Seit Jahren jagt ein Finanzskandal den nächsten, und das anscheinend ohne Konsequenzen: Nach einem kurzen Aufschrei – erinnert sei an die vor vier Jahren veröffentlichten Panama Papers – ist schnell vergessen, wo gerade wieder mit welchen undurchsichtigen Steuersparmodellen wie viel Geld am Fiskus vorbeigeschleust worden ist. Und auch der Kollaps des DAX-Unternehmens und deutschen Fintech-Wunderkindes Wirecard, dessen Führungskräften nun bandenmäßiger Betrug, Bilanzfälschung in Milliardenhöhe und Marktmanipulation vorgeworfen werden – was die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in ernste Erklärungsnöte bringt –, sorgt augenscheinlich kaum für Empörung.
Zu sehr haben sich die Bür
e Bürger an die folgenlosen Veröffentlichungen derartiger Enthüllungsgeschichten gewöhnt, die dem Normalverbraucher aufgrund der Komplexität des Geldsystems und des internationalen Finanzsektors ohnehin wenig zugänglich erscheinen. Ein Status quo, den jedoch nicht alle hinnehmen wollen. Die vom ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick gegründete Bürgerbewegung Finanzwende versucht seit 2018, Licht ins Dunkel der Finanzwelt zu bringen, insbesondere durch Aufklärung im Netz. In den sozialen Netzwerken wird mit Hilfe von Grafiken, Videos und Texten über Riester-Renten und Zentralbanken informiert, werden Cum-Ex-Betrug und Steuertrickserei skandalisiert. Vor allem aber können online die eigenen Forderungen verbreitet werden, zum Beispiel nach der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität, der Stabilisierung des Finanzsektors oder der Orientierung an ökologischen Zielen.Nun hat sich die Bürgerbewegung in einer Studie dem Einfluss der Finanzlobby auf die Gesetzgebung in Deutschland gewidmet. Untersucht wird dabei nicht bloß, wie die Regulierung des Finanzsektors von dessen eigenen Vertretern mitbestimmt wird, sondern auch, wie groß die Lobby überhaupt ist: Den Autoren des Berichts „Ungleiches Terrain“ zufolge beeinflussen nämlich mehr als 1.500 Mitarbeiter von „Branchen-Verbänden, einzelnen Finanzunternehmen sowie Lobbyismus-Dienstleistern (Kanzleien oder Agenturen)“ die Gesetzgebungsprozesse, über 200 Millionen Euro investiert die Branche dabei Jahr für Jahr.Einfluss ohne ÖffentlichkeitEin Ergebnis, das sogar den Finanzwende-Initiator Gerhard Schick überrascht: „Die Ergebnisse unseres Reports sind selbst für mich erschreckend, obwohl ich die Übermacht der Finanzlobby als Parlamentarier ständig erleben musste. Der Apparat der Finanzlobby ist einfach riesig“, stellt er fest. Und tatsächlich: In Anbetracht dessen, dass nur 41 Abgeordnete im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages sitzen, scheinen die zusammengetragenen Zahlen erschreckend hoch. Doch sie sind mutmaßlich noch konservativ geschätzt, wie die Autoren der Studie immer wieder hervorheben: Welche Interessenvertreter mit Politikern welcher Parteien in Hinterzimmern zusammentreffen, ist alles andere als transparent, da es in Deutschland bis heute kein verpflichtendes Lobbyregister gibt. Auch die Ausgabe von Hausausweisen des Bundestages an Lobbyisten ist erst seit der erfolgreichen Klage von abgeordnetenwatch.de und Tagesspiegel im Jahr 2015 verpflichtend. Die Einflussnahme findet somit oftmals abgeschirmt von den Augen der Öffentlichkeit statt.Zwar umfasst der Bericht auch Lobbykontakte einiger Abgeordneter, die ihre Treffen offenlegen. Doch bis auf Schick wird nur Fabio De Masi, der finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion, genannt. Dass dessen preisgegebene Kontakte wenig „repräsentativ für das allgemeine Lobbygeschehen zwischen Verbänden und Parlamentariern“ sind, geben die Autoren der Studie unumwunden zu.Trotz dieser Transparenzblockade sprechen die frei verfügbaren Daten eine klare Sprache, etwa wenn es um die Kommentierung von Referentenentwürfen geht. Wer darf hier mitreden und auf seine Interessen hinweisen? Finanzmarkt-Akteure beziehen zu Gesetzesentwürfen besonders häufig Stellung und üben damit Einfluss auf spätere Fassungen der Gesetzestexte aus. Die Regulierten wirken also an ihrer eigenen Regulierung mit. Seit 2014 veröffentlicht das Finanzministerium diese Stellungnahmen, mehr als 500 von ihnen (zu insgesamt 33 finanzwirtschaftlich relevanten Gesetzesentwürfen) haben die Autoren der Finanzwende-Studie analysiert.Ihre Bilanz fällt ernüchternd aus: „Bei Stellungnahmen zu Referentenentwürfen ist das Verhältnis von Finanzlobby zu Zivilgesellschaft etwa 8:1. Diese Gesetzesentwürfe, die von Ministerien zur Kommentierung freigegeben werden, sind eine frühe und wichtige Stufe des Gesetzgebungsprozesses und unseres Erachtens der wichtigste Einflusskanal der von uns Untersuchten. Beim wichtigen Gesetzesvorschlag zum Kleinanlegerschutz zum Beispiel gab es keine einzige zivilgesellschaftliche Organisation, die eine Stellungnahme abgegeben hat, beim Bankenabwicklungsrecht war das Verhältnis 10:1, bei einem Entwurf zur Umsetzung der EU-Geldwäscherichtlinie 7:1.“Ein Ranking der aktivsten Organisationen bei der Kommentierung von Referentenentwürfen stützt diese Zahlen: Platz 1 bis 7 werden von Vertretern der Finanzlobby besetzt, erst auf Platz 10 folgt mit der Verbraucherzentrale eine zivilgesellschaftliche Organisation. Weniger drastisch ist die mangelnde Repräsentation in den öffentlichen Sitzungen des Finanzausschusses: Zwar sei das Missverhältnis „immer noch stark, jedoch sind einige Anhörungen auch mit Akademikerinnen und unabhängigen Experten besetzt und nicht nur mit Industrieverbänden. Die Bundestagsopposition darf eigene Sachverständige für diese Sitzungen vorschlagen. Insofern gibt es hier ein gewisses Gegengewicht.“Bankenverband schreibt mitEin Gegengewicht, das mutmaßlich immer noch zu schwach ist: Die wirkliche Größe der Finanzlobby ist kaum ersichtlich, da viele der zusammengetragenen Zahlen auf Schätzungen basieren. Auf unkonventionellem Wege – etwa durch Mitarbeiterangaben der Lobbygruppen auf LinkedIn – wurde versucht, personellen Umfang und finanzielle Stärke der lobbyierenden Unternehmen und Verbände zu erfassen. Doch die Autoren gehen offen damit um, dass ihre Einsicht begrenzt ist – die 1.500 Mitarbeiter und 200 Millionen Euro stellen eine bloße Mindestschätzung dar.Gerade in dieser Begrenztheit liegt für die Bürgerbewegung der Zwang zum Handeln begründet. Finanzwende hält ein Lobbytransparenzregister für notwendig, das es der Öffentlichkeit erlaubt, nachzuvollziehen, „ob bestimmte Einzelinteressen im Gesetz auftauchen, die dem Gemeinwohlinteresse entgegenstehen“. Ein Schelm, wer dabei nicht an den beurlaubten Finanzrichter denkt, der 2007 Formulierungsvorschläge des Bankenverbands wörtlich in ein Gesetz zu Cum-Ex kopierte.Doch Transparenz allein ist nicht genug: Zwingend notwendig sei eine Politik, „die auf jeder Stufe von Entscheidungsvorbereitung bis -findung auf eine gleichmäßige Repräsentanz der verschiedenen Betroffenen achtet“. Nur so könne die Zivilgesellschaft der heutigen Übermacht der Finanzlobby entgegenwirken.Placeholder authorbio-1