Frankreichs martialische „Operation Wuambushu“ für ein verschärftes Migrationsgesetz

Insel Mayotte Emmanuel Macron und sein Innenminister Gérald Darmanin sorgen in einem französischen Überseedepartement für Massenausweisungen, die an Deportationen grenzen. Beobachter sehen das als Vorspiel für ein neues, schärferes Migrationsgesetz
Ausgabe 25/2023
Bild der Operation Wuambushu („Rückeroberung“) auf der Insel Mayotte: Gendarmen während der Zerstörung eines Quartiers
Bild der Operation Wuambushu („Rückeroberung“) auf der Insel Mayotte: Gendarmen während der Zerstörung eines Quartiers

Foto: Philippe Lopez/AFP via Getty Images

Madi Abdallah Abdou war Bauarbeiter. Am 22. Mai wurde er dazu eingeteilt, unter Polizeischutz das Quartier plattzumachen, in dem er und seine Familie wohnten. Vergeblich hatte er um Urlaub gebeten. Als er den Bulldozzer an seinem eigenen Haus einsetzen sollte, erlitt er einen Herzinfarkt. Seine Witwe ist nun obdachlos.

​Derartige Abrissaktionen sind Teil der „Operation Wuambushu“ („Rückeroberung“ im lokalen Idiom), mit der Paris gerade die Insel Mayotte im Indischen Ozean überzieht, ein Überseedepartement zwischen Madagaskar und der Küste von Mosambik. Macrons Innenminister Gérald Darmanin treibt „Wuambushu“ mit viel politischem Getöse und TV-wirksam voran. Er hat 1.800 Mann Polizei zusätzlich nach Mayotte fliegen lassen, darunter die neue schnelle Eingreiftruppe der Nationalen Polizei, die CRS 8, die sich bei Niederschlagung der Rentenproteste in Frankreich bereits den Ruf beachtlicher Rücksichtslosigkeit und Brutalität erworben hat. Ungeachtet dessen steht die CRS 8 vor anspruchsvollen Missionen – 2024 sollen die Einheiten die Olympischen Sommerspiele von Paris absichern. Schon bei ihrem ersten Einsatz auf Mayotte deckten die Polizisten Einwohner mit Hunderten von Offensivgranaten ein, und sie schossen scharf.

Frankreichs Horchstation auf Mayotte

Ihr Auftrag lautet, mindestens 20.000 Ausländer ohne reguläre Papiere in Mayotte aufzuspüren und auszuweisen. Gleichzeitig sollen gut tausend Behausungen in Dutzenden von Siedlungen abgerissen werden. Teilweise handelt es sich um Wellblech-Slums, teils um „feste Bauten“, die als Bastionen einer endemischen Bandenkriminalität hingestellt werden. Darauf beruft sich zumindest der offizielle Plan. „Wuambushu“ sorgt seit Wochen für Angst und spätkolonialen Schrecken unter der Bevölkerung, die sich schwer in Bedrängnis fühlt. Tatsächlich erlebt die Insel eine Operetten-Inszenierung, die handfesten politischen Zielen dient. Würde das Vorhaben, einen Exodus zu erzwingen, mit aller Konsequenz betrieben, bräche sogleich die Wirtschaft von Mayotte zusammen, warnt der Anthropologe Damien Riccio. Von den knapp 400.000 Einwohnern seien rund die Hälfte Ausländer, fast durchwegs Komorer. Sie hielten Bauwesen, Landwirtschaft und Dienstleistungen am Laufen, die informelle Ökonomie sowieso.

Geografisch gehört Mayotte zum Komoren-Archipel. Der Inselstaat konnte 1975 seine Unabhängigkeit erringen, doch von Mayotte wollte Frankreich nie lassen. Im maritimen Hoheitsgebiet lagern Gas- und Ölvorräte, auf Mayotte selbst hat französisches Militär seine „Großen Ohren“, eine Horchstation für den Indischen Ozean installiert. Während Söldnerführer Robert Denard – „ich bin der Korsar der Republik“ – die Komoren nach der Unabhängigkeit ins Elend putschte, organisierte eine Handvoll Landlords auf Mayotte ein Referendum für den Verbleib bei Frankreich. 2011 dann wurde die Insel zum 101. französischen Departement erklärt. Eine völkerrechtswidrige Annexion, befanden seinerzeit die Vereinten Nationen.

​Mayotter und Komorer teilen die gleiche Herkunft, Sprache, Religion und Kultur. Gerade einmal 70 Kilometer Ozean trennen sie, der Boots- und Fährverkehr ist rege, seit Urzeiten bewegen sich die Bevölkerungen innerhalb ihres Archipels, sodass viele Familien ihre Bindungen überall haben. Dabei war Mayotte nie eine wohlhabende Gegend. Drei Viertel der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Ein unlängst durchgesickerter Report aus sechs Pariser Ministerien beklagt einen desaströsen Zustand der De-facto-Kolonie. Freilich sind die Komoren noch ärmer und politisch noch instabiler. Eben deshalb siedeln und arbeiten viele ihrer Bewohner auf Mayotte, sie schätzen die Insel als Sprungbrett nach Frankreich. Normalerweise werden täglich zwischen 50 und 70 Komorer ausgewiesen.

Darmanin warnt vor dem „Fremden“

8.000 Kilometer von Paris entfernt führt Emmanuel Macron heute einen Krieg gegen die Hütten, der helfen soll, von der Rentenreform und dem Unvermögen abzulenken, die sozialen Eruptionen in Frankreich einzudämmen. Und Innenminister Darmanin darf den starken Mann geben, indem er im Vorfeld der Operation Hunderte von regulären Aufenthaltsbewilligungen annullieren ließ. Kindern komorischer Eltern auf Mayotte verweigern seine Behörden systematisch die Geburtsurkunde. So füllen sich die Ausschaffungslager schneller. Darmanin warnt vor dem „Fremden“, dem „Invasor“, dem „potenziellen Terroristen“. Voilà, das sind die Sündenböcke.

​„Wuambushu“ dient den Macronisten nicht zuletzt als Propaganda-Spektakel für ein noch einmal verschärftes Migrationsgesetz. Es sollte eigentlich erst im Winter in die Nationalversammlung eingebracht werden, doch nun will es der Präsident noch vor der Sommerpause durchsetzen. Damit klärt sich gerade eine politische Situation, denn mit dem Thema Migration kann Darmanin an einer neuen rechten Allianz bauen, nach italienischem Vorbild – derzeit überbieten sich Macronisten, bürgerliche Rechte und Rassemblement National mit fremdenfeindlichen, oft rassistischen Ausfällen. Und Marine Le Pen darf ihr Klagelied anstimmen: „Sie kopieren uns schon wieder!“

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