Paris stimmt für Netzentzug

Raubkopierer Bei der Debatte um Internetsperren für Raubkopierer in Frankreich teilt das technische Verständnis die Fronten. Das Gesetz ist ein Affront gegen das Europaparlament

Die Nationalversammlung und der Senat in Frankreich haben ein heftig umstrittenes Gesetz beschlossen, nach dem Urheberrechtsverstöße im Internet künftig mit Netz-Entzug bestraft werden sollen. Wer beim Herunterladen von raubkopierter Musik oder Filmen erwischt wird, soll aus Digitalien verbannt werden. Erst sieht das Gesetz zwei mahnende E-Mails vor, dann ein Einschreiben. Beim nächsten Verstoß wird der Internet-Zugang gesperrt, für zwei bis zwölf Monate. Provider-Gebühren müssen währenddessen weiter gezahlt werden.

Die Netz-Sperren sollen verhängt werden wie ein Bußgeld, ohne Gerichtsverfahren, ohne richterliche Kontrolle. Ein bloßer Verwaltungsakt. Die Industrie gibt einen hilfreichen Hinweis, das Amt sperrt den Zugang. Darüber soll die noch einzurichtende „Hohe Behörde für die Verbreitung geistigen Eigentums und Rechtsschutz im Internet“, abgekürzt „Hadopi“, wachen.

Opposition aus den Regierungsparteien

Anfang April war das Gesetz noch in der Nationalversammlung gescheitert, die regierende UMP hatte verschlafen, genug Abgeordnete ins Plenum zu trommeln. Am Dienstag hielt die konservative Mehrheit, der Gesetzentwurf wurde mit 296 zu 233 Stimmen angenommen. Der Senat stimmte am Mittwoch 189 zu 14 für „Hadopi“.

Doch Präsident Nicolas Sarkozy, der Frankreich zum Vorreiter im Kampf gegen die Urheberrecht-Piraterie machen möchte, ist noch immer nicht am Ziel. Der französische Verfassungsrat könnte noch entscheiden, dass das Gesetz sich schwerlich mit den Grundrechten vereinbaren lässt. Die sozialistische Partei kündigte bereits an, dass sie das Gesetz prüfen lassen will. Und dann ist da auch noch das Europarlament, das gegen die französischen Pläne rebelliert.

Selbst 44 Abgeordnete der Regierungspartei stimmten nicht für die Internet-Sperren ohne Gerichtsbeschluss. Und die Sozialisten mussten sich öffentlich von den bestohlenen Künstlern, ihrer eigenen Klientel, schelten lassen, warum sie denn nicht für die Durchsetzung ihrer Urheberrechte im Internet seien. Es geht hoch her, und wichtiger noch als die Parteizugehörigkeit scheint das technische Verständnis der Abgeordneten zu sein.

Definition von "Raubkopierer" fehlt

Denn wer täglich mit und im Internet arbeitet, also "digital native" mit Computern aufgewachsen ist, urteilt anders über den Netz-Entzug, als jemand, für den das Internet aus Pornografie, Raubkopien und von der Sekretärin ausgedruckten E-Mails besteht. Rechtliche und technische Probleme begleiten die „Loi Hadopi“.

Unklar ist zum Beispiel, wie man als Raubkopierer auffällig wird. Reicht das Anhören eines geschützten Songs auf einer MySpace-Seite? Was ist, wenn sich hinter einem harmlosen Link geschütztes Material verbirgt? Schon kommen die Mahnungen, einmal, zweimal, verunsicherte Surfer müssen sich dreimal überlegen, wo sie überhaupt noch hinklicken. Wie viel verbotene Dateien muss man herunterladen, bis man als notorischer Sauger verdammt wird? Ein falscher Klick, und raus bist du.

Sorgen müssen sich auch all jene, die ihren Internet-Zugang großzügig mit Freunden und Unbekannten teilen. Das gemeinsam genutzte W-Lan in der Hausgemeinschaft, der freie Internet-Zugang im Café – der Anschlussinhaber bekommt mit etwas Pech seinen Zugang gesperrt und hat nicht mal etwas heruntergeladen. Hätte er nur besser aufgepasst, wer da so surft.

Auch die Internet-Provider werden in die Pflicht genommen. Sie bekommen zwar weiter die monatlichen Gebühren ihrer ausgesperrten Nutzer, müssen dafür aber Sorge tragen, dass niemand einen Internet-Zugang freigeschaltet bekommt, der doch gerade mit Netz-Entzug bestraft werden soll. Dann muss nur jemand anders den Vertrag unterschreiben, der dann aber wiederum Angst um seinen Leumund haben muss. Andererseits könnten sich die 65 Millionen Franzosen solidarisieren und sich fortan brüderlich alle ihr Internet-Zugänge teilen, „Hadopi“ käme mit dem Kappen kaum nach.

Ausweg: Digitale Flucht ins Ausland

Der Kontrolle kann man sich schließlich auch einfach entziehen, in dem man nicht direkt im Internet surft, sondern einen weiteren Computer zwischenschaltet, der nicht in Frankreich steht. Wer über eine verschlüsselte Verbindung über einen Proxy-Server im Ausland raubkopiert, kann nur schwer zurückverfolgt werden. Was nicht heißt, dass man illegales Tun tolerieren muss, nur deutlich machen soll, dass die Politik sich die Sache womöglich etwas zu einfach vorstellt.

Zu den rein praktischen Problemen kommt ein grundsätzlicheres: Fühlt sich jemand zu Unrecht ausgesperrt, kann er die Netz-Sperre beim „Hadopi“ anfechten. Dabei ist die Beweislast allerdings umgekehrt. Der nun Netzlose muss seine Unschuld beweisen. Das ziemt sich für einen Rechtsstaat nicht und scheint auch reichlich unpraktisch. Muss man dann seine Festplatte einschicken und dem Amt Zugriff auf die eigenen, privaten Daten ermöglichen? Damit staatliche Schnüffler kontrollieren können, was alles so auf dem Datenträger gespeichert ist? Seht her, meine Dateien, lasst mich ins Netz? Es wird absurd.

Mit Brüssel war anderes vereinbart

So hat das übereilige Vorgehen der Franzosen auch die EU-Parlamentarier aufgeschreckt. Daniel Cohn-Bendit, Co-Vorsitzender der Grünen in Europa, sprach sich für die Rechte und Freiheiten von Internet-Nutzern aus, „die ohne vorhergehende Prüfung durch richterliche Autoritäten nicht eingeschränkt werden dürfen“, und formulierte gemeinsam mit Guy Bono von den europäischen Sozialdemokraten einen Änderungsantrag.

Etwas überraschend entschieden die Abgeordneten am 6. Mai also mit großer Mehrheit, dass für die Kappung eines Internet-Anschlusses ein richterlicher Beschluss vorliegen müsse. Ein unverhohlen deutliches Signal an Frankreich, mit dem die EU-Parlamentarier einen Kompromiss mit dem Ministerrat zum sogenannten Telekom-Paket aufkündigten.

Ursprünglich war man sich mit den Regierungen der Mitgliedstaaten im Ministerrat einig – das Telekom-Paket, eine Reihe von umstrittenen Rahmenrichtlinien für ein europäisches Telekommunikationsgesetz, wird beschlossen. Eigentliches Anliegen ist ein besserer Kosumentenschutz – Kritiker befürchten aber, dass die Gesetze ebenso geeignet seien, Provider zu Hilfspolizisten zu machen. „Überwachung und Filterung des Internets durch Privatfirmen, Sondergerichte und technische Maßnahmen Orwellscher Ausmaße“ sei damit der Weg geebnet, fürchtet der Netzaktivist Markus Beckedahl.

Jetzt müssen sich EU-Parlament und Ministerrat neu verständigen, um das Telekom-Paket nach eineinhalb Jahren harter Verhandlung noch zu retten. Finden beide am 12. Juni keine Lösung, geht das Tauziehen nach den Neuwahlen zum EU-Parlament vom Neuen los. „Hadopi“, das harte Vorgehen Frankreichs gegen Raubkopierer, hätte dann das nicht minder drastische europäische Vorhaben zunächst blockiert.



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