Was Bücher so verraten

Urlaubsbekanntschaft Bücher sind der Spiegel der Seele. Sie können uns so viel über ihren Leser verraten. Oder doch nicht? Eine alltägliche Begegnung mit Menschen und ihren Büchern.

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Es kam dann doch, wie es kommen musste. Schon am ersten Abend bei Giorgos* in der Taverne war uns Hans* begegnet. Ein alter Bekannter meiner Liebsten aus der Zeit, als sie noch einen anderen Liebsten hatte. Und Hans auch. Also eine andere Liebste. Man sieht sich, sagten wir uns. Und ich dachte stille bei mir: hoffentlich nicht.

Aber. Es kam dann doch … Und so saßen wir zu viert im Café direkt am Comos Beach. Und konversierten. Was Pärchen halt so machen, wenn sie sich eigentlich nichts zu sagen haben und auch nichts sagen wollen. Da ich beide zuvor hatte sehen können, wie sie in der Sonne lagen und ihre Bücher vor sich hatten, lasen und sonst nichts- kaum Gespräch, kein Schnorcheln, nicht einmal abkühlen im Wasser, das an dem Tag wieder einmal ganz herrlich war - fragte ich also so in das Plätschern der Unterhaltung hinein:

„Und was lest ihr so?“

hoffend, dass jetzt die nächsten 30 Minuten Unterhaltung gesichert waren. Und? Pustekuchen. Stattdessen erst einmal Stille, begleitend von Donnergrollen (ich bin mir sicher, man konnte in diesem Moment hören, wie die Gedanken Fahrt aufnahmen und sich immer wieder an irgendwelchen Hindernissen stießen).

Karola*, dann: „Och (ganz lang gezogen), bloß son Krimi“. Bloß? Wieso bloß? Und warum liest sie dann Stunden darin? Es stellte sich heraus, sie hatte mich fälschlicherweise für einen Lehrer gehalten, alle anderen waren Lehrer, und damit ebenso fälschlich dem Bildungsbürgertum zugeordnet. Und wieso "son Krimi"? Welchen, von wem, spannend, lohnt es sich, den zu lesen ... Krimis scheinen immer noch nicht den Ansprüchen an das selbst gesetzte Bildungsideal der sich selbst als Bíldungselite Verstehenden zu entsprechen. Dachte ich mir.

Hans* sagte gar nichts dazu, sprach lieber mit Karen* (meiner Liebsten) über seine Strategien endlich von einer A13 auf eine A15 zu kommen. Für alle, die das nicht kennen: Das sind Besoldungsstufen im Berufsbeamtentum mit vollem Rentenausgleich. Wie im richtigen Leben ist hier mehr mehr. Also A15 mehr als A13. Bei den Bs, also B2 und B1 z.B., ich glaube, die heißen inzwischen anders, im nicht verbeamteten öffentlichen Dienst war das ja anders herum. Da war weniger mehr.

Nun ja. Ich jedenfalls punktete bei Karola* ganz heftig als ich ihr erzählte, dass wir uns Irvings „Witwe für ein Jahr“ vorlasen. Weniger wegen des Buches, das war ihr ziemlich schnuppe. Das gegenseitige Vorlesen brachte die Punkte.

Hans* sagte immer noch nichts. Jedenfalls nicht dazu. Und auch nichts zu seinem Buch.

Karola* und ich fanden ein anderes Thema. Dreimal dürft ihr raten … Ja, Kinder. Speziell den Unterschied in der Aufzucht von Jungs und Mädchen und der Rolle von Hormonen so ab 13 Jahren. Nein, Beschneidung war kein Thema.

Wir hatten uns längst wieder verabschiedet („Man sieht sich“), als ich, von dem finalen Bad an dem Tag kommend, sehen konnte, was Hans* las: Sahra Wagenknecht, Freiheit statt Kapitalismus.

Warum hatte er das nicht gesagt? Traute er sich nicht? War ihm das „Nein, ich bin kein Mitglied der Linken, ja, ich habe schon einmal überlegt sie zu wählen (wahlweise ja, ich habe sie schon gewählt), die Wagenknecht ist doch ein kluger Kopf, und das mit dem Oskar tut doch dem ganzen keinen Abbruch, sie bleibt doch eine eigenständige Person, das Thema finde ich einfach brisant, es ist doch spannend, dazu auch einmal eine andere Position zu hören, ...“ zu lästig? Ich werde es nicht erfahren. Wir werden uns nicht (kaum) wiedersehen. Verpasste Chance oder gerettete Zeit?

* Namen sind verändert und der Redaktion (kicher) bekannt.

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Geschrieben von

oi2503

Wat dem een sin uul is dem annern sin nachtigall

oi2503

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