Regt sich irgendwo Protest, was in Frankreich gerade häufiger geschieht, stiefelt Gérald Moussa Darmanin (40) in seinen Kommandobunker an der Pariser Place Beauvau, nur einen Steinwurf vom Élysée-Palast entfernt. Es ist sein Feldherrenhügel. Der Innenminister dirigiert seine Truppen gern persönlich. Etwa am 25. März, als er – quasi per Joystick – 5.100 Granaten auf 10.000 ökologische Demonstrantinnen und Demonstranten schießen ließ. Tränengasgranaten, Blendgranaten, Schockgranaten. Manche davon sind als Kriegswaffen klassifiziert. Sie hatten schon bei den Repressionen gegen die Gelbwesten-Bewegung im Winter 2018 Dutzende Menschen verletzt und in Marseille eine alte Frau an ihrem Küchenfenster getötet. Diesmal muss
ussten etwa 200 Oppositionelle ärztlich behandelt werden, ein Demonstrant schwebt seit drei Wochen zwischen Leben und Tod. Schockiert konstatierten die Beobachter der Menschenrechtsliga (LDH) „eine unangemessene Gewalt“. Sie beklagten, dass die Gendarmen Ambulanzen stundenlang daran hinderten, Verletzte zu bergen.Alles sei ganz anders gewesen, beschwerte sich Darmanin. Seine Polizei habe die Nation in großer Not gegen „Ökoterroristen“ verteidigt. Kriegswaffen seien nie eingesetzt worden, überhaupt gebe es in Frankreich „keine Polizeigewalt“. Was kümmert es ihn, wenn Videos, Zeugen und Berge von Munitionshülsen diese Behauptung sogleich der Lüge überführten? Darmanin holte zum Rundumschlag aus. Hinter der Kritik an seinem Ordnungsdienst stecke der „intellektuelle Terrorismus der extremen Linken“. Der ehrwürdigen Menschenrechtsliga, die 1896 im Gefolge der Dreyfus-Affäre gegründet worden war, drohte er mit dem Entzug des Vereinssiegels, was man aus Diktaturen kennt. Da wurde es sogar einigen wenigen Macronisten mulmig. Sie vermuteten einen Ausrutscher Darmanins, wo sich tatsächlich der Stratege einer „radikalisierten Macht“, so die neue CGT-Vorsitzende Sophie Binet, Geltung verschafft hatte. Das Prinzip repressiver Übergriffe: eine kritische Zivilgesellschaft systematisch für gesetzlos zu erklären. Dafür hat sich Darmanin vor zwei Jahren eigenhändig ein Gesetz geschaffen. Diesem Mann ist es entscheidend zuzuschreiben, wenn die macronistische Regierung zwischenzeitlich häufig „Regime“ genannt wird.Seit Wochen fühlt sich die obsessive Inbrunst des Ministers durch den Protest der Gewerkschaften gegen die Rentenreform bestätigt. Das Resultat sind weit über tausend Verletzte, während Darmanin neofaschistische Schläger wie die der Gruppe „Waffen-Assas“ beim Vorgehen auf demonstrierende Studenten gewähren lässt (Assas heißt die Pariser Universität, die für ihre rechte Lehre berüchtigt ist). Dieser Innenminister schuldet Macron sehr viel. Als ihn Premierministerin Elisabeth Borne nicht in ihrem Kabinett haben wollte, weil zwei Frauen Darmanin der sexuellen Nötigung bezichtigten, beförderte ihn der Präsident kurzum zur Nr. 3 der Regierung. Und weil der Minister mittlerweile darauf hofft, Borne bald abzulösen, um sich 2027 selbst um den Élysée zu bewerben, erledigt er hingebungsvoll das Grobe für seinen Chef. Vorerst.Gérald Moussa Darmanin kommt politisch aus der Grauzone zwischen Rechten und katholischen TraditionalistenDarmanin stammt aus „kleinen Verhältnissen“, er sei der „ärmste aller Minister“, sagt er von sich. Kein Wunder, bei etlichen Millionären in der derzeitigen Ministerriege. In jeder zweiten öffentlichen Wortmeldung ruft er seine Mutter als Zeugin auf: „Sie ist Putzfrau!“, in Wahrheit Concièrge bei der Banque de France. Deren Vater war ein algerischer Harki und Unteroffizier der französischen Kolonialarmee. In väterlicher Linie beruft sich der Minister auf einen Stammbaum „maltesischer Armenier“, der bis ins 14. Jahrhundert und zu einem armenischen König zurückreicht.Darmanin ging mit 16 in die Politik und kam zu den Neogaullisten des Rassemblement pour la République (RPR). Christian Vanneste, sein Mentor, führte ihn als damaliger Abgeordneter der Nationalversammlung in die Grauzone zwischen Rechten und katholischen Traditionalisten. Darmanin demonstrierte gegen die „Ehe für alle“ und zitierte in Reden rechtsextreme Denker. 2014 bewarb er sich um das Amt des Bürgermeisters der nordfranzösischen Stadt Tourcoing unweit von Lille. Eine Marginalie aus jener Zeit beschreibt Darmanin gut: Für seine Wahl brauchte er die Unterstützung der Muslime von Tourcoing. Er holte sich die beim Imam der dortigen Gemeinde, den er später als Innenminister der Republik des Landes verweisen sollte. 2016 bot ihm Macron einen Ministerposten an und bewirkte die endgültige Abkehr Darmanins vom Neogaullismus.Mag er ein Opportunist von unscharfer moralischer Kontur sein, so zeigt der Aufstieg Darmanins im Präsidentenlager an, wohin die Reise des Macronismus geht: nach rechts, weit nach rechts. Eine Beraterin des früheren Staatschefs Nicolas Sarkozy nennt Macron „den besten rechten Präsidenten“. Im Widerstand der Franzosen gegen die Rentenreform sieht der einen Beleg für seine These, wonach der neoliberale Kapitalismus ein autoritäres Regime brauche. Figuren wie Darmanin eben, der Sprüche liebt wie: „Wenn du in der Kantine an die Fritten willst, musst du schon mit den Ellbogen boxen.“ Der Sinn von Darmanins Kampagne, um Linke als „Terroristen“ aus der Republik zu boxen, besteht offenkundig darin, die französische Rechte, die sich in Macronisten, Republikaner und Rechtsradikale spaltet, gegen die „linke Gefahr“ zusammenzuführen. Dabei scheint er keine übermäßigen Berührungsängste mit dem Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen zu kennen. Zunächst aber muss er auf den Feldherrenhügel, wenn die Gewerkschaften für den 1. Mai „eine Sintflut der Proteste“ ankündigen.