Dafür ist eigentlich das ganze Jahr Saison: Laternelaufen gegen Rechts
Foto: Sean Gallup/Getty Images
Patrick Wieschke hat vor Jahren schon seine Bomberjacke abgelegt und die Springerstiefel ausgezogen. Nun hält er an sich, um nicht mehr durch rechtsextrem motivierte Gewalttaten aufzufallen. „Man hat sich dann auch selber diszipliniert und sich gesagt, jetzt darf dir nicht noch mal die Hand ausrutschen, weil man ja jetzt in der Öffentlichkeit steht, im Stadtrat sitzt oder Landesvorsitzender ist“, fomuliert der thüringische NPD-Landeschef recht freimütig. „Da darf einem so etwas eben nicht noch mal passieren.“
Wieschkes Fall macht deutlich, wie die Querverbindungen der Szene verlaufen, die nun im Zusammenhang mit der Anklage gegen die mutmaßliche NSU-Frau Beate Zschäpe und mit dem möglichen NPD-Verbot wieder debattiert werden. Und er
en. Und er wirft ein Licht auf das Zusammenwirken von rechter Gesinnung und rechter Gewalt, das sich auch in einer neuen Studie der Ebert-Stiftung spiegelt.Denn der heutige NPD-Funktionär saß einmal rund dreieinhalb Jahre im Gefängnis, unter anderem wegen Beteiligung an einem versuchten Sprengstoffanschlag auf einen Dönerladen. Öffentlich bereut hat er die Tat nie. Auch seien ihm in Haft nie Zweifel an seiner Gesinnung gekommen, sagt er heute: „Es gibt ja diesen zutreffenden Spruch: Einmal Nazi, immer Nazi.“ Wieschke hat den Dress Code gewechselt und Karriere gemacht in der NPD, die nichts anderes ist als der parlamentarische Arm der Bewegung und die nun auf eigenen Antrag in Karlsruhe ihre angebliche Verfassungstreue feststellen lassen will.Töten statt träumenInzwischen trägt der als Gewalttäter mehrfach vorbestrafte Wieschke an manchen Tagen eine Krawatte über dem Hemd, statt Anschlägen auf türkische Imbissläden plant er fremdenfeindliche Kampagnen wie diese: „Deutschland den Deutschen! Überfremdung verhindern!“ steht in fetten schwarzen Lettern auf einer bedruckten roten Plastikplane in seinem Büro am Rande des Eisenacher Zentrums. Die Kampagne richte sich gegen „die schleichende Überfremdung und Islamisierung unserer Heimat“, behauptet die NPD. Auf dem Tisch liegt hier eine Schachtel Zigaretten, aus der Wieschke sich im Laufe des Gesprächs immer wieder bedient. Hier hört die Liebe zur Heimat offenbar auf, denn die Warnung auf der Packung ist tschechisch: „Kouření může zabíjet“ (Rauchen kann töten).Auch Neonazis können töten. Davon zeugen 149 Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit der Wende, die anerkannte Fachjournalisten der Zeit und des Tagesspiegel gezählt haben, darunter die zehn Opfer der sogenannten Zwickauer Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund. Dessen Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und Beate Zschäpe wirkten – wie Patrick Wieschke auch – bei der Neonazi-Vereinigung Thüringer Heimatschutz (THS) mit, bevor sie 1998 in den Untergrund gingen. Wieschke blieb oben – wie sein Kumpel Ralf Wohlleben, jahrelang NPD-Kreisvorsitzender in Jena, der Heimatstadt des Terroristentrios. Der soll den NSU maßgeblich unterstützt und ihm die Tatwaffe besorgt haben, das geht aus der Anklage der Bundesanwaltschaft hervor.Dass das Nazitrio Migranten erschoss, liegt für einen von Wohllebens ehemaligen NPD-Mitstreitern auf der Hand. „Die haben ja das umgesetzt, von dem die meisten anderen in der Szene nur träumen, weil sie selbst zu feige sind, es ihnen gleichzutun“, sagt der Mann. „Aber grundsätzlich sehnen viele eine Endlösung für Ausländer herbei.“Aus diesem Ausländerhass heraus war auch Patrick Wieschke als Heranwachsender in den neunziger Jahren an einigen der zahlreichen Aktionen beteiligt, die zu dieser Zeit gegen Unterkünfte von Asylbewerbern geführt wurden, auch in Eisenach. „Die Menschen haben alle gesagt, die Ausländer müssen weg, die sollen hier nicht leben, sie haben das alle so gewollt“, erinnert er sich. „Da wurde man in seiner Haltung bestärkt, das eben dann so zu machen. Man hat sich gefühlt, als wenn man den Volkswillen exekutiert hätte.“ Und dieses Gefühl erfüllt ihn bis heute. Wie viele Rechtsextremisten glaubt er, eine stille Mehrheit hinter sich zu haben. Wohl auch deshalb meldete sich die NPD diese Woche nur wenige Stunden, nachdem das Ergebnis einer aktuellen Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht wurde, in einer eigenen, breit gestreuten Pressemitteilung zu Wort mit dem Subtext: „Seht her, wir haben doch recht“.Gruppenbezogene MenschenfeindlichkeitSie sehen sich bestätigt in den Ergebnissen der sogenannten Mitte-Studien, die alle zwei Jahre die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in Deutschland messen. Darin heißt es, 43,6 Prozent der Ostdeutschen sähen die „Bundesrepublik in einem gefährlichen Maß überfremdet“, 9 Prozent aller Deutschen verfügten über ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“, wobei dieser Wert bei den Ostdeutschen besonders ausgeprägt sei. So stießen die Forscher bei 15,8 Prozent derjenigen unter den 2.505 Befragten, die aus den östlichen Bundesländern stammten, auf eine solche rechtsextreme Gesinnung. Im Westen seien es 7,3 Prozent, und der Anteil nehme ab. Im Osten dagegen habe er sich binnen zehn Jahren fast verdoppelt, heißt es dort.„Genau diese menschenfeindlichen Einstellungen sind die zwingende Voraussetzung für rechtsextreme Gewalt“, sagt die Konfliktforscherin Claudia Luzar von der Universität Bielefeld. Nach dem Modell der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ richten sich die feindlichen Einstellungen in der Gesellschaft meist gegen Schwache, also gegen Fremde und Migranten, aber auch gegen Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens, gegen Homosexuelle oder sozial Schwache.Das bestätigt auch die aktuelle Mitte-Studie. Darin heißt es, dass etwa jedem fünften Bundesbürger der „Einfluss der Juden auch heute noch zu groß ist“ (19,5 Prozent). Zwar ist nicht jeder, der diese Meinung teilt, ein Rechtsextremist; aber diese Einstellungen sind anschlussfähig für Rechtsextremisten, die dann einen Schritt weiter gehen und entsprechend handeln. Ob nun durch Kampagnen wie die der NPD oder durch physische Gewalt.Denken in Schwarz-WeißDie Gefahr von rechts geht nicht nur von geplanten Terroranschlägen aus, wie sie das NSU-Trio verübte. Sie sind nur die höchste Eskalationsstufe der alltäglichen rechten Gewalt, bei der Migranten, Wohnungslose, Homosexuelle oder Hartz-IV-Empfänger bedroht, verprügelt oder sogar getötet werden. „Mitglieder dieser Gruppen sind es, die neben politischen Gegnern von Neonazis zumeist Opfer rechtsextremer Gewalt werden“, sagt Luzar. „Das war bei den migrantischen Opfern des NSU genauso wie bei anderen Menschen, die nicht in das völkische Weltbild von Neonazis passen.“ Seit einem Jahr begleitet die Politikwissenschaftlerin „Back Up“, die erste Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt in Nordrhein-Westfalen. Zuvor war sie selbst jahrelang als Opferberaterin in Brandenburg im Einsatz, dem Bundesland mit dem meisten Neonaziopfern seit 1990. 27 Menschen kamen dort durch rechte Gewalt ums Leben, gefolgt vom einwohnerstärksten Bundesland NRW (25).Was bleibt, ist die wachsende Diskrepanz in den Einstellungen zwischen Ost und West. Als einer von wenigen Politikern spricht Joachim Gauck diesen Unterschied immer wieder an. Dabei mag eine Rolle spielen, dass er wenige Monate nach dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle ins Amt des Bundespräsidenten gewählt wurde, zu einem Zeitpunkt, als der Staat gefordert war, Verantwortung für das NSU-Debakel zu übernehmen. Aber Gauck hatte sich bereits in den Jahren zuvor mit den Ursachen des Rechtsextremismus beschäftigt: als Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ und als Verwaltungsrat der „Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa“.Als er bei einer Gedenkfeier zum 20. Jahrestag der Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen Ende August am Tatort der pogromartigen Ausschreitungen sprach, war er vor allem ein ehemaliger Pastor aus Rostock, der in seine Heimatstadt zurückgekehrt war mit dem Ansinnen, den Menschen in Deutschland ebenjenen Unterschied zu erklären: „Fremdenfeindlichkeit gibt es überall, aber es lässt sich nicht leugnen, dass sie uns im Osten leider häufiger begegnet“, sagte Gauck. „Gerade wir Ostdeutschen, die wir in lange eingeübter Ohnmacht lebten, blieben anfällig für ein Denken in Schwarz-Weiß-Schemata. Wir lebten in einem Land der strukturellen Rücksichtslosigkeit; alles, was anders war, nicht linientreu war, wurde verdächtigt, denunziert, bekämpft oder ausgegrenzt“, fasste er die Situation in der DDR zusammen. „Das Zusammenleben mit Fremden kannten wir fast nicht – auf den Straßen dieser Stadt habe ich gedankenlos und wie selbstverständlich für die wenigen Ausländer, die bei uns arbeiteten, die Bezeichnungen ‚Fidschis‘ und ‚Kanaken‘ gehört – das war ganz ‚normal‘.“So normal, wie es heute für fast jeden zweiten Ostdeutschen ist, die Bundesrepublik in einem gefährlichen Maß überfremdet zu sehen. Die Worte des Bundespräsidenten sind klug, verständlich und nachvollziehbar, auch für Westdeutsche. Aber warum die menschenfeindlichen Einstellungen unter Ostdeutschen weiter wachsen, obwohl die Menschen in Rostock, Templin und Eisenach seit mehr als zwei Jahrzehnten in einer Demokratie leben, darauf hat auch er keine Antwort.
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