse erreicht. Und so waren diese Männer nicht länger nur persönlich gemeint, sondern die Kritik an ihnen war bereits zur universalen Kritik an einer Herrschaftsform (…) geworden. Es ging um das System, das sie repräsentierten.“ Nur so sei auch zu erklären, dass die Geschichte im Stern erschienen sei, der wie viele andere auch gerne „nackte Frauen auf seinem Titelbild zeigt.“ Und das auch weiterhin machen wird – nach einer kleinen Schamfrist : wetten?

Nebenbemerkung. „Auch in Deutschland holen die Frauen immer mehr auf. Waren laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2000 nur 24% der hochqualifizierten Erwerbstätigen im Alter von 30 bis 34 Jahren Frauen, stieg ihre Zahl bis zum Jahre 2010 bereits auf 35% an; während die Zahl der Männer im gleichen Zeitraum nur von 29 auf 31 Prozent wuchs“. Was waren die an 100% hochqualifizierten Erwerbstätigen zwischen 30 und 34 Jahren fehlenden, immerhin 47% (2000) bzw. 34% (2010): Schimpansen? Zombies, Mutanten? Nebenbemerkung Ende.

Der „Männliche Selbstwert“ beruhe weiterhin auf dem Beruf, „eine klar umrissene ‚neue männliche Identität‘ ist noch nicht gefunden. Viele Männer stecken irgendwie fest. Sie machen ein bisschen mehr Hausarbeit als früher, kümmern sich ein wenig mehr um die Kinder, als noch ihre Väter es taten. Die Frauen jedoch leisten im Gegenzug viel mehr bezahlte Arbeit – und machen den Rest auch noch. Mit all diesen Frauen wird die Welt weiblicher (…)“.

Die Prämissen stimmen nicht. Und deshalb können die Schlussfolgerungen nicht stimmen. Von den genannten Männern – auch wenn sie nur als Beispiel genommen werden – sind genau Steinbrück, Romney und Lance Armstrong nicht wegen Sexismus aufgefallen. Bei Manu Dreyer war Kurt Beck eigentlich Kurt Beck gemeint, der sich nach langer Zeit im Amt und etlichen Fehlleistungen endlich zurückzog. Alleine und von sich aus, jedenfalls hätte er wohl auch noch bleiben können. Frau Dreyer erregt Aufmerksamkeit wegen ihrer Behinderung, mit der sie offen umgeht. Und aus dem Fakt heraus, dass eine Konstante geht. Wenn mit Pussy Riot eigentlich Putin gemeint ist: Wo ist denn der zum Verlierer geworden oder an den Rand gedrängt. Wer fehlt noch? Ach ja, Steinbrück. Auf den Schild gehoben vor wenigen Monaten, unter anderem weil er so als „ganzer Kerl“ daher kam. Arrogant bis zum Abwinken, von sich selbst überzeugt, loses Mundwerk, immer einen frechen Spruch oder auch „klare Sprache, klare Kante“. Deswegen auch durfte er so viel Geld mit Vorträgen verdienen. Und hat heute – nach der Niedersachsenwahl – durchaus eine Chance, Bundeskanzlerin zu werden. Am Rand, Verlierer? Wenn er verloren hat, dann wegen Unaufrichtigkeit und Ungeschicklichkeit. Ja, ich weiß, einer fehlt nun wirklich noch. Aber zu dem fällt mir nichts ein: Lance Armstrong. Vielleicht können wir aktuell auch noch Tim Wiese dazu nehmen. Oder Jupp Heynkes. Oder Maria Höfl-Riesch. Das mit der Machtposition bei Armstrong bekomme ich einfach nicht gedanklich geordnet. Das wird wohl an mir liegen.

Gegenthese. Es sind nicht nur gerade sondern in den letzten Jahren und Jahrzehnten fast ausnahmslos Männer, die verlieren und an den Rand gedrängt werden, weil es kaum Frauen gibt, die in entsprechenden Positionen sind/waren, also hätten an den Rand gedrängt werden können, weil sie da eigentlich schon sind, aus der Frage der Macht heraus betrachtet .

Universale Kritik am Herrschaftssystem. Wo ist die Kritik und welches Herrschaftssystem ist gemeint? Das hätte ich dann schon gerne näher erfahren. Und der Stern? Der bringt alles, was Geld verspricht. Es müssen nicht unbedingt Tagebücher sein. Den Titel „Wir haben abgetrieben“ schon vergessen?

Aber die Männer sind keine homogene Masse mehr, sie beginnen an sich selbst zu zweifeln.“

Waren sie das jemals? Homogene Masse? Frage ist rhetorisch, okay. Nein, waren sie nie. Es gab immer schon zum einen Unterschiede und zum anderen gravierende Unterschiede. Den zwischen Malocher und Bonzen z.B. Die Worte werden nicht mehr benutzt. Die Typen sind nicht weg. Und deshalb ist auch der Verweis auf die gestiegene und steigende Doppelbelastung der Frauen, durch die die Welt weiblicher werden soll, nicht unbedingt erkenntnisfördernd und hilfreich.

Ernsthafte Frage: Braucht es eine klar umrissene neue männliche Identität? Hat es die je gegeben? Meinetwegen können wir ja noch über neue Identität reden. Das klar umrissen macht mir Sorgen. Das klingt so nach Schablone, Schublade. Ich hoffte doch, dass wir da heraus wären. Und nein, es hat nie eine klar umrissene männliche Identität gegeben. Nur als Normativ.

Schlussbemerkung. Diese Diskussion findet in Zirkeln statt. In privilegierten. In gebildeten. In einkommensbevorteilten. Bei „uns“ halt. Ich schlage einen gemeinsamen Betriebsausflug in die Eckkneipen und Bowlingbars in Spandau oder in den Weddinger Teil von Berlin-Mitte vor. Oder auf einen xbeliebigen Schulhof irgendwo in der Republik wo sich pubertierende Jugendliche mühen, den Hauptschulabschluss zu erreichen. Oder die mittlere Reife. Kritische Masse?

Unter der Überschrift „Mannomann“ versucht hingegen Marc Felix Serrao in der Süddeutschen nachzuweisen, dass Männer auch Opfer bzw. Frauen auch Täterinnen sind (http://www.sueddeutsche.de/leben/sexismus-debatte-mannomann-1.1587336). Was an sich so selbstverständlich wie banal scheint. Er beginnt mit der Geschichte eines männlichen Opfers: “Der erste Angriff kommt kurz nach Weihnachten 2006. Ein Faustschlag ins Gesicht, plötzlich und unerwartet. In dem Streit davor ging es um eine Lappalie; die Frage, wie viel Aufmerksamkeit man einem Menschen außerhalb der eigenen Beziehung schenken darf. Die Entschuldigung für das zugeschwollene Auge am nächsten Tag im Büro: ein Unfall. Da war eine Tür im Weg. Was in den nächsten Monaten folgt, ist dann allerdings kein Unfall, sondern Sadismus in Serie: Kochwasser, das über dem Intimbereich ausgekippt wird. Angriffe mit einem Bügeleisen, einem Hammer, Küchenvasen, brennenden Zigaretten.“

Dabei lässt er den Leser zunächst im Unklaren, dass das „Opfer“ ein Kerl ist, der Täter eine Täterin. Oh, wie ausgebufft, den Leser mit den eigenen Vor-Urteilen zu konfrontieren. Serrao stellt fest, dass in der bisher angelaufenen Debatte ausgemacht scheint, dass nur Männer Täter sein können und dass – noch schlimmer – damit alle Männer in „Sippenhaft“ genommen werden auch jene, die genauso angewidert vom Verhalten mancher ihrer Geschlechtsgenossen sind wie die betroffenen Frauen.“

Warum werde ich den Eindruck nicht los, der Kerl weint, weint, weint? Sieht er sich als Guten, zu Unrecht beschuldigt? Ja, er weint: „Das Problem vieler, vor allem älterer Feministinnen ist, dass sie sich weigern, ihr in jüngeren Jahren geformtes Bild von Männern in Frage zu stellen: das des dauergeilen Patriarchen, der männerbündelnd seine Privilegien verteidigt. Wenn es um Sexismus geht, gibt es für sie nur eine Definition, und die steht, zum Beispiel, im "Frauenhandlexikon" von 1983: "Sexismus bezeichnet sowohl die allgemeine Vorurteilshaltung: Menschen vor allem durch die Brille von Geschlechtsstereotypen zu sehen; wie auch den konkreten Inhalt des Vorurteils: sich aufgrund des eigenen männlichen Geschlechts für besser, klüger oder wichtiger als Frauen zu halten."

Serrao sieht die Grenze nicht zwischen den Geschlechtern sondern zwischen den Generationen: „Ein Beispiel dafür ist auch Michael Kimmel. Der 61-jährige amerikanische Soziologe ist einer der bekanntesten Männerforscher und zugleich bekennender Feminist. In einem Interview mit dem Freitag erklärte er im vergangenen Herbst, weshalb Gleichberechtigung Männern Spaß machen kann ("Sie haben auch mehr Sex").

S. nimmt dann noch einen kurzen Umweg über die Literatur zum Mann, die in den letzten Jahren kaum noch die Begriffe Macht und Privilegien nutzt, woraus er messerscharf schließt, dass, wenn es nicht geschrieben wurde, es auch nicht ist. Mann und Macht haben nichts mehr gemein. Nach einem letzten Besuch bei seinem Kronzeugen, dem geschlagenen Mann aus dem ersten Absatz die Schlussfolgerung, Tusch:

"Entgegen der Behauptung, dass Frauen nur zur Selbstverteidigung zuschlagen, haben wir herausgefunden, dass sie genauso häufig dazu neigen, die Gewalt zu initiieren wie Männer." (Richard Gelles, University of Pennsylvania, Oi) Der Unterschied ist der, dass die einen - zu Recht - aufschreien und die anderen nicht. Letztere, weil sie Männer sind. Weil Männer keine Opfer sind. Und weil wohl kein Mann auf die Idee käme, Frauen vorzuwerfen, dass ihr Geschlecht oder ein bis heute anhaltender Verteilungskampf mit dem anderen Geschlecht der Grund für mieses Verhalten sein könnte. Allenfalls ein Mangel an Manieren. Mit einem N.

Tja, da haben wir es endlich. Männer haben gar keine Macht mehr, Frauen prügeln genauso hemmungslos wie Kerle, es gibt keinen Unterschied. Was das angeht. Also, was soll's?

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Geschrieben von

oi2503

Wat dem een sin uul is dem annern sin nachtigall

oi2503

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